Im dunklen Ausstellungsraum des Maximilianeums leuchten sie – von einer unsichtbaren Lichtquelle zum Strahlen gebracht: Mahbuba Maqsoodis Glasbilde erzählen die Geschichte ihres Lebens, Geschichten von Afghanistan. Porträts von Männern, Frauen und Kindern verschwimmen hinter chiffrehaft angedeuteten Menschenmassen und abstrakten Farbschlieren, die mitunter an geronnenes Blut erinnern. Der einzelne Mensch als Teil der Gemeinschaft, als Teil von etwas Größerem steht immer im Mittelpunkt ihrer Kunst. Wie sollte es auch anders sein bei einer überzeugten Humanistin.

In ihrem Atelier gibt es grünen Tee mit Kardamom – und selbst gebackenem Kuchen mit Kirschen aus dem eigenen Garten. Eine ihrer jüngeren Arbeiten zeigt das Porträt ihres Vaters – ein ausdrucksstarkes Bild eines bärtigen Mannes. Maqsoodi, geboren 1957, verdankt ihm viel: eine gute Schulbildung, die es ihr ermöglichte, als Gymnasiallehrerin in den Fächern Chemie und Biologie zu arbeiten. Sie durfte einen Mann ihrer Wahl heiraten, der Künstler war und ihr zum Lehrmeister wurde. Alles andere als selbstverständlich für eine Frau aus Afghanistan.

Von der Leinwand auf Glas

Ihre Bilder entstehen zunächst auf der Leinwand. Dann überträgt die Künstlerin sie auf übereinanderliegende Glasplatten. Das gibt den Bildern Tiefe und Hintergründigkeit. Der Glasexpertin geht die komplizierte Technik leicht von der Hand. Glaskunst ist schon Jahrzehnte ihr Tagesgeschäft. Zusammen mit ihrem Ehemann Fazl Maqsoodi hat sie als Glasmalerin Großprojekte für realisiert, eine Institution auf dem Gebiet der Mosaik- und Glaskunst, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts Weltruhm erlangte. Für die gebürtige Muslima bedeutete das auch: eine intensive Begegnung mit der christlich-abendländischen Ikonografie und allen ihren Heiligengeschichten.

Als sie 22 ist, marschieren die Sowjets in Afghanistan ein, um die Ausbreitung des radikalen Islam auf die Sowjetrepubliken in Zentralasien zu verhindern. Als Anfang der 1980er-Jahre ihre Schwester Afifa – Rektorin einer Mädchenschule – von Islamisten erschossen wird, flieht Mahbuba mit ihrem Ehemann, dem Künstler Fazl Maqsoodi, nach Russland. Zwei Kunststipendien sichern im fernen Leningrad ihren Lebensunterhalt. Beide promovieren. Der Bürgerkrieg verhindert ihre Rückkehr nach Afghanistan.

Gute Ausbildung ist hilfreich

1994 erhält die mittlerweile vierköpfige Familie politisches Asyl in München. Die profunde künstlerische und handwerkliche Ausbildung der beiden erweist sich für ihr berufliches Weiterkommen rasch als hilfreich. Als Auftragskünstler monumentaler Glasarbeiten werden ihre Namen in Europa und Amerika bekannt. Dann 2010 der große Schicksalsschlag, als ihr Ehemann einem heimtückischen Krebsleiden erliegt.

Über ihr bewegtes Leben hat Mahbuba Maqsoodi jetzt zusammen mit der ehemaligen Lektorin Hanna Diederichs ein bewegendes Buch geschrieben mit dem Titel »Der Tropfen weiß nichts vom Meer«. In poetischen Bildern zeichnet ihre Autobiografie, die auch als Hommage an ihren Vater zu lesen ist, in kurzen Kapiteln Stationen ihrer Lebensreise nach, die wie Mosaiksteinchen ein großes Ganzes ergeben. Dahinter spürt man ihr großes, tief fühlendes Herz, das für die Liebe, Freiheit und ein Leben in Demokratie schlägt.

Mahbuba Maqsoodi hat nie einen Schleier getragen. Auch das ist Thema ihrer Kunst: Einige ihrer Acrylbilder hat sie mit Gaze verhüllt. Die blaue afghanische Burka gehört ihrer Meinung nach in den Mülleimer statt ins 21. Jahrhundert. Gleichwohl sollten auch »die Schleier der Menschen vor dem geistigen Auge verschwinden«, sagt die Mutter zweier erwachsener Söhne, »den tragen leider immer noch viele Menschen.«

 

Buchtipp

Mahbuba Maqsoodi, Hanna Diederichs: Der Tropfen weiß nichts vom Meer, Heyne-Verlag, München 2017, 368 Seiten, 19,99 Euro.