Die pfälzische Gemeinde Herxheim am Berg wird ein Gutachten über die umstrittene "Hitlerglocke" in der evangelischen Jakobskirche in Auftrag geben. Auf diesem Weg sollen die gesetzlichen und denkmalrechtlichen Bestimmungen geklärt werden, auf deren Grundlagen die Gemeinde im Anschluss entscheiden könne, sagte Ortsbürgermeister Ronald Becker. Er rechne damit, dass die Arbeit an dem Gutachten rund zwei bis drei Monate dauern werde.

Der Gemeinderat hat am vergangenen Montag beschlossen, die Glockensachverständige der Evangelischen Kirche der Pfalz, Birgit Müller, zu beauftragen. Zudem sei entschieden worden, eine Gedenktafel zu entwerfen, die die Geschichte der Glocke erläutert. Der Entwurf soll in enger Abstimmung mit dem Presbyterium der Kirchengemeinde entstehen. "Die Gedenktafel soll an der Kirche oder in der nahen Umgebung angebracht werden", sagte Becker. Während man auf den Ausgang des Gutachten warte, werde bereits über den Text beraten. Verschiedene Vorschläge lägen schon vor.

FERNSEHTIPP

Die Sendung Kontraste berichtet heute Abend (31. August) um 21.40 Uhr über die Herxheimer Hitlerglocke. Wiederholungen der Sendung sind auf tagesschau24 um 23.30 Uhr sowie am Freitag, 1. September, um 10.30 Uhr und 20.15 Uhr zu sehen. Auch über die Mediathek des Ersten ist die Sendung nach ihrer Ausstrahlung abrufbar.

Glocke nicht auf der Denkmalliste

Seit Wochen erregt die 1934 gegossene Glocke die Gemüter in dem rund 750 Einwohner zählenden Herxheim am Berg im Landkreis Bad Dürkheim. Zunächst hatte der Ort erwogen, den Kirchturm zu schließen, um den Zugang zu der Glocke mit Hakenkreuz und der Aufschrift "Alles fuer's Vaterland - Adolf Hitler" zu verhindern.

Die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz hat die Jakobskirche als Kulturdenkmal aufgeführt, nicht jedoch das Geläut. "Die Glocke taucht in den Akten nicht auf", sagte Landeskonservatorin Roswitha Kaiser dem Evangelischen Pressedienst. Dennoch zählten in der Regel mit der Kirche verbundene Gegenstände mit zum Denkmal, näheres soll nun das Gutachten feststellen. Stünde die Glocke zusammen mit der Kirche unter Denkmalschutz, dürfte sie nicht aus dem Turm genommen werden.

Dass es die Glocke mit Inschrift und Hakenkreuz überhaupt noch gibt, sei ungewöhnlich, sagte die Glockensachverständige Müller. Normalerweise seien Glocken mit solchen Inschriften nach Ende des Zweiten Weltkriegs eingeschmolzen worden. Wahrscheinlich habe die Glocke so lange überlebt, weil sie als Polizeiglocke genutzt wurde, die bei Gefahren die Bürger warnte.

Die spätgotische Chorturmkirche St. Wendelinus in Essingen gehört als ehemalige Simultankapelle Protestanten und Katholiken gemeinsam. Auch in ihrem Turm könnte eine »Hitlerglocke« hängen.
Die spätgotische Chorturmkirche St. Wendelinus in Essingen gehört als ehemalige Simultankapelle Protestanten und Katholiken gemeinsam. Auch in ihrem Turm könnte eine »Hitlerglocke« hängen mit der Inschrift: »Als Adolf Hitler Schwert und Freiheit gab dem deutschen Land, goss uns der Meister Pfeifer, Kaiserslautern«. Überprüft ist das bisher noch nicht: Die Glocken im Turm sind weder über Treppen noch Leitern zugänglich.

Weitere Hitlerglocken in der Pfalz?

