Ich erinnere mich an meine Zeit als Kindergartenpapa. Da hatte ich manchmal die Chance, den Kindern beim Spielen zuzusehen. Die Kinder stehen zu dritt in der Gartenecke unter einem Hollerbusch, sie planen gemeinsam, was sie spielen wollen: "Wir sollten alle Pferde haben und wir sollten zusammen durch die Gegend reiten. Ja, und Du solltest auch der Bestimmer sein, sagt der Junge zu dem Mädchen. Das dritte Kind nickt. Und los geht‘s!

Das eine Wort ist für mich neu gewesen: Der Bestimmer. Der Bestimmer gibt vor, in welche Richtung sich das Spiel bewegen soll, er oder sie achtet auf die Regeln und kann im Notfall sogar Streit schlichten. Niemand hat den Kindern beigebracht, dass sie so etwas wie einen Bestimmer brauchen, aber irgendwie hat sich diese soziale Rolle festgesetzt.

Der Bestimmer

Später heißt der Bestimmer dann Klassensprecherin oder Klassensprecher.

Am Anfang des Schuljahres werden sie gewählt. Lehrerinnen und Lehrer beobachten genau, wen sich die Klassen aussuchen. Manchmal runzeln wir die Stirn und manchmal gibt es positive Überraschungen. Später als Erwachsene wählt man dann Personen in den Stadtrat, in den Landtag oder den Bundestag. Und immer wieder ist es dieselbe Frage: Wer soll der Bestimmer sein? Wer ist für diese Aufgabe geeignet?

In diesem Herbst wird gefühlt ständig gewählt: Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, Wahl in Österreich. In einer Woche wählen die evangelischen Kirchengemeinden Vertreterinnen und Vertreter in den Kirchenvorstand und in drei Wochen Wahlen in den USA.

Oft beobachte ich: Menschen wollen jemanden an der Spitze haben, der Stärke zeigt. Klare Kante, Festung Europa, hartes Durchgreifen gegen dies und das.

Ich denke dann immer: "Starke Männer" habe ich eigentlich schon genug gesehen – das hat sich nicht bewährt.

Obwohl ich autoritäre Parteien oder Politiker nur schwer ertrage, werde ich unzufrieden, wenn eine klare Leitung fehlt. Eine Regierung, die mit ruhiger Hand die Bewegungen der Zeit nur moderiert aber keinen Gestaltungswillen zeigt, ist für mich unbefriedigend. Da wächst auch in mir die Lust auf Autorität. Ich bin verwirrt.

Welche Form von Autorität will ich also?

Wie geht ein guter Umgang mit der Macht? Die Frage ist nicht neu. Seit es Menschen in Gesellschaften gibt, wird sie immer wieder gestellt. Auch in der Bibel. Ich suche dort nach Hinweisen.

Der König der Bäume

Im biblischen Israel gibt es nicht von Anfang an einen König. Lange Zeit behilft sich das Volk mit so genannten Richtern, die in Zeiten der Not kurzfristig berufen werden. Dann aber schwingt sich ein erster Mann zum König auf, Abimelech von Sichem. Um an die Macht zu kommen, erschlägt er seine zahlreichen Brüder – zum Antritt gleich ein Verbrechen. Ein einziger Bruder überlebt – fast wie im Märchen. Als Zeuge der Grausamkeit seines Bruders tritt er auf. Er steigt auf einen Berg, alle sollen ihn sehen und hören, und er erzählt eine Geschichte:

Einst zogen die Bäume los. Sie wollten einen König über sich salben.
Also sagten sie zum Olivenbaum: "Sei du unser Herrscher!" Doch der Olivenbaum antwortete ihnen: 'Soll ich denn keine Oliven mehr hervorbringen. Mit ihrem Öl werden Götter und Menschen geehrt. Nein, ich will nicht über den Bäumen schweben!'
Da sagten die Bäume zum Feigenbaum: 'Auf, sei du unser Herrscher!' Doch der Feigenbaum antwortete ihnen: 'Soll ich denn keine Feigen mehr hervorbringen? Die Früchte sind süß und schmecken köstlich. Nein, ich will nicht über den Bäumen schweben!'
Da sagten die Bäume zum Weinstock: 'Auf, sei du unser Herrscher!' Doch der Weinstock antwortete ihnen: 'Soll ich denn keine Trauben mehr hervorbringen? Mit ihrem Saft werden Götter und Menschen erfreut. Nein, ich will nicht über den Bäumen schweben!'
Schließlich sagten alle Bäume zum Dornbusch: 'Auf, sei du unser Herrscher!' Da antwortete der Dornbusch den Bäumen: 'Ist das euer Ernst? Wollt ihr mich wirklich zum König über euch salben? Dann kommt und sucht Schutz in meinem Schatten! Sonst soll Feuer von meinen Dornen ausgehen und die Zedern vom Libanon fressen!' (Richter 9,8-15)

Ausgerechnet der Dornbusch!

