Am bekanntesten ist natürlich der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung. Mit ihm kann man nicht nur die politischen Positionen der großen Parteien überprüfen, sondern auch die von interessanten Newcomern wie "Demokratie in Bewegung", überflüssigen Altlasten wie der NPD oder Satirikern wie der Partei "Die PARTEI" (die Buchstaben stehen für "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative").

Es gibt aber auch einen Steuer-O-Mat, der verspricht, die Auswirkungen der Steuerpläne der Parteien aufs eigene Einkommen zu berechnen, und einen Agrar-O-Mat, der die Positionen der Parteien in Sachen Landwirtschaft vergleicht. Dann ist da der Digital-O-Mat, mit dem die Wählerinnen und Wähler mit nur zwölf Klicks herausfinden können, mit welcher Partei sie bei netzpolitischen Themen auf einer Wellenlänge liegen.

Auch die Diakonie hat sich erstmals auf den Markt der "O-Maten" begeben: Ihr Sozial-O-Mat arbeitet mit zwölf Thesen, die mit "stimme zu", "stimme nicht zu", "neutral" oder "These überspringen" beantwortet werden müssen. Überprüfen lassen sich so sozialpolitische Positionen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, FDP und AfD zu den Themengebieten Familie, Flucht, Pflege und Armut. Einen kleinen erhobenen Zeigefinger gibt es gratis dazu: Beispielhafte Geschichten zeigen, welche Auswirkungen die verschiedenen politischen Ansätze und Haltungen (der Parteien und damit auch ihrer Wähler) für die betroffenen Menschen haben.

Nur ein Relig-O-Mat fehlt bisher

Nur einen Relig-O-Mat oder einen Kirch-O-Mat gibt es nicht. Wir durchforsten deshalb hier die Parteiprogramme einmal auf die Themen Kirche und Religion hin – in alphabetischer Reihung:

GRETCHENFRAGE

Altmeister Johann Wolfgang von Goethe verdanken wir das geflügelte Wort "Gretchenfrage". Im Vers 3415 seines "Faust" wird die Titelfigur von der umworbenen jungen Margarete Gretchen unverhofft mit der Frage konfrontiert: "Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?" Und bekanntlich drückt sich Faust um eine eindeutige Antwort.

Kurz vor der Bundestagswahl haben wir eine politische Variante der Gretchenfrage an die vier bayerischen Landtagsabgeordneten gestellt, die auch Mitglied der evangelischen Landessynode sind. Und die Wahlprogramme von AfD, CDU/CSU, FDP, Grünen, Linken und der SPD auf diese Frage hin durchforstet.

Von den 76 Seiten des "Programms für Deutschland" der AfD beschäftigen sich rund zwei Seiten mit dem Thema Religion – allerdings geht es lediglich darum, wie sehr der Islam im "Konflikt mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" steht. "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", heißt es. "In der Ausbreitung des Islam und der Präsenz von über 5 Millionen Muslimen, deren Zahl ständig wächst, sieht die AfD eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung." Viele Muslime lebten zwar rechtstreu, die AfD wolle "jedoch verhindern, dass sich abgeschottete islamische Parallelgesellschaften weiter ausbreiten". Die AfD lehnt Minarette "als islamisches Herrschaftszeichen ebenso ab wie den Muezzin-Ruf, nach dem es außer dem islamischen Allah keinen Gott gibt". Beides stehe "im Widerspruch zu einem toleranten Nebeneinander der Religionen, das die christlichen Kirchen, jüdischen Gemeinden und andere religiöse Gemeinschaften in der Moderne praktizieren".

Die AfD fordert ein allgemeines Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit und im öffentlichen Dienst. Islamunterricht an deutschen Schulen diene nicht der Integration, sondern verhindere echte Integration: "Integration heißt nicht, dass Deutschland sich Muslimen anpasst. Integration heißt, dass die Muslime sich Deutschland anpassen", meint die AfD.

"Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben" ist der Titel des Wahlprogramms von CDU/CSU. Es umfasst 75 Seiten, etwa anderthalb sind Kirche und Religion gewidmet. Nach einem Bekenntnis zur Religionsfreiheit und Trennung von Staat und Religion folgt eines zur Aufklärung und dem "christlich-jüdischen Erbe", das Deutschland bis heute präge. Beide "sind und bleiben ein wichtiges Fundament". Gewürdigt wird ausdrücklich der "unverzichtbare Beitrag zum geistigen Leben in Deutschland und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt", den die christlichen Kirchen leisten. Auch den "Einsatz für Millionen Christen, die in anderen Ländern wegen ihres Glaubens bedrängt und verfolgt werden", schreiben sich CDU und CSU auf die Fahnen. In ihrem "Bayernplan" fordert die CSU ein Ende der "Unkultur des Wegschauens. Vielmehr muss Christophobie weltweit gebrandmarkt werden."

