Jairus war Synagogenvorsteher in Galiläa und Vater einer zwölfjährigen Tochter. Bald schon hätte sie heiraten sollen. Nun aber lag sie sterbenskrank in ihrem Bett, und er, ihr Vater, konnte nichts für sie tun. Kein Arzt, keine Medizin hatten ihr geholfen. Jairus muss verzweifelt gewesen sein, als er plötzlich hörte, dass Jesus in der Gegend sei. Von diesem Wanderprediger, seinen Lehren und Taten, hatte Jairus schon gehört. Ihn würde er um Hilfe bitten. Er würde seine Tochter retten – ganz bestimmt!

Jairus machte sich also auf den Weg, er drängte sich durch die Menschenmenge, die Jesus umringte, "und als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen und bat ihn sehr und sprach: Meine Tochter liegt in den letzten Zügen; komm und lege ihr die Hände auf, dass sie gesund werde und lebe." (Markus 5, 22 f.) Zum Glück erkannte Jesus die Not des Jairus und sein Vertrauen auf ihn und willigte ein. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück.

Jairus ist verzweifelt über seine Tochter

Besonders eilig hatte Jesus es allerdings nicht, musste Jairus schnell feststellen. Und das, obwohl für seine Tochter doch jede Minute zählte. Es war nicht leicht, vorwärtszukommen inmitten all dieser Menschen, die Jesus sehen und mit ihm reden wollten.

Jairus’ Erleichterung über die zugesagte Hilfe wich wieder aufkeimender Verzweiflung, als Jesus dann auch noch stehen blieb und eine Diskussion darüber anfing, wer gerade seine Kleider berührt habe – in einer Menschenmenge, in der die ganze Zeit jeder jeden anrempelte. Auch die Jünger fragten erstaunt nach, was das denn solle: "Du siehst, dass dich die Menge umdrängt, und sprichst: Wer hat mich berührt?" (Markus 5, 31) Jesus jedoch ließ sich nicht beirren. Da meldete sich eine Frau zu Wort, die seit Jahren an Blutfluss gelitten hatte. "Ich wusste, ich werde gesund, wenn ich nur dein Gewand berühre", erklärte sie, und Jesus antwortete: "Meine Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht; geh in Frieden." (Markus 5, 34)

Jairus’ Tochter war tot

Dann endlich ging es weiter, doch als er aufblickte, sah Jairus bereits Boten auf sich zueilen. Sofort wusste er, was geschehen war. "Deine Tochter ist gestorben; was bemühst du weiter den Meister?" (Markus 5, 35), meinten sie nur und wollten ihn mit sich ziehen. Die Trauer um seine Tochter überrollte ihn fast, als er Jesus sagen hörte: "Fürchte dich nicht, glaube nur!" (Markus 5, 36)

Jairus beschloss, Jesus einfach weiterhin zu vertrauen. Der ließ einen Großteil seiner Jünger bei der Menschenmenge zurück und eilte nun endlich mit ihm und seinen engsten Vertrauten nach Hause. Das Geheul der Klageweiber war schon von Weitem zu hören. Traurig und aufgebracht liefen alle durcheinander, als Jairus sein Haus betrat. Jesus aber blieb weiter unbekümmert. "Was lärmt und weint ihr?", fuhr er die Klageweiber an, als gäbe es gar keinen Grund für ihr lautstarkes Ritual. "Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft." (Markus 5, 39) Die Klageweiber, die sich ja auskannten mit dem Tod, lachten ihn aus, als er sie zur Tür hinauswarf.

War das wirkloch Jairus' Tochter?

Plötzlich war es still im Haus. Jesus forderte Jairus, seine Frau und die vier anwesenden Jünger auf, mit ihm ins Zimmer des Mädchens zu kommen. Jairus sah seine Tochter reglos in ihrem Bett liegen. Sie atmete nicht mehr, und dabei hatte er seinem Kind doch immer ein langes und glückliches Leben gewünscht. Jesus ließ die Eltern aber gar nicht weiter nachdenken. Noch ehe sie wussten, was geschah, ging er zu dem Mädchen hinüber, "ergriff das Kind bei der Hand und sprach zu ihm: Talita kum! – das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Und sogleich stand das Mädchen auf und ging umher." (Markus 5, 41)

Sprachlos starrten Jairus und seine Frau ihre Tochter an und konnten gar nicht fassen, was sie da sahen. War das ein Geist, oder war sie wirklich wieder lebendig geworden? Jesus machte auch jetzt kein großes Aufhebens um die Sache und riet ihnen nur, sie sollten dem Mädchen etwas zu essen geben. Da begriff Jairus, das war tatsächlich seine Tochter, lebendig und gesund wie früher – ein Geist kann schließlich nichts essen.