Zum König, der ja eigentlich – nach antikem Ideal – fruchtbarer Baum und Hüter des Volkes sein soll, wird hier der Dornbusch erwählt. Stachelig und kratzig, kaum einen halben Meter hoch, ohne Früchte, ohne Schatten. Nur zum Feuermachen ist er geeignet – und damit droht er dann auch: Kommt her, sucht Schutz in meinem Schatten, aber wehe ihr wendet euch gegen mich. Ich werde alles verbrennen, bis hoch an die Grenze im Norden. Viel deutlicher kann die Skepsis gegen das Königtum kaum sein.

Ich stelle mir vor, wie diese Geschichte in den folgenden Jahrzehnten des Königtums in Israels flüsternd weiter erzählt wird... hinter vorgehaltener Hand: "Kennst du schon die Geschichte vom König der Bäume? Die muss ich Dir erzählen."

Und dann ist da vielleicht ein Lachen, denn der ‚Dornbusch‘ ist ja bekannt. Und am Ende ist da vielleicht betroffenes Schweigen. Alle ahnen, wie schlimm die Folgen für ein Volk sind, das sich so einen Bestimmer wählt. Alle ahnen es?

Warum wählen sie dann so?

Saul – Der erste König

Der erste richtige König der Bibel heißt Saul. Samuel, der Prophet, der lange Zeit die Geschicke des Volkes begleitet hat, wird alt. Seine Söhne sind als Nachfolger nicht geeignet. Das Volk will einen echten König. So einen, wie ihn auch die Nachbarvölker haben. Sie quengeln richtig. Der Prophet ist ratlos. Gott tröstet ihn: Sei nicht traurig über den Wunsch des Volks, sie verwerfen nicht dich, sondern mich. Schon der Wunsch nach einem König ist ein Fehler – so erzählt es die Bibel.

Gott lässt sie warnen: "Das wird teuer. Eure Söhne und Töchter werden am Hof dienen, Steuern werden anfallen und die Preise steigen. Das muss euch klar sein!" Das Volk will trotzdem unbedingt einen König, also bekommen sie einen. Gottes Wahl fällt auf Saul:

Es war ein Mann vom Stamm Benjamin, mit Namen Kisch, ein tüchtiger Mann. Der hatte einen Sohn mit Namen Saul; der war ein junger, schöner Mann, und es war niemand unter den Israeliten so schön wie er, um eine Haupteslänge größer als alles Volk. (1. Samuel 9,1f)

Ach, sieht der gut aus, sagen die einen. Mit seiner Größe fordert er den Respekt eines jeden, sagen andere. Mich fasziniert, wie gut die Bibel die Menschen kennt... und wie sie sich lustig macht über solch oberflächliche Kriterien.

Wem wir Macht anvertrauen

Wem also sollen wir Macht geben, und wem besser nicht? Allein die Körpergröße und das Aussehen können doch nicht darüber entscheiden! Ich suche nach Kriterien, die einen guten König von einem schlechten König unterscheiden, eine gute Präsidentin von einer schlechten.

Wer ist ein guter Bestimmer, eine gute Bestimmerin? Wem sollen wir Macht anvertrauen?

Saul wird zum König gesalbt. Er ist ehrgeizig und feiert schnell erste Erfolge. Erfolg macht beliebt und es geht ihm und seinem Volk gut. Dann taucht ein anderer junger Mann auf, David. Er ist weder groß noch gutaussehend, aber er hat Mut und Gottvertrauen. Er geht durch sein Leben, als könnte ihm nichts Schlimmes geschehen. Als Hirte verjagt er regelmäßig Raubtiere, beschützt und verteidigt seine Schafe. Viele Geschichten ranken sich um David. Am berühmtesten ist die, wie er für das ganze Volk gegen einen riesengroßen Feind kämpfen will: Goliath.

Dafür will König Saul dem kleinen David seine teure Rüstung leihen, und sein großes Schwert. Rüstung und Waffen, hartes Metall und Stärke – daran glaubt Saul. Dem zarten Hirtenjungen ist das fremd. "Ich kann das alles nicht brauchen, es ist mir zu schwer, so kann ich mich nicht bewegen! "Er steht vor dem König und legt ihm die Waffen wieder vor die Füße.

