Etwas versteckt unterhalb der mächtigen St.-Jakobs-Kirche in Rothenburg ob der Tauber liegt das Reichsstadtmuseum im ehemaligen Dominikanerinnenkloster. 20 000 bis 30 000 Besucher kommen jedes Jahr. Museumsleiter Hellmuth Möhring hätte gern ein paar mehr. Die kann er bekommen, denn die Sonderausstellung zur Reformation im Erdgeschoss verdient jede Aufmerksamkeit.
Im ersten Saal greift die Schau ins 15. Jahrhundert zurück. Großformatige Passionstafeln aus der Franziskanerkirche beherrschen den Raum. »Die Franziskaner wollten zurück zum eigentlichen Kern des Glaubens, zum Leben und zum Sterben Jesu«, erklärt Hellmuth Möhring. »Alles andere wie Altes Testament und Heiligenkulte haben sie versucht auszublenden.«
Im ehemaligen Sommerrefektorium des Klosters befinden sich die Hauptstücke der Ausstellung. Hier stehen sich Papstvertreter und Reformatoren räumlich gegenüber – in Form von Informationstafeln entlang der Wände. Zwischen den Kontrahenten schützt eine Glasvitrine das zentrale Element: die bedeutende Flugschriften-Sammlung des ansbachisch-markgräflichen Kanzlers Georg Vogler, die nach seinem Tod im Jahr 1550 in Rothenburger Besitz kam. Ursprünglich waren das über 1200 Einzelblätter, die später zu Büchern gebunden wurden.
Besonders eindrucksvoll sind der bekannte Papstesel zu Rom (ein Fabeltier mit Eselkopf und Fischschuppen an Armen und Beinen) und das Mönchskalb zu Freyberg, mit denen Melanchthon und Luther die Verkommenheit der römischen Kirche beschrieben. »Der Esel war die Dummheit«, so der Museumschef, »die Schuppen vom Fisch die emotionale Kälte, die in den Papst hineininterpretiert wurde.«
Maschinelle Sündenvergebung
Als Johannes Gutenberg im Jahr 1468 starb, gab es bereits elf Druckerwerkstätten in Europa. Die Reformation befeuerte den Buchdruck, die Schriften vermehrten sich explosionsartig. Martin Luther nutzte die neue Technik ebenso wie die päpstliche Gegenseite, die ihre Ablassbriefe drucken ließ. »Der Buchdruck hatte eine katalytische Funktion, beide Strömungen liefen direkt aufeinander zu«, sagt Hellmuth Möhring. »Der enorme Ausstoß von Ablassbriefen führte zur Kritik Luthers an dieser Praxis.«
Wie die Inhalte der Flugschriften unters Volk kamen, ist bis heute nicht vollständig geklärt. 90 Prozent der Gesamtbevölkerung waren schließlich Analphabeten. Die Ausstellung gibt eine von mehreren möglichen Antworten. Sie zitiert den Rothenburger Stadtschreiber Thomas Zweiffel, gepredigt worden sei an vielen Orten quer durch die Stadt: »am markt, in gassen, uff den kirchhofen und anderen enden ... predigten und sagten einander sölich new materien, was sie dero in buchern hetten, lasen und wisten.«
Als hochinteressant betrachtet Hellmuth Möhring die beiden Kupferstiche Martin Luthers aus dem Jahr 1520 von Lucas Cranach. In der ersten Darstellung hat Luther schmale Wangenknochen und katzenartige Augen – im zweiten wirkt er sehr viel weicher, die Augen blicken gerade und ein Buch in der rechten Hand steht für Gelehrsamkeit. »Er ist nun massenkompatibel geworden«, erklärt der Museumsdirektor.
Als »kleinen Gag«, so Möhring, haben die Ausstellungsmacher Luther eine Facebook-Seite eingerichtet. Die zeigt, wie der Theologe möglicherweise heutzutage die Sozialen Netzwerke nutzen würde. »Die sogenannten Freunde sind natürlich nicht alles Freunde, da sehen Sie Albrecht von Brandenburg, Papst Leo und Kaiser Karl – also eher Feinde«, sagt Hellmuth Möhring. »Die haben sich aber eingeloggt und geben ab und zu ihren Senf dazu. So sah ein Shitstorm im 16. Jahrhundert aus.«