Es war der CDU-Bundespräsident Wulff, der sagte: "Der Islam gehört zu Deutschland." Im Programm findet sich die Formulierung nicht: "Die in Deutschland lebenden Muslime tragen mit ihren Ideen und ihrer Arbeit seit Langem zum Erfolg unseres Landes bei und gehören deshalb zu unserer Gesellschaft." Zurückhaltend geht es weiter: "Wir wollen helfen, dass sich der friedliche und integrationsbereite Islam in Deutschland auf dem Boden des Grundgesetzes so organisiert, dass er Verhandlungs- und Dialogpartner von Staat und Gesellschaft sein kann."

Die CSU betont in einem eigenen Abschnitt "Unser Land ist und bleibt christlich geprägt": "Christliche Kirchen prägen unsere Orte, und in den christlichen Traditionen wurzelt unser Brauchtum. (...) Wir sind tolerant und respektvoll gegenüber anderen Religionen, aber wir führen keine islamischen Feiertage ein. Wir müssen unsere christlichen Wurzeln bewahren."

87 Seiten umfasst das Wahlprogramm der FDP mit dem Titel "Denken wir neu". Etwa eine Seite widmen die Freien Demokraten dem Thema Religion. "Bei innerer Liberalität und Toleranz kann es für niemanden Rabatt geben", heißt es in dem Programm. Auch die FDP will deshalb den "Blasphemie-Paragrafen" 166 StGB abschaffen. "Toleranz gegenüber der Intoleranz" dürfe es dagegen nicht geben: "Wir erwarten von religiösen Führern eine deutliche Absage an jegliche religiöse Begründung von Terror und Gewalt und ein Bekenntnis zum Respekt und zur Toleranz gegenüber Anders- oder Nichtgläubigen".

Die Liberalen fordern die "Gleichbehandlung von Kirchen-, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften". Zentral sei bei jeder Religionsausübung die Orientierung am Grundgesetz. Und die FDP tritt für eine völlige Aufhebung des gesetzlichen Sonntagsschutzes ein: "In unserer modernen, digitalisierten Lebensrealität erscheinen feste gesetzliche Öffnungszeiten antiquiert", heißt es. Jedes Geschäft soll selbst entscheiden können, wann es öffnet und schließt.

Von den 248 Seiten ihres Wahlprogramms "Zukunft wird aus Mut gemacht" widmen die Grünen dem Thema Religion etwa 2,5 Seiten. Leitkultur einer "vielfältigen, offenen Gesellschaft" sind für die Grünen die "Grundrechte des Grundgesetzes". Sie betonen den "hohen Wert des arbeitsfreien Sonn- und Feiertags", aber auch, dass "die Zahl der Menschen ohne organisierte religiöse Bindung gestiegen ist". Die Grünen wollen deshalb "der wachsenden Vielfalt der Bekenntnisse in Deutschland" gerecht werden. Die Stoßrichtung: "Die historischen Staatsleistungen an die beiden großen christlichen Kirchen wollen wir endlich ablösen. Die Kirchenfinanzen sollen transparenter werden." Den "Blasphemie-Paragrafen" 166 möchten die Grünen aus dem Strafgesetzbuch streichen, weil nach ihrer Ansicht "der ›öffentliche Friede‹ nicht durch kritische Kunst bedroht wird, sondern durch religiöse und politische Fanatiker*innen". Kein heiliges Buch stehe über dem Grundgesetz und den Menschenrechten. Für die Grünen gehört "der Islam zu Deutschland, wie alle anderen Religionen und Weltanschauungen". Die Grünen streben gegenüber den Kirchen gleichberechtigte muslimische Körperschaften an. Allerdings erfüllten die muslimischen Verbände derzeit nicht die vom Grundgesetz geforderten Voraussetzungen.

Die Grünen fordern die Abschaffung des "Dritten Wegs" im Arbeitsrecht von Kirche und Diakonie. Auch hier müsse das Streikrecht gelten, die derzeitigen Loyalitätsforderungen seien "unverhältnismäßig".