Und dann Goliath – der lacht ihn nur aus. David schwingt seine Steinschleuder und zerschmettert dem Riesen die Stirn. Der kleine David rettet eine ganze Armee. Seit diesem Tag, so erzählt die Bibel, wird König Saul von einer tiefsitzenden Angst verfolgt: Ist David etwa beliebter als ich? Wie viele jubeln für ihn? Wie viele jubeln mir zu? Mich erinnert diese Angst an den Wahlkampf in den USA: Donald Trump ist besessen von Zahlen – und er hat offensichtlich Angst, nicht der Beliebteste zu sein.

Macht wirkt auf zweierlei Weise:

Auf der einen Seite weckt die Macht Gestaltungsfreude und gesunden Ehrgeiz, auf der anderen Seite aber schürt sie die Angst vor dem Machtverlust und weckt Misstrauen. Die lauernde Angst und die rasende Eifersucht bewirken, dass Saul immer selbstbezogener wird. Er dient nicht mehr seinem Auftrag, er beginnt mehr und mehr um sich selbst zu kreisen. Und er vergisst Gott.

Gott aber, so beschreibt es die Bibel, will Gehorsam. Das Wort klingt in unseren Ohren altbacken und gestrig. Gemeint ist damit aber nur: Saul soll einhalten, wofür er angetreten ist. Er hat einen Dienst zu tun. Es geht dabei nicht um ihn als Person, es geht um seine Fähigkeiten in Bezug auf sein königliches Amt. Sobald er davon abirrt und sobald er beginnt, sich selbst als Person mit seinem Amt zu verwechseln, verliert er seine Legitimation. Gott zieht seinen Segen von Saul zurück, dieser versinkt in eine gefährlich brodelnde Trübsal. Saul wir zur Gefahr für sich und andere.

Dieser Saul ist ein Prototyp für Despoten in ihrer Spätphase: Männer, die so sehr vom Machtwillen und vom Misstrauen zerfressen sind. Sie lassen niemanden mehr an sich heran. Sie ertragen keine Kritik. Gegner, die ihnen gefährlich werden, bekämpfen sie mit allen Mitteln. Bemerkenswert, wie die Bibel die Geschichte des ersten Königs nutzt, um zu zeigen, wie es schief geht, mit der Macht und den Machthabern.

Gesetze für den König

Der König im biblischen Israel ist nicht allein an der Macht. Die Priester am Tempel agieren unabhängig und dann gibt es noch die Propheten, die gerne beraten, oft aber auch – im Namen Gottes – harte Kritik an den Machthabern üben. Priester und Propheten widmen dem König sogar ein eigenes Gesetz.

In meiner Fantasie stelle mir das manchmal so vor: Die Könige der Region begegnen sich beim jährlichen Königstreffen und sie vergleichen ihre Stärke. Schau meinen Wagen. So viele PS, so dicke Reifen – und so weiter. Die Könige vergleichen ihre Paläste, ihre Schätze und ihre riesigen Gräber, die sie sich schon zu Lebzeiten bauen lassen –

Still dabei sitzt der König von Israel. Er soll auch mal sagen, was er denn nun Tolles hat, "Na, sag doch mal, wie iss‘es denn so bei Dir?" Und der König von Israel erzählt von dem Gesetz, das er befolgen muss. "Ein Gesetz?? Das du befolgen musst?" Die anderen Könige können es gar nicht glauben: "Hey, was ist falsch mit Dir, du meinst das doch nicht ernst, oder?" Und ich sehe sie vor meinem inneren Auge, wie sie sich lustig machen...

Naja, das ist eine etwas alberne Vorstellung, so ein jährliches Königstreffen ist natürlich Quatsch, aber – das Besondere am alttestamentlichen Königtum kommt dabei gut rüber. Der König muss sich an Regeln halten. Göttliche Regeln.

Es sind gar nicht viele:

Er soll sich fern halten vom Einfluss anderer Mächte und Gottheiten, er soll keine Angriffsarmee aufbauen und er darf sich keine Schätze anhäufen. All das hat zum Ziel, dass der König im Interesse des Volks und nicht im eigenen Interesse handelt. Er soll mit allen auf Augenhöhe bleiben. Und dann:

  • Sobald der König den Thron besteigt, soll er sich von diesem Gesetz eine Abschrift anfertigen lassen. Er soll darin lesen, jeden Tag, sein Leben lang, um Gott zu folgen und seine Gebote zu halten.
  • Er darf keineswegs von diesen Geboten abweichen, damit seine Herrschaft lange währt. (vgl. 5. Mose 17, 14-20)

Das ist das Wichtigste: Gott vertrauen, ihm folgen. Sich die Gebote hinter die Ohren und noch mehr ins Herz schreiben. Sie sein Leben lang lesen und leben.

