Das Gebet ist der stärkste - und der einfachste - Ausdruck einer Beziehung zu Gott. Das Gebet gibt Kraft. Der Rabbiner Jiri Izrael kann ein Lied davon singen. Als Jiri Izrael im Frühjahr 1551 bei Thorn über die gefrorene Weichsel ging, begann unter seinen Füßen plötzlich das Eis zu brechen. Da erschrak Jiri Izrael, und er fing an zu springen.

Er sprang von Scholle zu Scholle und sang dabei den folgenden Psalm: "Lobe den Herrn, meine Seele. Von Scholle zu Scholle. Und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Von Scholle zu Scholle. Lobe den Herrn, meine Seele. Von Scholle zu Scholle. Und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Von Scholle zu Scholle. Der dir alle deine Sünde vergibt. Von Scholle zu Scholle. Und heilet alle deine Gebrechen. Von Scholle zu Scholle. Der dein Leben vom Verderben erlöst. Von Scholle zu Scholle. Und dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit". So gelangte Jiri Izrael von Scholle zu Scholle über die reißende Strömung des Flusses sicher ans andere Ufer.

Die Psalmen

Der Begriff "Psalm" kommt von dem griechischen Wort "psalmós", das auf Deutsch "Lied" oder "Lobgesang" bedeutet. Der "Psalter" oder das "Buch der Psalmen" ist eine Sammlung von 150 hebräischen Liedern und Gebeten, die vor etwa 3000 Jahren entstanden sind. Die Psalmen stehen im Alten Testament und werden von Juden und Christen bis zum heutigen Tag mit der gleichen Intensität gesungen und gebetet.

Das wichtigste Merkmal der hebräischen Poesie ist der Gedankenreim, der auf Lateinisch "Parallelismus membrorum" heißt. Der Parallelismus ist davon bestimmt, dass jeder Satz den vorhergehenden noch einmal mit anderen Worten wiederholt: "Lobe den Herrn, meine Seele. Und was in mir ist, seinen heiligen Namen".

Neben der Einteilung in fünf Bücher lassen sich die Psalmen nach ihrem Inhalt, ihrem Verfasser oder ihrem Anlass in verschiedene Gruppen ordnen. So gibt es Lob- und Dankpsalmen, Bußpsalmen, Klagelieder des Einzelnen und des Volkes. Es gibt David-, Asaf und Korachpsalmen. Und es gibt Morgen- und Abendlieder sowie Wallfahrtspsalmen.

Die am meisten zitierten Psalmen sind:

  • "Der Herr ist mein Hirte" (Psalm 23)
  • "Lobe den Herrn, meine Seele" (Psalm 103)
  • "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen" (Psalm 121)
  • "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir" (Psalm 130)
  • "Herr, du erforschst mich und kennst mich" (Psalm 139)

Musikalische Aufarbeitung

Die Psalmen haben zahlreiche Komponisten zu Vertonungen inspiriert. Bekannt sind vor allem die "Psalmen Davids" von Heinrich Schütz (1585-1672), die Kantate "Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz" (nach Psalm 139) von Johann Sebastian Bach (1685-1750) und die Kantate "Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser" (nach Psalm 42) von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Auch in die Popmusik sind die Psalmen bereits vorgedrungen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Song "Rivers of Babylon" (nach Psalm 137), der ursprünglich von der jamaikanischen Reggae-Band The Melodians stammt (1970), aber in Deutschland erst durch die Disco-Gruppe Boney M. bekannt geworden ist (1978).

Auch Jesus hat, wie der Evangelist Lukas in seiner Passionsgeschichte zu berichten weiß (23,46), Psalmen gebetet. Er hat seine Jünger darüber hinaus ein neues Gebet gelehrt, das sich schon durch die liebevolle Anrede "Vater" von dem respektvollen "Herr" des Judentums unterscheidet.

Das Vaterunser

Das Vaterunser orientiert sich im Aufbau an den Zehn Geboten, die aus zwei Tafeln bestehen. Die Gebote der ersten Tafel (1 bis 3) beziehen sich auf das Verhältnis des Menschen zu Gott. Die Gebote der zweiten Tafel (4 bis 10) beziehen sich auf das Verhältnis des Menschen zum Mitmenschen. Analog dazu lassen sich die sieben Bitten des Vaterunsers in drei Du-Bitten und vier Wir-Bitten aufteilen. Die Du-Bitten lauten: "Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe". Und die Wir-Bitten beginnen mit den Worten: "Unser täglich Brot gib uns heute ...".

Das Vaterunser erscheint im Neuen Testament in zwei unterschiedlichen Versionen. Die längere Fassung, die dem heutigen liturgischen Gebrauch zugrunde liegt, steht bei Matthäus (6,9-13) und schließt mit einer Doxologie, d.h. aus dem Griechischen übersetzt "Lobpreis", der die zweite Du-Bitte noch einmal aufgreift "Denn dein ist das Reich ...". Diese Doxologie fehlt bei Lukas (11,2-4), dessen verkürzte Fassung von der neutestamentlichen Forschung jedoch als die ursprüngliche angesehen wird.

Das Vaterunser ist im Lauf der Kirchengeschichte in fast alle Sprachen der Welt übersetzt worden. Die 140 wichtigsten Übersetzungen finden sich als Tafeln in der Paternosterkirche auf dem Ölberg in Jerusalem. Dafür einige Beispiele.

  • Englisch: "Our Father, who art in heaven"
  • Französisch: Notre Père, qui es aux cieux"
  • Griechisch: "Pater hämon, ho en tois ouranois"
  • Italienisch: "Padre nostro, che sei nei cieli"
  • Lateinisch: "Pater noster, qui es in caelis"
  • Schwedisch: "Vår fader, du som är i himlen"
  • Spanisch: "Padre nuestro, que estás en el cielo"

Der Theologe Helmut Thielicke nennt das Vaterunser "das Gebet, das die Welt umspannt". Denn es wird heute von fast allen Christen rund um den Globus gebetet. Nur in pfingstlichen Gottesdiensten kommt das Vaterunser eher selten vor.

Dafür knüpfen die Pfingstler in ihrer Gebetshaltung an eine altkirchliche Tradition an. Sie strecken - wie die ersten Christen - ihre Arme nach oben und bilden so die Form eines Kelches, der von oben - bildlich gesprochen - mit der Kraft des Heiligen Geistes gefüllt werden kann.

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Warum gefaltete Hände beim Beten?

Die Tradition, beim Beten die beiden Innenflächen der Hände aneinanderzulegen, ist erst seit dem Hochmittelalter belegt. Und das Beten mit gefalteten Händen kommt erst in der Reformationszeit auf. Katholische Christen beginnen das persönliche Gebet stets mit der Formel "Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" und bekreuzigen sich am Beginn und am Ende eines jeden Gebets. Im Protestantismus ist die Segnung mit dem Kreuzeszeichen nur noch durch Martin Luthers Morgen- und Abendsegen bekannt.

Die katholische Gebetshaltung ist in der westlichen Welt vor allem bekannt geworden durch eine kleine Handzeichnung von Albrecht Dürer (1471-1528), die sich heute in der Albertina in Wien befindet. Die im Jahr 1508 entstandene Zeichnung "Betende Hände" ist eine Vorstudie zu dem Flügelaltar, den Dürer für den Frankfurter Tuchhändler Jakob Heller geschaffen hat. Die Hände gehören eigentlich zu einem Apostel, der auf Knien die Himmelfahrt Mariens miterlebt. Der Reiz der Zeichnung besteht darin, dass man die Person, der die Hände gehören, nicht sieht. Dadurch wird die Darstellung kompatibel, das heißt übertragbar auf jeden Beter. Aus diesem Grund sind die Betenden Hände von Dürer im Lauf des 20. Jahrhunderts zu einem volkstümlichen Symbol für das Gebet schlechthin geworden. So finden sich die Betenden Hände heute - unabhängig vom Bekenntnis - in zahlreichen deutschen und amerikanischen Wohnzimmern.

Gebetspraxis bei Katholiken und Protestanten

In der Gebetspraxis unterscheiden sich jedoch die großen Konfessionen sehr deutlich. Die Katholiken beten lieber in der Kirche - nicht nur am Sonntag, sondern auch unter der Woche, wenn möglich mehrmals am Tag. Die Tagesgebete orientieren sich an den drei Psalmen, die in der Kindheitsgeschichte Jesu nach Lukas enthalten sind. Der Tag beginnt mit der Mette am Morgen: Die Gemeinde betet das "Benedictus", den Lobgesang des Zacharias "Gelobet sei der Herr, der Gott Israels". Die Arbeit schließt mit der Vesper am Abend: Die Gemeinde betet das "Magnificat", den Lobgesang der Maria "Meine Seele erhebt den Herrn". Der Tag schließt mit der Complet in der Nacht: Die Gemeinde betet das "Nunc Dimittis", den Lobgesang des Simeon "Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren".

