Er ist eine Rarität, zumindest in Süddeutschland. Fast lebensgroß, mit goldenem Gewand, goldenen Flügeln und einem goldenen Lorbeerkranz in seinen Händen. Die meiste Zeit schwebt er über den Dingen, nur für Taufen wird er von der Kirchendecke herabgelassen: der Taufengel in der evangelischen Kirche St. Peter und Paul in Rüdenhausen bei Würzburg. Im Barock waren die Taufengel eine "weit verbreitete Mode", sagt der Rüdenhäuser Pfarrer Martin Fromm. Heute gebe es noch 450 aktive Taufengel, vor allem in Norddeutschland. Südlich des Mains, und erst recht in Franken, sei der Rüdenhäuser der einzige seiner Art.

Seinen ersten Taufengel hat Fromm fernab von Unterfranken gesehen, in Ostpreußen. "Ich fand das faszinierend", sagt er. Denn in Kirchen mit Taufengeln gibt es keinen festen Taufstein, der Engel hängt am Seil und wird bei Bedarf abgesenkt. "Ich habe mich nicht wegen des Taufengels auf die Pfarrstelle Rüdenhausen beworben", sagt Fromm schmunzelnd. Eine schöne Kirche sei ihm aber schon wichtig. Das ist St. Peter und Paul zweifellos - nicht nur wegen des Taufengels, sondern auch wegen der Herrschaftsloge der Casteller Grafen. Als die Kirche 1712 fertig erbaut war, war die Grafschaft noch eine eigene lutherische Landeskirche.

Taufengel - woher stammt der Brauch?

Noch vor ein paar Jahren vermuteten die Rüdenhäuser, dass der Engel zu Ehren der Gattin von Landesherr Graf Johann-Friedrich I. eingebaut wurde - diese stammte aus Schleswig-Holstein, und dort sind Taufengel zur damaligen Zeit weit verbreitet. Doch im Taufbuch der Jahre 1718 bis 1807 findet sich ein Eintrag, der diese Version als eher unwahrscheinlich erscheinen lässt. Die Tochter des Baumeisters Johann Michael Zäuner, der auch die Rüdenhäuser Kirche gebaut hat, vermachte der Gemeinde mit ihrem Tod 50 Gulden - das war im Jahr 1778. Davon sei "der Engel zur H(eiligen) Tauffe" angeschafft worden, heißt es im Taufbuch.

Wenn der Engel also erst später in die Kirche eingebaut wurde und gar nicht von Anfang an eingeplant war, zielt auch die allgemeine Erklärung ins Leere, weshalb Taufengel im Barock überhaupt so beliebt waren: Da die meisten Kirchen damals von Adligen gestiftet wurden oder die Plätze in der Kirche verkauft wurden, sollte es nahe am Altar genug attraktive Sitzplätze geben. Weil Taufsteine in evangelischen Kirchen "traditionell mittig vor dem Altar stehen" und demzufolge die Sicht versperren, "kam die Erfindung der abseilbaren Taufengel sehr gelegen", erläutert Pfarrer Fromm. Für Rüdenhausen scheidet diese Erklärung aber wohl aus.

Engel wird mit Motor von der Decke gelassen

Nach dem Barock allerdings fielen die Taufengel vielerorts in Ungnade. "Fachleute schätzen, dass in Deutschland etwa zwei Drittel aller Engel abgehängt und vernichtet wurden", sagt Fromm. Auch in Rüdenhausen wurde er im 19. Jahrhundert abgehängt - allerdings nur zeitweise. Denn die Rüdenhäuser wollten den Engel, allem Zeitgeist zum Trotz, zurück. Das an seiner statt angeschaffte Taufbecken wurde kurzerhand wieder ausgebaut, der Engel wieder aufgehängt. Seither hat niemand mehr an der Existenz des hölzernen Engels gerüttelt. "Er war auch schon in den vorigen Jahrhunderten eine Rarität in unserer Gegend", sagt Fromm.

Vor ein paar Jahrzehnten wurde der Seilzug des Engels dann endlich elektrifiziert. "Wobei es ohne Strom wohl auch ganz lustig war", erzählt Fromm. Sein eigener Vorvorgänger habe noch auf den Kirchturm steigen und von Hand kurbeln müssen. "Für die Jungs im Dorf war das immer ein riesiger Spaß", sagt der Pfarrer. Denn die Jungs mussten in der Kirche lauthals schreien, sobald der Engel weit genug herabgelassen war. "Er sollte ja nicht halb auf dem Boden liegen", erklärt Fromm. Heute ist das alles einfacher - mit Motor und Sichtkontakt. Damit der Engel nicht beim Taufen wackelt, wird sein Fuß einfach auf einen Holzklotz gestellt.

Die Taufen in Rüdenhausen seien durch den Engel etwas Besonderes, sagt Pfarrer Fromm und zitiert Psalm 91: "Der Herr hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest." Es sei, sagt Fromm, als lege man den Täufling dem Engel geradezu in die Arme, "das ist einfach ein gutes Gefühl".