"Sozial, Gerecht, Frieden für alle" steht auf dem 136-seitigen Wahlprogramm der Linken. Auf etwa zwei Seiten geht es darin um Kirchen und Religion. Auch die Linken fordern ein Ende arbeitsrechtlicher Sonderwege bei Kirche, Diakonie und Caritas. "Fehlendes privates Wohlverhalten" dürfe nicht mehr Grundlage von Kündigungen in kirchlichen Einrichtungen und Betrieben sein können.

Die Linke beklagt, häufig verberge sich "unter dem Deckmantel der Islamkritik antimuslimischer Rassismus". Sie fordert "die institutionelle Trennung von Staat und Kirche", die Abschaffung der durch den Staat eingezogenen Kirchensteuer und der Militärseelsorge sowie das Ende der Staatsleistungen an die Kirchen. Religionsunterricht soll Wahlfach werden und Ethik Pflichtfach, alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften rechtlich gleichgestellt. Der Austritt aus allen Religionsgemeinschaften und Kirchen müsse kostenlos möglich sein. Ausdrücklich unterstützt die Linke "den Kampf der Gewerkschaften und Kirchen für den erwerbsarbeitsfreien Sonntag".

Die SPD widmet in ihrem 88-seitigen Wahlprogramm "Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit" dem Thema Religion etwa eine dreiviertel Seite. Sie würdigt das bürgerschaftliche Engagement "Freiwilliger, aber auch von Menschen in Verwaltung, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Initiativen und Vereinen, die sich für neu Hinzugezogene einsetzen und die gegen Rassismus aufstehen". Das "Religionsverfassungsrecht" – also das Verhältnis von Staat und Kirche bezeichnet die SPD als "bewährt" und will hier nichts ändern, etwa die Kirchensteuer abschaffen. Sie tritt für eine Öffnung des Religionsunterrichts ein. Einerseits will man "allen Kindern Religions- und Ethikunterricht ermöglichen", weil: "Wer ein aufgeklärtes Wissen über die eigene und andere Religionen hat, ist oft weniger anfällig für Extremismus." Andererseits fordert die SPD islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen, wobei die islamischen Religionslehrer und Imame aber an deutschen Lehrstühlen auszubilden seien. "Muslime und der Islam sind Teil unseres Landes", heißt es bei der SPD.

Spielfiguren in Schwarz, Rot, Gold

WAHLPROGRAMME 2017

Wer vor seinem Kreuz auf dem Wahlzettel die Programme aller etablierten Parteien und der AfD lesen will, muss sich Zeit nehmen. Und zwar deutlich mehr, als man brauchen würde, um das Neue Testament einmal komplett durchzulesen. Die Programme von CDU, CSU, SPD, Grünen, Linken, FDP und AfD umfassen zusammen rund 225.000 Wörter (oder rund 500 DIN-A4-Seiten); der Text von Matthäus bis Offenbarung besteht aus rund 140.000 Wörtern. Rund 20 Stunden Lektüre sollte man durchaus veranschlagen.

Die Grünen tun sich seit Jahren regelmäßig mit den längsten Wahlprogrammen hervor, dieses Mal gefolgt von den Linken, der SPD und der FDP. Am kürzesten ist – wenig überraschend – das Programm der AfD.

Unverständliche Sprache?

Forscher der Universität Hohenheim (Stuttgart) haben die Wahlprogramme 2017 auf ihre Verständlichkeit hin untersucht. Dabei schneidet der "Bayernplan" der CSU zwar am besten ab – mit 12,3 Punkten auf der 20-Punkte-Skala rangiert aber auch er nur im oberen Mittelfeld. Der 30-seitige Text ist zudem laut CSU kein "Gegenprogramm zum gemeinsamen Regierungsprogramm von CDU und CSU, sondern eine sehr klare Zuspitzung aus bayerischem Interesse".

Im Durchschnitt vergaben die Forscher nur 9,1 von 20 möglichen Punkten. Ihr Urteil: Die Wahlprogramme sind eine "verpasste kommunikative Chance". Die Texte widersprächen der Behauptung der Parteien, sie wollten transparent und bürgernah – also: verständlich – sein.

Das Hohenheimer Forscherteam fand unter anderem Bandwurmsätze mit bis zu 90 Wörtern, Wortungetüme wie "Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung" oder für Laien unverständliche Fachbegriffe und Anglizismen wie "Genome-Editing" oder "Small Banking Box" (alle aus dem Programm der FDP). In der Gesamtbewertung seien Union und Grüne erneut am verständlichsten. Schlusslicht sei die AfD, die mit unverständlicher Sprache verwirre.