Seit 2009 ist Jochen Teuffel Pfarrer an der Martin-Luther-Kirche in Vöhringen. Der schlichte Backsteinbau wurde 1934 eingeweiht. Mit dem Namensgeber der Kirche hat sich Teuffel, der über "Die Kunst der guten Gottesrede in Entsprechung zur gelesenen Schrift" promovierte, viel beschäftigt – nicht erst zum Reformationsjubiläum.

Seine Erkenntnis: Martin Luther war ein Mensch, der dort Zeuge des Evangeliums ist, wo er "mit dem Finger auf Christus zeigt". Luther hatte aber auch Schattenseiten. So ging Teuffel unter anderem der Frage nach, warum Martin-Luther-Kirchen größtenteils in der Zeit zwischen der Reichsgründung 1871 und dem Kriegsende 1945 entstanden.

Kirchenfahne neben Hakenkreuz

"Eine ›Inflation‹ von Luther-Kirchen gab es ab 1917", fand der Pfarrer heraus: Damals sei "der ›völkische‹ Luther ganz groß im Schwange" gewesen. In die Zeit der Deutung Luthers als "Führer des deutschen Kirchenvolkes" fällt auch die Bauzeit der Vöhringer Martin-Luther-Kirche, bei deren Einweihung neben der Kirchenfahne auch die Hakenkreuzfahne wehte.

Die offizielle Baugenehmigung stammt aus dem Oktober 1933; die Namensgebung wurde im Juli 1934 beschlossen – mit der Begründung, dass das Jahr der Grundsteinlegung das Gedenkjahr des 450. Geburtstags von Martin Luther war. In einer Kupferkapsel unter dem Altar der Kirche, die am 8. Juni 1934 dort eingelegt wurde, steht unter anderem der Satz: "An Treue zum Staate Adolf Hitlers lassen wir uns von niemandem übertreffen."

Obwohl der damalige Pfarrer kein Anhänger der NS-Ideologie gewesen sei, sei er in seiner Einweihungspredigt mit keinem Wort auf die Instrumentalisierung Luthers durch das NS-Regime eingegangen, erläutert Jochen Teuffel.

Pfarrer Jochen Teuffel vor der Luther-Kirche in Vöhringen.
Pfarrer Jochen Teuffel vor der Luther-Kirche in Vöhringen.

Link-Tipp

Lutherpedia und Martin-Luther-Spiel

Mit der Webseite "Lutherpedia" begleitet der Evangelische Presseverband das Reformationsjahr. Die multimediale Seite informiert über alle Aktivitäten rund um Martin Luther und die Reformation.

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Wie sehr Luther während der Zeit des Nationalsozialismus vereinnahmt wurde, macht der Pfarrer am Beispiel des Deutschen Luthertags 1933 deutlich. Der Wittenberger Superintendent Maximilian Meichßner deutete das Wirken des Reformators damals so: "Es ist eine Fügung Gottes, daß Luthers 450. Geburtstag in eine Zeit fällt, die in der deutschen Geschichte nur mit der Reformationszeit zu vergleichen ist. Es ist eine Fügung Gottes, daß Dr. Martin Luther uns wieder lebendig wird in einer Zeit völkischen Erwachens. Luther steht vor uns als deutscher Mann (…) Es ist eine Fügung Gottes, daß Dr. Martin Luther uns wieder lebendig wird in den Tagen Adolf Hitlers. Wir haben heute wieder offene Augen bekommen für das, was für ein Volk ein von Gott berufener Führer bedeutet."

"Diese Narbe geht nicht weg"

Ähnliche Worte fand Wilhelm Fahrenhorst, Bundesdirektor des "Evangelischen Bunds zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen": "Träfe Martin Luther Adolf Hitler, so würde er ihm die Hände drücken und sagen ›Dank dir, du deutscher Mann! Du bist Blut von meinem Blut, Art von meiner Art. Wir beide gehören eng zusammen!‹"

Martin Luther kann sich posthum nicht gegen Vereinnahmung und Deutung wehren. Es gelte jedoch stets aufzupassen, den Reformator und die Reformation nicht für eigene und gesellschaftspolitische Anliegen zu instrumentalisieren, warnt Jochen Teuffel.

Wie man allerdings mit der Benennung einer Kirche nach dem Menschen Martin Luther umgeht, ist für den Pfarrer eine schwierige Frage: "Was Luther für die Lehre getan hat, kann ich ihm nicht hoch genug anrechnen. Seine antisemitischen Äußerungen, die zum völkischen Lutherbild führten, kann man aber nicht stehen lassen. Diese Narbe bekommen wir nicht weg."

Martin-Luther-Kirchen

Martin-Luther-Kirchen gibt es auch außerhalb Deutschlands, etwa in Österreich, Polen und Dänemark. Unter den vielen Luther-Kirchen in Deutschland sind unter anderem eine 1927 in München-Obergiesing erbaute. In Berlin wurden insgesamt zehn Kirchen nach dem Reformator benannt.