Mittwoch, 13 Uhr: Helmut Schmidt tritt seinen wöchentlichen Dienst an, wie seit sieben Jahren. Er hat wieder die zweite Schicht, bis 19 Uhr. "Heute morgen war einer da, der hatte vier Tage lang nicht geschlafen. Ich habe ihn in den Aufenthaltsraum gesetzt. Kurz darauf hat er unterm Tisch ein Nickerchen gemacht", klärt ihn seine Kollegin auf, die seit 7.30 Uhr Dienst geschoben hat. Sie schmunzeln, wie auch die beiden anderen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen.

Nichts Ungewöhnliches in den Räumen in der Königstorpassage, wo kein Tag dem anderen gleicht. "Es kann stundenlang mal gar nichts geschehen, und plötzlich steht ein Dutzend Leute vor der Tür", sagt Schmidt, der seinen Ruhestand als Krankenpfleger in der Bahnhofsmission mit einer sinnvollen Tätigkeit würzt.

Nicht nur am Mittwochnachmittag. Schmidt begleitet auch Reisende auf ihrer Zugfahrt quer durch Deutschland, wenn dies vorher bei der Bahnhofsmission angemeldet wurde. Zum Beispiel, wenn Kinder den weggezogenen, von Mama geschiedenen Papa besuchen oder die ältere Dame endlich mal wieder ihre Schwester in der alten Heimat sehen will, sich aber alleine nicht mehr Zugfahren traut. Da hört man schon mal traurige Geschichten, spendet aber auch vielmals Trost und erntet Dank von Menschen, die oft schon lange niemanden mehr zum Reden hatten.

In der gemütlich eingerichteten Bahnhofsmission mit dem freundlich hellen Aufenthaltsraum, der kleinen Küche und der großzügig bunten Kinderecke ist es an diesem Mittwoch aber recht ruhig. Ein Punker kommt vorbei, das Gesicht ist tatöwiert. Er muss nach Hof, war vorher bei einem nahe gelegenen Pfarrhaus, um Geld für ein Bayernticket zu erbetteln. Gekriegt hat er ein Formular, mit dem er sich nun bei Schmidt meldet: Der soll ihm ein Ticket kaufen, die Kirchengemeinde übernimmt die Kosten. Der junge Mann hatte dem Pfarrer glaubhaft versichert, in echten Nöten zu sein. Schmidt besorgt das Ticket, legt den Betrag aus, den er später wieder erstattet bekommt. Alltagsgeschäft.

Auf dem Weg zum Fahrkartenautomaten treffen wir eine Frau mit Krücken, die nicht weiterkommt: Fahrstuhl kaputt, Rolltreppe steht. Schmidt zeigt ihr, wie sie zum nächsten Aufzug kommt. "Ich kenne jeden Winkel des Nürnberger Hauptbahnhofs."

Ein paar Meter entfernt blickt ein älterer Herr ratlos auf die Anzeigetafel. "Wo ist nur mein Zug?", wispert er immer wieder vor sich hin. Auch ihm hilft Schmidt weiter. "Wer selten Zug fährt, der ist im Bahnhof schnell überfordert", sagt er. Auch am Bahnsteig, wohin wir den Weg fortsetzen. Denn beim ICE aus Düsseldorf hat sich die Wagenreihung geändert. Ein Pärchen steht vor dem Zug, ahnungslos, wo man einsteigen soll. Wir sind zur Stelle, zeigen den Weg und helfen dann noch einem Rollstuhlfahrer aus dem Waggon.

"Es sind die kleinen Dinge im Bahnhofsbereich, für die wir da sind", meint Schmidt. Tatsächlich ist die Bahnhofsmission hier nur eine von vielen Anlaufstellen, und mit Ehrenamtlichen, nicht mit Profis besetzt. Auch wenn Verzweifelte, Drogenberauschte oder Hungrige regelmäßig an die Tür klopfen. "Wir kümmern uns um jeden, auch wenn wir oft nur beraten, wohin man sich wenden kann", erklärt Schmidt.

Was er nach Dienstschluss denkt? "So schlecht wie vielen, mit denen ich zu tun habe, geht es mir nicht." Dafür sei er dankbar. Und so gibt er ein Stück Dankbarkeit jeden Mittwoch weiter.