Jairus sollte die Geschichte geheim halten

Unbändige Freude machte sich in ihm breit, am liebsten wäre Jairus gleich auf die Straße gerannt und hätte jedem erzählt, dass seine Tochter lebte, wirklich und leibhaftig. Jesus aber gebot den Eltern "streng, dass … niemand wissen sollte" (Markus 5, 43), was gerade geschehen war.

Natürlich erzählte Jairus die Geschichte später trotzdem immer wieder. Zu groß war seine Freude, als dass er dieses Wunder hätte für sich behalten können. Bald wusste jeder im Ort, mit welcher Selbstverständlichkeit Jesus den Tod überwunden und der Tochter des Jairus das Leben neu geschenkt hatte.

Wie lässt sich das erklären?

Kann das wahr sein? Gibt es solche Wunder, oder handelt es sich um eine symbolische Erzählung? Wie lässt sich das wissenschaftlich erklären? Hat jemand die Geschichte erfunden, um Menschen zu beeindrucken? Oder ist hier aus einer psychologisch erklärbaren Heilungsgeschichte durch Übertreibung eine Totenauferweckung geworden? – Solche und ähnliche Fragen kommen Lesern der Erzählung in der heutigen Zeit schnell.

Für die Menschen in biblischer Zeit spielten diese Fragen jedoch keine Rolle. Ihnen galt alles als Wunder, was sie auf göttliches oder auch dämonisches Wirken zurückführten. Über naturgesetzliche Wahrscheinlichkeiten dachten sie dabei nicht nach. Gerne aber schmückten sie die Geschichten im Lauf der Zeit weiter aus, um die Besonderheit des Wunders noch deutlicher zu machen. Wahrscheinlich haben solche Wundererzählungen trotzdem einen historisch wahren Kern. Jairus erlebte, wie Jesus seiner Tochter in irgendeiner Form ein neues Leben ermöglichte. Für ihn wurde wahr, was Jesus verkündete: Das Reich Gottes ist bereits angebrochen, Gott hat Gutes mit den Menschen im Sinn und führt jeden, der sich ihm im Glauben zuwendet, auf den Weg zum Leben.

Jairus und seine Tochter - ein Steckbrief

DER NAME: griech. der Leuchtende, der Erleuchtete

BERUF: Synagogenvorsteher

HERKUNFT: Galiläa

DIE ZEIT: zur Zeit Jesu

WICHTIGE BIBELSTELLE: Markus 5, 21-43

WIRKUNGSGESCHICHTE: Bis ins Mittelalter hinein wurden Totenerweckungen wie die der Tochter des Jairus in der christlichen Kunst gerne dargestellt, häufig findet man sie auf Sarkophagen. Sie symbolisierten die Macht und Göttlichkeit Christi. Später beschäftigte sich u. a. Rembrandt (1606-1669) mit dem Thema, es sind einige seiner Zeichnungen dazu überliefert.

ZITAT: "Meine Tochter liegt in den letzten Zügen; komm und lege ihr die Hände auf, dass sie gesund werde und lebe."
(Markus 5, 23)

Totenerweckung - ein theologisches Stichwort

TOTENERWECKUNGEN: Schon das Alte Testament erzählt von Totenerweckungen, also von der Rückkehr bereits Verstorbener. Im Neuen Testament bewirken Jesus und einige Apostel Auferweckungen. Die Erzählungen weisen darauf hin, dass Jesus den Tod überwinden und zum Leben führen kann. Die Auferstehung unterscheidet sich von Totenerweckungen dadurch, dass sie den Menschen nicht in das irdische Leben zurückholt, sondern in ein neues Leben führt, in dem es keinen Tod mehr geben wird.