Im Kirchenraum wird ein günstiges Mittagessen für 1,50 Euro pro Erwachsenen und 50 Cent pro Kind angeboten. Außerdem stehen kirchliche und diakonische Einrichtungen mit Beratungen und Infos zur Verfügung. Der Schweinfurter Dekan Oliver Bruckmann erklärt, weshalb die bayerische Pionier-Vesperkirche mittlerweile fest zu der unterfränkischen Stadt gehört.

 

Ist die Vesperkirche im vierten Jahr ihres Bestehens noch aus der Stadt wegzudenken?

Bruckmann: Das ist sie tatsächlich nicht mehr. Und das merkt man daran, dass die Vesperkirche übers ganze Jahr hinweg immer wieder Thema ist. Nicht nur in der Kirchengemeinde, sondern eigentlich überall. Man wird immer wieder darauf angesprochen - und meistens sind die Rückmeldungen sehr, sehr positiv.

Welchen Schwerpunkt haben sich Diakonie und Kirche dieses Jahr für die Vesperkirche gesetzt?

Bruckmann: Wir haben uns kein eigenes Jahresmotto auferlegt, sondern wir stehen wieder unter der Überschrift »Gemeinsam für Leib und Seele«, wie in den vergangenen Jahren auch schon. Wir bieten ja neben der Möglichkeit, gemeinsam zu essen und sich zu begegnen, auch Beratungen an - das ist Motto genug.

Es gibt inzwischen viele Nachahmer - freut Sie das als bayerische Pionier-Vesperkirche?

Bruckmann: Ja, na klar. Das freut uns sehr. Und ich fände es auch gut, wenn die Landeskirche noch mehr hinter diesem Thema stehen würde. In Bayern gibt es das Potenzial aus dem noch zarten Pflänzchen eine landesweite Bewegung zu machen wie im Heimatland der Vesperkirchen, in Baden-Württemberg.

Was meinen Sie damit, dass die Landeskirche noch mehr hinter dem Thema stehen könnte?

Bruckmann: Wir wurden damals als erste Vesperkirche in Bayern von Diakonie und Landeskirche unterstützt - ich fände es gut, wenn jedes Jahr ein bis zwei Vesperkirchen eine finanzielle Starthilfe erhalten! Die muss gar nicht so umfangreich sein. Man könnte als Landeskirche aber zeigen, dass man das wertschätzt.

Eine Vesperkirche ist keine »Armenspeisung« - wie groß ist der Anteil sozial Bedürftiger unter den Gästen?

Bruckmann: Das ist relativ schwer zu beantworten, weil man das den Menschen nicht an der Nasenspitze ansieht - zum Glück! Natürlich kennt man viele der Leute, die zu uns kommen, und da sind auch einige dabei, denen das vergünstigte Essen bei uns nicht nur gesellschaftlich, sondern auch finanziell eine Hilfe ist.

Schweinfurter Dekan Oliver Bruckmann
Schweinfurter Dekan Oliver Bruckmann

Was haben denn sozial besser gestellte Menschen für ein Interesse, in die Vesperkirche zu kommen?

Bruckmann: Lassen Sie es mich so zusammenfassen: Das Bedürfnis nach Begegnung und Teilhabe und nach einer Zeit, in der man Gemeinschaft erlebt und wirklich satt wird an Leib und Seele, das ist sehr groß und allgemein feststellbar - das gilt eben auch für Menschen, die deutlich mehr im Geldbeutel haben.

Anders gefragt: Hat sich am sozialen Klima in der Stadt durch die Vesperkirche etwas verbessert?

Bruckmann: Das ist eine gute Frage - woran könnte man das denn sehen? Ich hoffe, dass sich das soziale Klima in der Stadt durch unsere Vesperkirche ein bisschen verbessert hat. Wir werden oft gefragt, warum wir die Vesperkirche nicht länger machen, oder zwei Mal im Jahr. Das spräche sehr dafür.

Herr Bruckmann, wie schaut es heuer mit der Finanzierung der Schweinfurter Vesperkirche aus?

Bruckmann: Wir sind guter Dinge. Zum einen haben wir einen der Sozialpreise der bayerischen Landesstiftung erhalten und damit 10.000 Euro. Das ist schon mal ein schöner Anfang. Außerdem ist die Bereitschaft der Schweinfurter Bürger, für ihre Vesperkirche zu spenden, ungebrochen - das ist wirklich großartig!

Wird es mit den Jahren schwerer oder leichter, ausreichend Sponsoren für das Projekt zu finden?

Bruckmann: Es wurde bisher von Jahr zu Jahr leichter, weil das Projekt Vesperkirche und was genau es bedeutet natürlich immer bekannter wird. Das war vor der ersten Vesperkirche im Januar 2014 schon schwerer - man musste eben viel erklären. Wir hoffen, dass das so weitergeht, weil die Arbeit wichtig ist.

In den vergangenen Jahren hatten Sie eher zu viele statt zu wenige Helfer. Ist das noch immer so?

Bruckmann: Ja, nach wie vor. Die Vesperkirche hat eine enorme Ausstrahlung auf die Menschen. Das macht es vermutlich sehr attraktiv, da mitzuhelfen. Weil man direkt sieht und spürt, dass man bei einem sehr sinnvollen und hilfreichen Projekt mitarbeitet. Diese Begeisterung freut uns als Organisatoren.

Das klingt alles so einfach und problemlos. Hakt es eigentlich nie? Ist das nicht ein enormer Kraftakt?

Bruckmann: Und wie! Unglaublich ist das. Den Kirchenraum zum Speisesaal umzubauen ist da noch das kleinste Problem. Sie müssen rund 300 Leute koordinieren, Einsatzpläne schreiben, Lücken an den weniger beliebten Tagen stopfen. Das ist viel Arbeit - aber sie ist erfüllend und sinnstiftend. Deshalb läuft's.

Was sind Vesperkirchen?

Evangelische Vesperkirchen haben vor allem in Baden-Württemberg eine lange Tradition. Im "Ländle" gibt es mehr als 30 solcher Angebote, meistens in größeren Städten, der regionale Schwerpunkt liegt traditionell eher in Württemberg. In Bayern sind Vesperkirchen ein vergleichsweise neues Angebot der evangelischen Kirche. Im Januar und Februar 2015 fand in Schweinfurt die erste offizielle Vesperkirche im Freistaat statt - als ein von der Landeskirche und bayerischer Diakonie ausgelobtes Pilotprojekt, um das sich damals die Gemeinden bewerben konnten. Den Zuschlag erhielt damals die Gemeinde St. Johannis in Schweinfurt.

Auf dem Programm stehen in den Vesperkirchen ein günstiges Essen, Kaffee und Kuchen, Begegnung mit anderen Menschen, Beratungsangebote und oft auch kulturelle Veranstaltungen. Das Angebot richtet sich vor allem an bedürftige Menschen, willkommen ist aber jeder. Weitere Vesperkirchen gibt es in Bayern derzeit nur noch in der Nürnberger Gustav-Adolf-Gedächtniskirche in Nürnberg sowie im Stadtteil Langwasser. Katholische Kirchen bieten keine Vesperkirchen an.

www.vesperkirche-schweinfurt.de

www.vesperkirche-nuernberg.de