Die Protestanten beten, weil sich der Kirchgang in der Regel auf den Sonntag beschränkt, eher zu Hause. Der Vater oder die Mutter leiten die Kinder zum täglichen Gebet an. Ein beliebtes Morgengebet heißt: "Wie fröhlich bin ich aufgewacht, wie hab ich geschlafen so sanft die Nacht! Hab Dank, du Vater im Himmel mein, dass du hast wollen bei mir sein. Behüte mich auch diesen Tag, dass mir kein Leid geschehen mag". Das Mittagsgebet ist in der Regel ein Tischgebet: "Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von dir, wir danken dir dafür". Und den Abschluss des Tages bildet ein Abendgebet: "Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe meine Augen zu, Vater, lass die Augen dein über meinem Bette sein".

Im evangelischen Hauptgottesdienst gibt es neben dem Introitus und dem Vaterunser zwei vorformulierte Gebete. Das Kollektengebet besteht in der Regel nur aus einem einzigen Satz, benennt das Thema des Sonntags und endet mit einer trinitarischen Formel. Das Fürbittengebet, das nicht selten von dem Gebetsruf "Herr, erbarme dich" unterbrochen wird, besteht in der klassischen Form aus vier Teilen: der Fürbitte 1. für die Kirche, 2. für die Welt, 3. für Menschen in Not und 4. für die Beter selbst.

Das freie Gebet

Im Bereich des landeskirchlichen Pietismus und der Freikirchen wird das freie Gebet, meist in Form der Gebetsgemeinschaft, gepflegt. Das heißt konkret: Alle Beter sitzen in einem Kreis und jeder von ihnen kann spontan das sagen, was ihn gerade bewegt. Manche Beter schließen ihren Beitrag mit einem "Amen" ab, damit der nächste Beter weiß, dass er weitermachen darf. Ein doppeltes "Amen", das nur von einem vorher bestimmten Gebetsleiter gesprochen werden darf, signalisiert das Ende der Gebetsgemeinschaft. Die Erfahrung zeigt, dass dieses freie Gebet nicht immer so frei ist, wie der Name vermuten lässt. Vielmehr handelt es sich nicht selten um einen Kreislauf aus immer wiederkehrenden Formulierungen, der nur durch vorformulierte Gebete wieder aufgebrochen werden kann.

Das freie Gebet wird z.B. gepflegt bei der Allianzgebetswoche, die von der Deutschen Evangelischen Allianz jedes Jahr jeweils in der zweiten Januarwoche in fast allen deutschen Städten veranstaltet wird. An jedem Abend treffen sich die Beter in einer anderen Gemeinde und teilen sich - nach einer gemeinsam gehörten Predigt - in verschiedene Gruppen auf, die parallel Gebetsgemeinschaften durchführen. Diese Form des Gebets nennt man "Bienenkorb".

Es ist vor allem dem Pietismus zu verdanken, dass das Gebet die Mauern der Kirche durchbrochen hat und in die Häusern der Protestanten Einzug gehalten hat.

Hausandacht und Stille Zeit

Bei der kleinen Hausandacht liest der Vater oder die Mutter die Herrnhuter Losung des Tages, dann den Lehrtext und das Echo der Gemeinde, meist in Form eines Liedverses. Bei der großen Hausandacht wird auch das aktuelle Tagesblatt des Neukirchner Kalenders vorgetragen. Die Vorderseite dieses Kalenderblattes enthält eine Bibelauslegung, die Rückseite ein Glaubenszeugnis, meist in Form einer Geschichte.

Wenn ein Mitglied der Familie Geburtstag hat, singt die ganze Familie das Lied "Lobe den Herren" (EG 317) von Joachim Neander. Dann liest der Vater oder die Mutter den Psalm 103 "Lobe den Herrn, meine Seele". Schließlich segnet der Vater oder die Mutter das jeweilige Geburtstagskind, oder es wird von einem anderen Familienmitglied gesegnet.

Die persönlichste Form des Gebets ist die "Stille Zeit", die sich der Pietist am Anfang oder am Ende eines jeden Tages gönnt. Diese Andachtsform besteht aus einer Schriftlesung und einem Gebet, manchmal auch aus einem Lied. Das stille Gebet ist jedoch nicht auf den Bereich des Pietismus beschränkt.

"Ich bete jeden Abend. Das beruhigt unheimlich, ich schlafe dann viel ruhiger ein, weil ich mit mir im Reinen bin." (Dieter Bohlen, Stern Nr. 41/2008.)