Die Idee kam Renate Kölsch auf dem Jakobsweg. Bei Mindelheim traf die Meringerin einen älteren Herrn, mit dem sie sich über ihr Vorhaben unterhielt, von Mering aus den Pilgerweg bis nach Santiago de Compostela an der spanischen Westküste zu laufen. »Mädel, hast du denn keine Bibel«, habe der Mann sie gefragt, berichtet Kölsch. Und er empfahl ihr: »Schreibe sie ab, dann wird sie dir den richtigen Weg zeigen.«
Das war 2003. Kölsch nahm den Rat ernst: Zusammen mit drei weiteren Mitgliedern der Meringer St.-Johannes-Gemeinde rief sie ein Bibel-Abschreibeprojekt ins Leben. Evangelische und katholische Gemeindemitglieder sollten zusammen die vier Evangelien mit der Hand abschreiben. »Jeder durfte mitmachen«, sagt Arne Bieringer, einer der vier Initiatoren des Projekts: »Wir freuten uns über jeden, der dabei war.«

Das fertige Buch hat 806 Seiten

Es war ein Langzeit-Projekt, das Renate Kölsch, Arne Bieringer, Rolf Huth und Marcus Willauer damals anstießen. Fast 14 Jahre dauerte es, bis die Handschrift-Bibel fertig war: Am 31. Oktober 2017, pünktlich zum 500-jährigen Reformationsfest, konnten die Initiatoren das gebundene, 806 Seiten starke »Evangeliar« in der Kirchengemeinde präsentieren. Nun liegt es dauerhaft zur Ansicht in der Kirche aus. »Als es fertig war, haben wir uns umarmt«, sagt Rolf Huth: »Wir waren glücklich.«
Kein Wunder, denn der Weg bis zur fertigen Handschrift-Bibel war nicht leicht. Um beim Schreiben des Evangeliars voranzukommen, riefen die Initiatoren 2004 eine jährliche Bibelnacht ins Leben. Immer am Gründonnerstag entstand im Obergeschoss des Gemeindehauses die »Lutherstube«. Dort wurde die Nacht hindurch geschrieben. »Es war eine tolle Erfahrung, das gemeinsam zu machen«, sagt Arne Bieringer. Viele persönliche Gespräche seien dabei entstanden, Gemeindemitglieder lernten sich kennen – »über Altersgrenzen hinweg«.

Eine persönlich und liebevoll gestaltete Bibel

Insgesamt etwa 80 Menschen beteiligten sich über die Jahre an dem Projekt. Der jüngste Schreiber, Bieringers Sohn Malte, war sechs Jahre alt. »Manche haben als Kind ein Kapitel abgeschrieben – und dann wieder als Erwachsene«, erzählt Vater Bieringer. Bei der Gestaltung der einzelnen Kapitel waren die Schreiber völlig frei. Es gibt Zeichnungen, Aquarelle, Hervorhebungen. Entstanden ist so eine sehr persönliche, liebevoll gestaltete Bibel, die einzigartig ist. Und das soll sie auch bleiben: »Es wird nur dieses eine Exemplar geben«, sagt Kirchenvorstand Huth. Auch die Bibelnacht ende mit der Fertigstellung des Evangeliars. »Nun sind andere dran – mit einem neuen Projekt«, meint Huth.
Renate Kölsch hat ihr persönliches Pilger-Projekt ebenfalls abgeschlossen. Den Weg nach Santiago de Compostela sei sie bis zum Ziel gegangen, schreibt sie im Vorwort zum Evangeliar: »Die Texte der Bibel »haben mich jedoch innerlich noch weiter gebracht. Ich bin mir selbst nähergekommen.«