Audioguides werden in vielen Museen und auch in Kirchen verwendet: Der Besucher leiht sich ein Gerät aus, das ihn in seiner Sprache zu wichtigen Stationen führt und ihm diese erklärt. Das Ulmer Münster geht jetzt einen anderen Weg: Ab 15. Juli kann sich der Besucher des Gotteshauses eine App auf sein Smartphone laden. Das kleine Computerprogramm mit dem Titel "Stimmen des Münsters" führt ihn in einer Hörspielreise zu Stationen im Münster, in denen er via "Soundwalk" in Szenerien und Gespräche eintaucht. Sie versetzen ihn in Zeiten und Geschehnisse, die für das Münster und sein Aussehen von entscheidender Bedeutung waren.

Eine permanente Geräuschkulisse durch die Smartphone-App will man im Münster allerdings vermeiden. Daher hört man die Szenerarien über Kopfhörer, die an der Münsterpforte ausgeliehen werden können. Auch Smartphones mit der App sind dort ausleihbar. Die Geschichten sind atmosphärisch dicht inszeniert und werden einen natürlichen Höreindruck schaffen, verspricht Dekan Ernst-Wilhelm Gohl. Das Münster hat viel zu erzählen – vom 14. Jahrhundert, als es in seinen gewaltigen Dimensionen quasi für die Ewigkeit geplant wurde, bis heute.

Unterschiedliche Stationen

Weshalb das Gotteshaus den Luftangriff auf Ulm am 17. Dezember 1944 überstand, obwohl die Ulmer Altstadt Kerngebiet des Angriffs unter dem Codenamen "Garfish" war und die Stadt mit fast 1300 Tonnen Spreng- und Brandbomben dem Erdboden gleichgemacht werden sollte, dazu gibt es verschiedene Theorien. Fest steht: Ein Fleck in der Decke des Chors markiert die Stelle eines Bombentreffers. An diesem Ort kann der Nutzer der App fiktiv im Hintergrund das Brummen von näher kommenden Bombern hören und Gesprächen zum geplanten Angriff lauschen.

App »Stimmen des Münsters«.
Mit der neuen App können die Besucher in die Geschichte des Münsters eintauchen

Die "Karg-Nische", wo bis zur Reformation ein von Hans Multscher kunstvoll gefertigter Wandaltar stand, den die Familie Karg gestiftet hatte, versetzt den App-Nutzer hingegen in die Tage vor dem Bildersturm am 19. Juni 1531. Nur goldschimmernde Engelsflügel zeugen heute noch von der Schönheit des Altars, sonst erscheint die zerstörte Steinkunst dem Münster-Besucher wie eine Wunde im Gotteshaus. Hier führt die App den Besucher in eine Szene des Jahres 1531, als sich die Mehrheit der zwölf Prozent stimmberechtigten Ulmer Bürger in einer Abstimmung für die Annahme der Reformation entschieden hatte. Familien, die Altäre im Münster hatten, bekamen die Gelegenheit, diese abzuholen. Die akustische Szenerie berichtet im fiktiven Dialog damaliger Zeitzeugen, was auch historisch überliefert ist: Viele der Altäre wurden zerschlagen und als Brennholz den Armen gegeben. So endete wohl auch der kunstvolle Hochaltar des Münsters, den Jörg Syrlin geschnitzt hatte.

Auch am Israel-Fenster, beim "Heiligen Blechle", dem Gemälde der Armenspeisung, und bei der umstrittenen martialischen Figur des Erzengels Michael führt die App den Besucher des Jahres 2017 in die Vergangenheit. Vom im Dezember 1922 ausgeschriebenen Ideenwettbewerb der Ulmer Vorkriegsgarnison für ein "Münsterkriegsdenkmal" wird berichtet. Er hatte dazu eingeladen, "ein Werk zu schaffen, das in einem Rahmen von gewaltiger geschichtlicher und kunstgeschichtlicher Bedeutung an der Seite größter Namen für alle Zeiten einen Platz finden wird". Die Entscheidung fiel damals für die "Attempto" genannte Michaels-Figur des militärbegeisterten Stuttgarter Städtebau-Professors Heinz Wetzel und des dann im Nationalsozialismus gefeierten Künstlers und Architekten Ulfert Janssen. Nach heftigem Widerstand der Münstergemeinde kam sie im August 1934 in den Hauptbogen unter der Orgelempore.