Recht und Gerechtigkeit

König im alten Israel. Kanzler in Deutschland. Präsidentin der USA. Eigentlich ist es immer die gleiche Frage. Taugt die Person, die sich zur Wahl stellt, was? Und: Wie will man das entscheiden?

Die Bibel nennt Kriterien. Sie sind glasklar. Recht und Gerechtigkeit sollen den König leiten. Er soll nach gerechtem Ausgleich streben und er soll für die Witwen und die Waisen eintreten. Witwen und Waisen – das sind die Menschen, die im antiken Recht keine eigene Stimme haben. Sie haben auch keinen Vertreter, der für sie das Recht erstreiten könnte. Das ist die Aufgabe des Königs. Heute können ‚Witwen und Waisen‘ selbst für sich eintreten, sie brauchen den männlichen Vormund nicht mehr. Heute sind diese Menschen vielleicht die schwer kranken, die Dauer-Arbeitslosen, die kaum eine Lobby haben und natürlich auch Flüchtlinge.

Das Schicksal der Schwächsten in der Gesellschaft wird an den Thron des Königs geknüpft. Daran wird er gemessen. Das beeindruckt mich. Ich finde es hochaktuell und bitter nötig.

Wenn wir also das nächste Mal eine Person in ein leitendes politisches Amt wählen oder eine Regierungspartei, können wir uns überlegen: Wie sieht eine Politik aus, die zu einem Land führt, in dem Recht und Gerechtigkeit herrschen – im Sinne der Barmherzigkeit Gottes.

Der König auf dem Esel

Der Prophet Sacharja hat eine Vision und Hoffnung….

Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Retter ist er.
Er ist arm und reitet auf einem Esel, einem jungen Esel, geboren von einer Eselin.
Dann werde ich die Streitwagen aus Efraim beseitigen und die Schlachtrosse aus Jerusalem.
Wenn die Waffen des Krieges zerbrochen sind, wird euer König Frieden stiften unter den Völkern.
Seine Herrschaft reicht vom einen Meer bis zum andern und vom Eufrat bis ans Ende der Erde. (Sacharia 9,9f)

An diesem König auf dem Esel müssen sich alle Herrscher messen lassen. Die Waffen werden schweigen.

Die Vision, die eine menschenfreundliche Politik leitet, darf nicht eine Vision der Stärke sein. Nicht Waffen und Rüstungen sind die Rettung, nicht Abschreckung und Unterdrückung können das letzte Ziel sein. Am Ende muss es einen Frieden geben, der Recht und Gerechtigkeit herstellt.

Eine Politik kann und muss vielleicht vorübergehend hart durchgreifen, muss Stärke zeigen, aber sie darf die Vision nicht verlieren. Die Machthaber, die den Konflikt im Nahen Osten immer weiter befeuern, agieren nicht im Interesse ihrer Völker. Längst gibt es Kräfte in allen beteiligten Ländern und Gruppen, die raus wollen aus der Spirale der Gewalt. Aber es gibt Personen und Interessengruppen, die nur dann an der Macht bleiben, wenn der Krieg weiter geht. Auch das ist längst bekannt.

Ich hoffe so sehr, dass alle Seiten irgendwann begreifen, dass der Tod des Gegenübers keine Lösung ist, dass das Leben und die Zukunft nicht durch Raketen, sondern durch Dialog und Freundschaft gesichert werden können.

Recht und Gerechtigkeit, der Blick auf die Schwächsten, die Fürsorge für Frauen und Kinder, die gar nicht erst zu Witwen oder Waisen werden sollen. Ach, wie sehne ich mich nach Machthabern, die das endlich begreifen. Ich sehne mich danach, dass auch unsere Gesellschaft begreift: wir können unser Land nicht im Konflikt miteinander in die Zukunft führen.

Ob der gottgesandte König, je kommen wird, weiß ich nicht. Aber die Sehnsucht nach solch einem König leitet mich. – Ich werde also diejenigen wählen, die den biblischen Maßstäben, die ich gefunden habe, am ehesten gerecht werden. So gut ich eben kann.

Politiker sein ist keine einfache Aufgabe. Die Verlockungen der Macht sind stark.

Hoffentlich finden sich immer wieder Menschen, die bereit sind, ohne Machtgier und ohne Eitelkeit, ohne Angst und Misstrauen diesen schweren Dienst auf sich zu nehmen. Und dann über das Leben in unserem Land und in der Welt bestimmen.

Mit Recht und Gerechtigkeit – und vielleicht mit Gott in ihrem Herzen.

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