Liegen die Themen Frauenhandel und Zwangsprostitution für Deutsche weit weg?

Margaret Obaga: Menschen- und Frauenhandel mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung sind auch bei uns Alltag – vor allem für Migranten. Das Thema betrifft Frauen, Kinder und auch Männer, die hier im reichen Europa als billige Tagelöhner oder Sexarbeiter arbeiten müssen. Die Betroffenen kommen meistens aus afrikanischen Ländern, aber auch aus Asien oder Osteuropa. Im Prinzip ist das moderne Sklaverei.

 

Wie sieht es mit Zwangsheirat aus? Man kann sich kaum vorstellen, dass auf einem deutschen Standesamt ...

Obaga: ... das ist sicher nicht die Regel, aber vollkommen ausschließen möchte ich das auch nicht. Zwangsheirat heißt ja auch nicht, dass man diese »Ehe« tatsächlich vor deutschen Behörden schließt, sondern zum Beispiel im Ausland zwangsverheiratet wird, meist minderjährig ist und dann erst später nach Europa kommt und diese Ehe hier anerkennen lässt. Auf diesen Wegen halten »Traditionen« wie Kinderehe und Zwangsheirat Einzug bei uns.

 

Sind Migrantinnen mehr betroffen als Einheimische?

Obaga: Ja. Zum einen aufgrund von finanziellen Abhängigkeiten, weil der Mann zu Hause im Heimatland der Ernährer der Familie war. Auf der anderen Seite sind es die tief sitzenden Rollenbilder – auch bei Frauen. Die Ehe ist für viele Frauen eine tragende Säule bei der Definition ihrer Identität. Das muss nicht, aber es kann in einer Art blindem Gehorsam enden, in dem die Frauen keine Kontrolle mehr über sich haben. Gewalt gegen Frauen ist ein globales Problem und nimmt viele verschiedene Formen an – physisch, sexuell, emotional oder auch psychologisch.

 

Welche Rolle spielt dabei die Religion?

Obaga: Das ist ein heikles Thema, weil es ein schlechtes Bild auf die Religionen insgesamt und oft vor allem auf den Islam wirft. Ich finde es traurig, dass Religionen für die Unterdrückung von Frauen missbraucht werden. Fakt aber ist, dass einseitig ausgelegte Religionen in diesen Ländern oft als Begründung dafür herangezogen werden, dass Frauen ihren Männern gegenüber zu absolutem Gehorsam verpflichtet sind.

 

Welche Gründe gibt es neben den finanziellen oder religiösen noch für Gewalt gegen Migrantinnen?

Obaga: Diese beiden Gründe spielen immer eine Rolle – daneben, wie bei der Gewalt in deutschen Familien, Suchtprobleme, vor allem natürlich Alkohol, der Mangel an gegenseitigem Vertrauen oder auch die Kinderfrage: Wer will wie viele Kinder, klappt das bei der Frau organisch nicht so, wie sich der Mann das vorstellt? Man muss sagen: Der Druck gerade auf Männer aus islamisch geprägten Ländern ist da auch enorm.

 

Kommt Gewalt gegen Frauen vor allem unter Eheleuten vor?

Obaga: Ja, vor allem ist das ein »Eheproblem«, wobei man den Begriff der Ehe in einem ganz anderen Kontext verstehen muss. Das sind oft keine Liebesheiraten. Die Gewalt gegen Mädchen und Frauen geschieht allermeistens auch in irgendeinem sexuellen Kontext.

 

Begünstigt die Anonymität des Wohnens in großen Städten dieses Problem?

Obaga: Anonymität schafft neue Formen der Gewalt. Migranten aus Kulturen, in denen die Familie die tragende Säule des gesellschaftlichen Lebens darstellt, haben oft regelrecht traumatische Erfahrungen, wenn sie zu uns kommen. Diese große Anonymität setzt ihnen zu. Sich daran anzupassen geht an den wenigsten spurlos vorüber.

 

Welche Möglichkeiten haben Betroffene in Deutschland, aus der Gewaltspirale auszubrechen?

Obaga: Das ist für Frauen aus allen Kulturkreisen nicht leicht, aber natürlich für Frauen aus männerzentrierten Gesellschaften noch mal schwieriger, weil sie mit der Flucht, mit der Abwendung von ihrem Mann und ihrer Familie mitunter ihr ganzes bisheriges Weltbild infrage stellen. Es bräuchte eigene Programme sowohl für Opfer als auch für Täter. Die gewalttätigen Männer brauchen Hilfe, damit das nicht wieder passiert. Die verletzten Frauen und Familien brauchen Halt. Ihnen die Adresse eines Frauenhauses zu geben wird nicht ausreichen.