Bei Yogen Omar ist es eng. Das 28-Quadratmeter-Appartement im Dreilingsweg teilt er sich mit seiner Frau, den drei Kindern - und einem Weihnachtsbäumchen. "Weihnachten ist für mich der schönste Tag im Jahr", sagt der 53-Jährige, der als junger Mann in Rothenburg o. T. die Ausbildung zum Hotelfachmann absolvierte.

Fast 20 Jahre hatte er in Deutschland gelebt, bevor er nach Ägypten zurückging, um seine kranke Mutter zu versorgen. Jedes Jahr habe er mit seiner Frau, einer Deutschen mit oberschlesischen Wurzeln, und mit den Kindern den Christbaum geschmückt, erzählt Omar. Auch in der Herberge im Dreilingsweg will er auf diese Tradition nicht verzichten.

Seit Mai leben die Omars hier, zusammen mit 53 anderen Familien. Es sind Münchner, deren Einkommen nicht reicht, um auf diesem verrückten Mietmarkt bezahlbaren Wohnraum zu finden. Es sind Geflüchtete, die nach ihrer Anerkennung nun auf ihre erste Wohnung hoffen. Etwa ein halbes Jahr können sie in den Holzhäusern des Dreilingswegs unterschlüpfen.

Die Arbeiterwohlfahrt stellt die Sozialbetreuung: Zwei Pädagoginnen helfen durch den Behördendschungel und erklären die deutsche Alltagskultur. Zwei Erzieherinnen kümmern sich um die 88 Kinder und über 20 Jugendlichen, bieten Hausaufgabenhilfe, Freizeitgestaltung und Deutschkurse an. Die 50 Ehrenamtlichen der Flüchtlingshilfe Menzing, einem Zusammenschluss der katholischen und evangelischen Gemeinden im Stadtteil, ebnen den Bewohnern den Weg in die Gesellschaft.

Yogen Omar ist in einer besonderen Rolle: Er spricht fließend Deutsch und ist beruflich hoch qualifiziert - zuletzt war er beim Club Med des Urlauberbadeorts Hurghada als "Area Training Manager" für drei Länder verantwortlich.

Doch gerade das scheint ihm jetzt, neben seinem Alter, eher hinderlich zu sein: "In München gibt es nicht viele Hotels, die jemanden wie mich brauchen können", sagt er lakonisch. 60 Bewerbungen schreibt er im Monat, bislang ohne Erfolg. Seine beiden älteren Kinder suchen einen Ausbildungsplatz, im Dezember wollen sie es bei einem Casting für Flugbegleiter versuchen. Der Vater ist optimistisch: "Sie sprechen Deutsch, Arabisch, Englisch und Polnisch - ich mache mir keine Sorgen." Die jüngste Tochter geht in München zur Schule.

Es scheint, als müsse nur der Knoten irgendwann platzen, damit Yogen Omar und seine Familie in die richtige Spur kommen: Ein fester Job vereinfacht die Wohnungssuche, und mit einer eigenen Wohnung wird auch das Leben leichter. Omar beklagt sich nicht über die Enge im Dreilingsweg. "Es ist o.k.", sagt er, "aber das Familienleben kommt auf Dauer zu kurz." Eine Drei- bis Vier-Zimmerwohnung wäre sein Traum.

Für viele andere in dem Beherbergungsbetrieb, die weder Deutsch sprechen noch eine gute Ausbildung haben, ist dieser Traum noch viel schwerer zu verwirklichen. 3000 Sozialwohnungen werden in München pro Jahr frei - 24.000 Antragsteller warten auf sie. Und auch, wenn die Stadt mit innovativen Projekten mächtig anschiebt (s. Kasten), ist derzeit keine Entspannung in Sicht.

Also versucht Einrichtungsleitung Angela Pfister-Resch ihren Bewohnern auch das Umland schmackhaft zu machen. "S-Bahn-Anschluss reicht; man muss nicht mitten in der Stadt wohnen", sagt sie. Außerdem versucht sie, ein Netzwerk an privaten Vermietern aufzubauen. Die Sozialpädagogin weiß, dass es auch für die nicht einfach ist: "Die schalten ein Inserat, und dann stehen hundert Leute vor der Tür - dann wählt man halt nach Schufa-Auskunft, Verständigungsmöglichkeit und Sympathie aus", sagt Pfister-Resch. Ein anderes Problem ist oft die Familiengröße: Achtköpfige Familien sind auf dem deutschen Wohnungsmarkt einfach nicht vorgesehen.

Peter Miltenberger von der Flüchtlingshilfe Menzing nickt. In erster Linie wollen die Ehrenamtlichen des ökumenischen Verbunds den Bewohnern die Integration erleichtern: durch Freizeit- und Orientierungsangebote, Hausaufgaben- und Deutschhilfe. "Wir möchten, dass die Leute ins Sprachbad eintauchen können - zum Beispiel bei einem gemeinsamen Spaziergang", erklärt Miltenberger die Idee. Die Ärztin Claudia Brand von der Carolinenkirche wiederum hat Berufskollegen gebeten, bei der medizinischen Versorgung der Menschen mitzuhelfen. "Die Kollegen antworteten durchwegs positiv - oder gar nicht", berichtet Brand.

Ein weiteres Ziel der ehrenamtlichen Integrationshelfer und der AWO-Profis ist aber der Stimmungswandel in der Gesellschaft. Angela Pfister-Resch formuliert es so: "Die Menschen hier waren in ihren Heimatländern mündige Bürger, sie waren alle berufstätig und haben ihre Familien ernährt." Um selbstständig zu werden, müssten sie erst die Sprache, das deutsche Rechtssystem und den gesellschaftlichen Rahmen kennenlernen. Dafür sei die Zeit in der Herberge am Dreilingsweg gedacht.

Auch Peter Miltenberger wirbt für mehr Verständnis: "Hier erwerben diese Menschen Kenntnisse und neue Fähigkeiten", sagt er. "Das sind ganz normale Leute, die man als Vermieter ruhig mal anschauen kann."

 

WOHNEN FÜR ALLE

IM MAI 2016 hat der Münchner Stadtrat das Wohnungsbauprogramm "Wohnen für alle" beschlossen. Bis 2019 sollen so, zusätzlich zu den laufenden Bauprojekten, 3000 Wohneinheiten für Familien mit geringem Einkommen, Auszubildende und anerkannte Flüchtlinge entstehen.

ALS PILOTPROJEKT von "Wohnen für alle" baut die GEWOFAG derzeit ein Gebäude über einem Parkplatz im Stadtteil Moosach. Die 100 Wohneinheiten sollen noch Ende 2016 bezugsfertig sein. Jeweils die Hälfte wird über die Online-Plattform des Sozialen Wohnens der Stadt sowie an anerkannte Flüchtlinge vergeben.