Wenn die 55-Jährige zum 1. Dezember ihren Dienst als Nachfolgerin von Matthias Ewelt antritt, ist dies einmal mehr das Ergebnis einer sehr bewussten Entscheidung für eine neue berufliche Station im Leben von Ursula Brecht. Geboren in Stuttgart und aufgewachsen in Tübingen erlebte die Tochter eines Theologieprofessors schon früh ein religiös geprägtes Familienleben auf »Klassisch-Schwäbisch«. Nach einem Wohnortwechsel nach Münster, wo Ursula Brecht schließlich konfirmiert wurde, kollidierte die eher konservative protestantische Lebenswelt mit dem freien Geist der dortigen Gemeinde. »Mitte der 70er, das war die Zeit der Jugendgottesdienste, geprägt von der 68er-Generation, und die Zeit von Theologie und Politik«, erinnert sie sich. Dieses Spannungsfeld brachte die junge Frau schließlich zum Entschluss, Theologie zu studieren.

Nach dem Vikariat in Reutlingen ging es von 1992 bis 1994 nach Heilbronn, wo Ursula Brecht viele Spätaussiedler, aber auch eine Studierendengemeinde der nahen Fachhochschule betreute. »Eine grandiose Zeit«, sagt sie, die mit dem Ruf ihres Ehemanns Hacik Rafi Gazer, ebenfalls Theologe, an die Universität nach Halle endete. 1994 war gerade Tochter Sona Johanna geboren, die Brechts versuchten es erst mit einer Fernbeziehung. Was nicht klappte und die junge Mutter und Pfarrerin zum Entschluss brachte, ebenfalls nach Halle zu ziehen und in Elternzeit zu gehen. Sohn Hayk Philipp erblickte das Licht der Welt, und Ursula Brecht nahm sich die Zeit für die Kinder, die sie in der ostdeutschen Kirchenwelt mit einigem ehrenamtlichen Engagement würzte. Wiederum eine intensive Erfahrung, einerseits für den späteren neuen Job, aber auch für das Familienleben. »Hier wurde der Grundstein dafür gelegt, dass unsere Kinder und wir auch heute noch engen Kontakt haben«, meint Brecht.

1999 startete sie beruflich wieder voll durch und wechselte ins Konsistorium der Kirchenprovinz Sachsen. Mit 36 Jahren war Ursula Brecht verantwortlich für gleich drei große Arbeitsgebiete: Ökumene, Diakonie und »Sonderseelsorge«, was damals unter anderem die Bereiche Gefängnis, Krankenhaus oder Polizei umfasste. Das geografische Gebiet umfasste Sachsen-Anhalt und die preußischen Gebiete von Sachsen und Thüringen. Das bedeutete auch eine rege Reisetätigkeit im Areal. Brecht war auch in die Fusion der Kirchenprovinz Sachsen mit der evangelischen Landeskirche in Thüringen zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland involviert, in der sie schließlich ein Referat inklusive Personalverantwortung bekleidete.

Doch irgendwann war für die mittlerweile erfahrene »Kirchen-Verwaltungskraft« der Punkt erreicht, an dem der Wunsch nach einer neuen Aufgabe als Pfarrerin wieder aufflammte. Und Mann Hacik erhielt den Ruf der Uni Erlangen-Nürnberg, wo er auch heute noch die Professur für Geschichte und Theologie des christlichen Ostens innehat. Die Kinder waren gerade erst im Teenie-Alter. Also stand wieder ein Umzug an, erste Kontakte zur Evangelischen Landeskirche in Bayern wurden geknüpft.

Am 1. Mai 2008 trat Ursula Brecht schließlich ihr neues Amt im Süden Nürnbergs an der Christuskirche an. Völliger Tapetenwechsel: Hier lebte eine Multikulti-Gesellschaft, für die Brecht neue Konzepte einer offenen sozialdiakonischen Stadtteilkirche und für die vier Kindereinrichtungen der Kirchengemeinde entwickelte.

Als stellvertretende Dekanin im Prodekanat Nürnberg-Süd war sie für die Zusammenarbeit der Gemeinden im Nürnberger Süden zuständig und brachte ihre Erfahrungen als Mitglied im Dekanatsausschuss und Finanzausschuss des Nürnberger Dekanats ein. Wiederum eine wertvolle Zeit, die nun aber zu Ende geht. »Ich wollte noch einmal etwas Neues machen«, erklärt Brecht.

Das Dekanat Neustadt an der Aisch mit seinen 37 Kirchengemeinden in 21 Pfarreien ist ein flächenmäßig sehr großes Areal, das die Familie aber bereits gut kennt: Oft ging es zum Wandern hierher, der berühmte Aischgründer Karpfen landete schon oft auf dem Teller im Restaurant. »Ich komme wahnsinnig gerne hierher, schaue mir erst mal alles an und höre gut zu«, verspricht die neue Dekanin. Auf den großen Garten, der zur Wohnung im Dekanatsgebäude gehört, freut sich der Gatte übrigens noch mehr. Ursula Brecht zieht es erst mal zu den Menschen. Und die will sie bald nicht nur mit ihrem Strahlen überzeugen.