Ben Fitzgerald, Pastor der Bethel Church in Kalifornien, ist sicher: "97,5 Prozent aller Europäer kennen Jesus Christus nicht." Der Prediger will dringend etwas dagegen tun. "Gott, nimm Europa wieder ein", fordert er und hat zusammen mit seinem Mitstreiter Todd White und anderen die "Awakening Europe"-Initiative ins Leben gerufen. Die nötige Missionierung des alten Kontinents soll in Nürnberg beginnen.

Die Stadt mit seinen noch vorhandenen Bauten aus der Zeit des Nationalsozialismus scheint den beiden Predigern ein idealer Ort, Gott mit Gebeten zu bitten, "die Geschichte neu zu schreiben", erklären sie in einem fünfminütigen Video. "Denn hier sind die Plätze, an denen Hitler sprach." Den Auftrag zu einem solchem Kampf haben sie vor 15 Monaten bei einem Besuch in Nürnberg in einer Vision erhalten, die beide Prediger unabhängig voneinander hatten: Tausende von Menschen sollen nach Nürnberg kommen und Gott bitten "to take back history", erklären sie im Internet-Film.

"Awaking Europe" hat deshalb für die Zeit vom 9. bis 12. Juli vier Tage lang das ganze Nürnberger Grundig-Stadion gemietet, um dort Evangelisationen und Gottesdienste durchzuführen. In der pfingstkirchlichen Szene prominente "Speaker" wie Daniel Kolenda, dem Nachfolger des als "Mähdrescher Gottes" bezeichneten Reinhard Bonnke, Heidi Baker und Walter Heidenreich treten auf. Dazu kommen christliche Kult-Bands wie Jesus Culture, deren Facebook-Seite 2,1 Millionen Menschen mögen.

20.000 Teilnehmer könnten kommen, schätzt der Vorsitzende der Evangelischen Allianz in Nürnberg, Mathias Barthel. Seine und andere Gemeinden innerhalb der Evangelischen Allianz springen auf die "Awakening Europe"-Kamapagne auf. Sie sind mit dabei, wenn die charismatische Bewegung in ganz Nürnberg auf öffentlichen Plätzen ihre Botschaft verbreiten wird.

Kritik an der "Awakening Europe"-Kampagne

"Es macht Sinn, das missionarisch zu nutzen", sagt Barthel. Allerdings ist auch er nicht glücklich mit einigen Formulierungen der Veranstalter. Dass es in Europa nur zwei Prozent Christen gebe, sei nicht haltbar. Auch von martialischer Sprache der Amerikaner, die für "Kreuzzüge für Gott" wirbt, hält er nicht viel.

Die Reden von Kreuzzügen und von Gottes Armee, die "bis auf die Zähne mit Liebe bewaffnet" ist, hat auch Verantwortliche in der evangelischen Landeskirche auf den Plan gerufen. In einer Stellungnahme des Handlungsfelds "Evangelisation" distanziert man sich von diesem Vokabular. Außerdem fordert das Papier von "Awakening Europe" "Respekt gegenüber dem traditionellen Kirchen Europas". Es sei "schlicht unzutreffend", dass es in Europa nur noch zwei Prozent Christen gebe.

Die Stellungnahme, der sich auch das evangelische Dekanat in Nürnberg angeschlossen hat, geht dennoch recht verständnisvoll mit der charismatischen Bewegung um. "Wir verteufeln das nicht", sagte Mitverfasser Pfarrer Michael Wolf, im Nürnberger Amt für Gemeindedienst für das Thema Evangelisation zuständig. "Im Garten Gottes gibt es viele Verschiedene". Auch die charismatisch-pfingstlich geprägte Bewegung gehöre zur weltweiten Christenheit, heißt es folglich im Text. Und man teile das Anliegen, die Frohe Botschaft immer wieder neu und in unterschiedlichen Kontexten zu verkünden.

Eine Sicht auf das kommende Ereignis, die nicht alle teilen. Der Pfarrerin an der Dietrich-Bonhoeffer-Kirchengemeinde in Nürnberg-Langwasser, Griet Petersen, gefällt der Missionierungsstil aus den USA gar nicht. Skeptisch bleibt sie aber vor allem gegenüber der Sicht der Charismatiker auf die Geschichte, die diese ja zurückgewinnen wollen. Ein Zurücknehmen oder Wiedergewinnen der Geschichte könne es nicht geben, sagt Petersen. "Wir tragen Geschichte mit uns und in uns und haben uns mit ihr auseinanderzusetzen und für sie Verantwortung zu übernehmen", erklärt sie und empfiehlt den Vertretern der "Awakening Europe"-Bewegung einen Besuch im nahe gelegenen Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände.

Bei der "Taking back history"-Idee ist auch der Archivarin und Historikerin Andrea Schwarz gar nicht wohl: "Die Geschichte ist, wie sie ist." Sie dürfe nicht verdrängt und nicht verleugnet werden, warnt die Leiterin des Landeskirchlichen Archivs in Nürnberg, die auch Präsidentin der Dekanatssynode Nürnberg ist, "Gedenken ist ein stetes Erinnern."

Die Vision der beiden Initiatoren von "Awakening Europe" kann Schwarz dennoch nachvollziehen. Sie hätten bei ihrem Besuch in Nürnberg wohl erstmals in die Abgründe des Nationalsozialismus geschaut "und sind nun der Auffassung, es muss etwas geschehen".

Wie viele Menschen die Prediger für ihre Sache gewinnen können, ist noch offen. Werbung ist bisher für die Veranstaltung wenig gemacht worden. Es gibt daher schon Kenner der Szene, die mit weitaus weniger Zulauf als 20.000 Leuten rechnen.