Neben der sogenannten Hitler-Glocke in Herxheim am Berg gibt es in Rheinland-Pfalz möglicherweise eine weitere Glocke mit nationalsozialistischer Inschrift. In der Wendelinuskapelle im südpfälzischen Essingen soll eine Glocke mit der Inschrift "Als Adolf Hitler Schwert und Freiheit gab dem deutschen Land, goss uns der Meister Pfeifer, Kaiserslautern" hängen. Das geht aus dem 2008 erschienenen "Pfälzischen Glockenbuch" des Pfälzer Ruhestandspfarrers Bernhard Bonkhoff hervor.

Ein Gutachten wie in Herxheim haben auch die protestantische und die katholische Kirchengemeinde Essingen, denen die Wendelinuskapelle gehört, sowie die politische Gemeinde und der Heimatverein St. Wendelinus bei der pfälzischen Glockensachverständigen Birgit Müller in Auftrag gegeben. Müller sagte, sie könne derzeit nicht bestätigen, dass die Glocke eine derart lautende Inschrift trage. Das sei auch nicht leicht festzustellen, da es keinen einfachen Zugang über eine Treppe oder Leiter gebe, wie der Essinger protestantische Pfarrer Richard Hackländer sagte.

Außerdem misstraut Müller dem "Pfälzischen Glockenbuch". Zwischen dem Buch Bonkhoffs und der Wirklichkeit "klafft eine Lücke", sagte sie. Vieles stimme nicht mit der Realität überein, da das Buch in großen Teilen aus Akten recherchiert worden sei. Der Kritik Müllers widerspricht Bonkhoff. Er selbst habe alle Glocken, die er beschrieben habe, selbst gesehen.

»Alles für's Vaterland - Adolf Hitler« steht zusammen mit einem Hakenkreuz auf einer Glocke in der Herxheimer protestantischen Kirche.
»Alles für's Vaterland - Adolf Hitler« steht zusammen mit einem Hakenkreuz auf einer Glocke in der Herxheimer protestantischen Kirche.

KOMMENTAR

"Alles für’s Vaterland – Adolf Hitler" steht zusammen mit einem Hakenkreuz auf der Kirchenglocke, die im pfälzischen Herxheim zum Gottesdienst läutet. Wie soll man da Andacht halten und guten Gewissens "Von guten Mächten" des NS-Opfers Dietrich Bonhoeffer singen? Dass eine Organistin da an Streik denkt, ist nachvollziehbar.

Was könnte das heißen, "Verantwortung für ein fragwürdiges Erbe zu übernehmen", wie es der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen, den Herxheimern geraten hat? Auf die bösen Medien zu schimpfen, die die Sache "enthüllten", wird nicht helfen. Nicht sie haben die Sache skandalisiert, die Hitlerglocke selbst ist der Skandal.

Mit der Gemeinderatsentscheidung, die Glockensachverständige der Evangelischen Kirche der Pfalz, Birgit Müller, mit einem Gutachten zu beauftragen, hat Herxheim etwas Zeit gewonnen. Die Glocke hängen lassen, den Turm absperren, auf gnädiges Vergessen hoffen, weiter läuten, und unten die Kirche vielleicht mit einer Hinweistafel versehen, all das kann die dauerhafte Lösung trotzdem nicht sein.

Vielleicht ist es mit der Herxheimer Hitlerglocke ähnlich wie mit der Kunst, die die Nazis den Juden raubten: Solange man nichts wusste (oder wissen wollte), schien alles gut zu sein. Wohlgemerkt: Schien.

Doch Unrecht bleibt Unrecht, und eine den Führer lobpreisende Glocke mit Hakenkreuz bleibt eine den Führer lobpreisende Glocke mit Hakenkreuz.

Wo eine Sache öffentlich wird, kann man die Augen nicht mehr verschließen. Raubkunst gehört ihren Besitzern – und die Hitlerglocke eingeschmolzen und zum Beispiel als Bonhoefferglocke neu gegossen. Oder jedenfalls außer Betrieb genommen und als "Denkmal" musealisiert.

Ein aufrichtiger Umgang mit der Geschichte kostet Mühe, ist manchmal schmerzhaft, und er kostet Geld. Protestanten müssen sich ihn leisten, und sie können ihn sich ihn leisten.

Markus Springer