Schreien, Tränen, Türenknallen: Auf der einen Seite das Kind, das keine Lust hat, seinen Blutzucker zu messen, auf der anderen Seite die drängelnden Eltern, die ihrem Sohn oder der Tochter schlimmeres als eine paar Nadelstiche durch das Messgerät ersparen wollen. Irgendwann sind die Fronten verhärtet. Kind und Eltern sprechen nicht mehr miteinander. So oder ähnlich kann es in einer Familie aussehen, in der ein Kind dauerhaft krank ist.

Rehazentrum im Christlichen Jugenddorfwerk Berchtesgaden

Mit chronisch kranken Kindern und Eltern, die nicht mehr weiter wissen, kennt sich Florian Brandner aus. Der Elternberater beim Rehabilitationszentrum des Christlichen Jugenddorfwerks Berchtesgaden (CJD) ist zugleich Zuhörer und Ansprechpartner für die betroffenen Familien. "Ich bin der Erstkontakt für die Langzeitmaßnahmen", sagt er. "Wir sprechen dann über praktische Dinge wie die Finanzierung des Aufenthaltes, aber auch über die Probleme, die das Kind oder der Jugendliche aufgrund seiner Krankheit in der Schule und in der Familie hat."

Um einen Platz im Rehazentrum zu bekommen, müssen die Familien alle ambulanten und klinischen Maßnahmen durchlaufen haben. "Unsere Einrichtung ist oft die letzte Chance", weiß Brandner. Sie sei deswegen so beliebt, weil es dort Schule, Medizin, Psychologie und Pädagogik an einem Ort gebe. Gekümmert wird sich beim CJD um Kinder, die Asthma, Diabetes, Mukoviszidose, Übergewicht, Neurodermitis oder psychische Probleme haben.

Chronisch kranke Kinder gibt es oft in Deutschland

Chronisch kranke Kinder sind in Deutschland keine Seltenheit mehr. Bei Petra Funke und ihrem zehnjährigen Sohn Luca, der Diabetes hat, ging am Ende gar nichts mehr. "Luca hat sich seiner Diabetes völlig verweigert", erzählt die alleinerziehende Mutter zweier Söhne. "Er war das einzige kranke Kind in seiner Klasse und wollte seinen Blutzucker einfach nicht messen", berichtet Funke. "Manchmal bin ich in die Schule gegangen und habe ihn aus dem Unterricht geholt, damit er misst. Das hat alles nur noch schlimmer gemacht für ihn."

Am Ende habe sie nur noch geweint und konnte selbst nicht mehr arbeiten. "In der Schule ging gar nichts mehr voran und mir ist klargeworden: Wir brauchen professionelle Hilfe", erzählt die 39-Jährige, die als Servicekraft in einem Hotel arbeitet: "Luca hat die Diagnose Diabetes mit fünf Jahren bekommen und seitdem ging es eigentlich nur noch um die Krankheit." Ihr ältester Sohn Erik, der mittlerweile 15 Jahre ist, habe "immer zurückstecken müssen". Die Ärzte bescheinigen dem zehnjährigen Luca eine Depression und verschreiben eine Therapie. "Geholfen hat sie nicht", sagt Funke rückblickend: "Eher alles verschlimmert."

Kinder und Eltern können gemeinsam kommen

Als sie vom CJD erfährt und Kontakt zu Florian Brandner aufnimmt, hat Luca schon mehrere Behandlungen hinter sich und steht kurz davor, vom Jugendamt aus der Familie genommen zu werden. Ist der erste Kontakt zustande gekommen, schickt Brandner den Familien Prospekte und Infomaterial zu. "So können sich Kinder und Eltern alles zusammen anschauen und darüber sprechen", erklärt er. Wollen die Familien dann noch kommen, gibt es einen persönlichen Vorstellungstermin. "Wenn man zusammensitzt, kann man ganz anders sprechen", sagt Brandner. Ihm sei es wichtig, zu Kindern und Eltern ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Neben der persönlichen Beziehung zu den Familien, muss sich der Elternberater auch um die finanzielle Seite des Aufenthaltes kümmern. Der gelernte Bürokaufmann verhandelt mit den Kostenträgern, zu denen Sozialämter, Jugendämter und Krankenkassen aus ganz Deutschland gehören - und wenn es um berufliche Reha geht, auch die Arbeitsagentur. Manchmal wird ein Antrag auch abgelehnt. Meistens dann, wenn das Kind zwar körperlich krank ist, aber gut in der Schule.

Ganz normales Leben für kranke Jugendliche

Dass auch die Eltern ein Teil des Problems sein können, weiß Petra Funke nur zu gut: "Mir wurde vorgeworfen, eine schlechte Mutter zu sein, weil ich Luca nach Berchtesgaden geschickt habe." Mittlerweile ist sie sich jedoch sicher: Es war die richtige Entscheidung. "Im CJD ist Luca ein ganz normaler Zehnjähriger", erklärt sie. "Er sagt mir Gedichte am Telefon auf und wegen seines guten Zeugnisses bin ich fünf Zentimeter gewachsen vor lauter Stolz."

Petra Funke jedenfalls fühlt sich sehr gut aufgehoben beim CJD. Vor allem gefällt ihr, dass die Kinder so miteinbezogen werden bei den Gesprächen und dass es enge Kontakt zu den Betreuern gibt. Sie hofft, dass Luca noch bis Ende des Jahres dort bleiben kann. "Ich sehe es auch ein bisschen als Auszeit für mich", sagt sie. "Seit er dort ist, sind wir als Familie wieder zusammengewachsen."