Klaus Marschall tippt mit dem Zeigefinger auf einen Eintrag im Gästebuch des Puppentheatermuseums "Die Kiste". "Solche Sätze findet man hier ganz oft", sagt er und zeigt auf den Text einer älteren Dame. Sie sei als Kind schon begeistert gewesen von der Puppenkiste, schreibt die Frau: "Und als Oma geht es mir wieder genauso." 133 solcher Gästebücher haben die Besucher des 2001 gegründeten Augsburger Puppenmuseums bereits vollgeschrieben. Es sind Lobeshymnen in krakeliger Grundschulschrift aber auch freudige Erinnerungen von Erwachsenen - an Urmel aus dem Eis, Lukas den Lokomotivführer oder den Räuber Bill Bo und seine Bande.

Am 26. Februar gründete Walter Oehmichen die Puppenkiste. Das Marionettentheater fasziniert bis heute die Zuschauer, auch wenn seine Bekanntheit gesunken ist. Dafür gibt es die Puppen jetzt auch im Kino - Weihnachten kommt der dritte Film.

Augsburger Puppenkiste: Ein Gefühl von Kindheit

"Wenn Erwachsene in die Augsburger Puppenkiste kommen, fühlen Sie sich gleich in ihre Kindheit zurückversetzt", sagt Marschall. Der 56-Jährige kennt dieses Gefühl. Denn der Enkel des Theatergründers Walter Oehmichen ist mit den Marionetten der Puppenkiste aufgewachsen. In einer Glasvitrine am Eingang des Museums liegt seine erste eigene Marionette: ein kleiner roter Clown mit Spielkreuz und sechs Fäden: "Den hat mir meine Mutter geschenkt, als ich sechs Jahre alt war." Es war der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft.

Als Marschall den Clown bekam, gab es das Marionettentheater schon zwei Jahrzehnte lang. Vor 70 Jahren, am 26. Februar 1948, hatte Walter Oehmichen zusammen mit seiner Frau Rose und den Töchtern Hannelore und Ulla die Augsburger Puppenkiste eröffnet. Premieren-Stück war "Der gestiefelte Kater". Als Spielort hatte die Stadt den Oehmichens ein ehemaliges Spital zur Verfügung gestellt.

In dem Bau aus dem 17. Jahrhundert ist die Puppenkiste noch heute untergebracht. Auf der Bühne im Erdgeschoss laufen jedes Jahr etwa 420 Vorstellungen. Der Spielplan enthält vor allem Märchenklassiker: Aladin und die Wunderlampe, Hänsel und Gretel oder die Bremer Stadtmusikanten. Die "Stars an Fäden", die in den 60er und 70er Jahren die jungen Zuseher begeisterten, sucht man dagegen bei den Aufführungen vergeblich: Urmel, Jim Knopf und die anderen TV-Größen waren stets nur im Fernsehen zu sehen - nie auf der Puppenbühne.

100.000 Menschen besuchen Urmel & Co. jedes Jahr

Dennoch sind sie bis heute wichtig für das Puppentheater. "Mit diesen Figuren haben wir Generationen von Kindern geprägt", sagt Marschall, der die Leitung der Puppenkiste 1992 von seinem Vater Hanns-Joachim übernommen hat: "Heute kommen die Zuseher von damals als Erwachsene hierher und bringen ihre eigenen Kinder und Enkel mit."

So kommt es, dass die Aufführungen in dem knapp 220 Besucher fassenden Theatersaal der Puppenkiste fast immer ausgebucht sind. Rund 100.000 Menschen kommen jährlich zu den Vorstellungen, die Platzauslastung liegt bei 95 Prozent.

Dies zeige, dass das Spiel mit den Holzfiguren trotz Fernsehen, Handy und Internet nichts von seiner Faszination verloren habe, meint Marschall. Gutes Figurentheater sei wie ein gutes Buch, es rege die Fantasie an: "Die Zuschauer müssen sich auf die Geschichte einlassen. Dann beginnen die Figuren darin zu leben." Welche emotionale Tiefe und Nachhaltigkeit dieses Erleben haben könne, merke er dann, "wenn mir ein 50-jähriger Besucher mit leuchtenden Augen noch heute auswendig das Urmellied vorsingt", erzählt der Theaterleiter schmunzelnd.

Bekanntheit des Marionettentheaters sinkt

Marschall weiß jedoch auch, dass der Name Augsburger Puppenkiste längst nicht mehr jedem ein Leuchten in die Augen zaubert: "Unser Bekanntheitsgrad sinkt, vor allem bei den Jüngeren."

Um das zu ändern, hat der Theaterleiter mit seinen 16 Mitarbeitern im Puppenspieler-Team ein neues Standbein aufgebaut. An Weihnachten 2016 und 2017 brachte die Puppenkiste jeweils ein Bühnenstück als Film in die Kinos. "Damit erreichen wir auf einen Schlag genauso viele Zuschauer wie mit der Puppenbühne im ganzen Jahr", sagt Marschall. Auch 2018 wird es deshalb wieder einen Weihnachtsfilm geben: eine Inszenierung der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens für die Puppenbühne.

Mit solchen Projekten hofft Marschall, die Menschen davon zu überzeugen, "dass es wertvoll ist, die Puppenkiste zu besuchen". Und er ist optimistisch, dass das gelingen wird: "Das Figurentheater", glaubt er, "wird ein wichtiger Teil der Kinderkultur bleiben."

Chronik

Mehr als fünf Millionen Menschen haben die Augsburger Puppenkiste in den 70 Jahren ihres Bestehens besucht. Insgesamt gab es dabei nach Angaben des Theaters mehr als 23.000 Vorstellungen auf der Puppenbühne im Augsburger Heilig-Geist-Spital. Eine Chronik:
 

  • 26. Februar 1948: In der Puppenkiste geht erstmals der Vorhang hoch. Premiere hat das Stück "Der gestiefelte Kater".
     
  • 1950: Das Marionettentheater inszeniert erstmals ein politisches Kabarett für Erwachsene. Diese Tradition gibt es bis heute.
     
  • 1953: "Peter und der Wolf" ist die erste Fernsehproduktion der Puppenkiste.
     
  • 1960-1968: Es folgen weitere Fernseh-Projekte wie "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer", "Kater Mikesch", "Der Räuber Hotzenplotz" oder "Bill Bo und seine Kumpane".
     
  • 1969: Mit "Urmel aus dem Eis" wird eine der bekanntesten TV-Geschichten aufgezeichnet.
     
  • 1976: "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" werden in Farbe gedreht.
     
  • 1997: "Die Story von Monty Spinneratz" ist der erste Kinofilm der Puppenkiste. Die Geschichte der mutigen Kanalratte sehen knapp eine Million Kinobesucher.
     
  • 2016: Mit der biblischen Weihnachtsgeschichte bringt die Puppenkiste ein Bühnenstück als Film in die Kinos. 2017 folgt "Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel".