Als Max Mannheimer vor wenigen Monaten starb, hatten viele ein Foto vor Augen: Mannheimer sitzt in der rekonstruierten Häftlingsbaracke der KZ-Gedenkstätte Dachau. Der damals 86-Jährige sitzt da mit gefalteten Händen und hängenden Schultern, nachdenklich ins Nichts starrend. Ein zutiefst anrührendes und zugleich erschütterndes Foto.

Aufgenommen hat es der Regensburger Fotograf Stefan Hanke. Über einen Zeitraum von elf Jahren hat er sich mit Holocaust-Überlebenden getroffen. Er reiste Tausende von Kilometer weit, um die letzten Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager zu treffen.

Sein Weg führte ihn von Rom bis an die Grenze zur Ukraine. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. "Jede Reise barg für mich die Gefahr, einen Menschen weniger kennenlernen zu können, der eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte überlebt hat", sagt er. So reiste er eines Tages nach Polen, aber im Moment der Ankunft wurde der Zeitzeuge beerdigt.

Trotzdem ist es Hanke gelungen, 121 Aufnahmen von den letzten Zeugen zu machen. Die Porträts dokumentieren die intensiven Begegnungen. Hanke traf jüdische Überlebende, Sinti und Roma, politisch Verfolgte, sowjetische Kriegsgefangene und Widerstandskämpfer.

Fotos und biografische Daten

Mannheimer und seine Familie wurden 1943 über Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Sechs Familienangehörige, darunter die Eltern und die Ehefrau, wurden von der SS ermordet, nur die Brüder Edgar und Max überlebten. Sie wurden im Oktober 1943 ins KZ Warschau gebracht und mussten nach dem niedergeschlagenen Aufstand des Warschauer Ghettos die Trümmer aufräumen.

Im Juli 1944 erfolgte die Verschleppung ins KZ Dachau. Mannheimer war durch Hunger und Zwangsarbeit so entkräftet und an Typhus erkrankt, dass er auf 37 Kilogramm abgemagert war. Die US-Armee befreite ihn am 30. April 1945 bei Tutzing aus einem Evakuierungstransport.

Jeder Überlebende wird in der Ausstellung mit Porträtfoto und einem biografischen Text vorgestellt, ein Zitat überliefert die Haltung des Überlebenden. Mannheimer sagte: "Ich habe zwar Auschwitz verlassen können, aber Auschwitz hat mich nicht verlassen." Seit Mitte der 1980er-Jahre verpflichtete er sich dem Wachhalten der Erinnerung. Unzählige Schulkinder haben mit ihm gesprochen, und er erzählte seine Erlebnisse. Bis zu seinem Ende wurde Mannheimer nicht müde, zu berichten.

Dank und Anerkennung

2004 fing Hanke an, nach Überlebenden zu forschen. Schnell merkte er, dass er zu wenig wusste über Deportationswege und die Konzentrationslager im Osten Europas. Es folgte eine intensive Einarbeitungsphase, um die Überlebenden nicht mit "verletzenden Fakten und falschen Fragen" zu treffen. Aber nachdem die Überlebenden die ersten Fotos gesehen hatten, wurde er schnell weitergereicht.

Dafür dass Hanke sich mit Empathie an die Porträts machte, gab es sogar Dank und Anerkennung. So erhielt er zum Beispiel ein Päckchen, das von Maria Gniatczyk kam, die in Bergen-Belsen interniert war. Das Päckchen enthielt Oblaten, die in Polen an Weihnachten nur an Familienangehörige verschickt werden. "Dieses Paket hat mich sehr berührt."

Wenn Hanke einen bewegenden Moment der elf Jahre beschreiben soll, ist es der Augenblick, in dem er mit Leon Weintraub auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg stand. Weintraub wurde 1944 nach Auschwitz deportiert, im Februar 1945 in einem Todesmarsch ins KZ Flossenbürg getrieben. Die französische Armee befreite ihn. Weintraub wurde Arzt. Hanke porträtierte ihn vor der Nürnberger Zeppelintribüne, auf der Hitler zu den Massen sprach. Dort sagte Weintraub: "Ich fühle mich nicht als Opfer, sondern als Sieger.

KZ-Überlebender Leon Weintraub
Leon Weintraub: »Ich fühlte mich nicht als Opfer, sondern als Sieger.«
Maria Gniatczyk, KZ-Überlebende
Maria Gniatczyk: »Was haben die Kinder in Auschwitz getan, nichts.
KZ-Überlebender Stefan Sot
Stefan Sot: »Die Deutschen schienen nach unserer Ankunft im Lager erst nicht zu wissen, welche Farbe sie uns geben sollten. Wir Warschauer waren für sie ja alles nur Banditen. Dann wurden wir alle Politische mit dem roten Winkel, egal ob Baby, Kind oder Erwachsener.«
KZ-Überlebende Milada Cábová
»Der letzte Anblick von Lidice hat alle schönen Erinnerungen in meinem Kopf an Lidice verdrängt. Die Fenster waren weit geöffnet, die vielen Koffer und Kisten verstreut und das Vieh lief überall herum. Selbst im Lager träumte ich davon.« Milada Cábová berührt die Tür der Kirche St. Martin, ein Relikt des zerstörten Lidice/Tschechien.
KZ-Überlebender Wilhelm Brasse
»Der Lagerarzt Obersturmführer Friedrich Entress hatte besonderes Interesse an Tätowierungen. Eines Tages musste ich deshalb für ihn einen deutschen Häftling fotografieren, der von stattlicher Figur war und eine wunderschöne Tätowierung hatte, das ganze Paradies, künstlerisch gemalt in Rot und Blau. Drei Monate später rief mich ein Mithäftling in das Krematorium, er wollte mir etwas Besonderes zeigen. Es war diese Tätowierung, aufgespannt in einem Holzrahmen. Ich fragte ihn, wer das befohlen hätte. Die Antwort: ›Lagerarzt Entress hat es befohlen, wir sollen das Leder sorgfältig gerben, es soll später als Buchumschlag dienen. ‹«
Wilhelm Brasse sitzt zu Hause mit einigen seiner Fotografien, die er in Auschwitz anfertigen musste.
KZ-Überlebende Charlotte Kroll
»Wenn ich Siemens höre, kriege ich das Kotzen.« Charlotte Kroll erinnert sich an ihre schwere Lagerzeit. Sie steht auf den Fundamenten einer Werkshalle des ehemaligen Siemenslagers, unmittelbar neben dem ehemaligen KZ Ravensbrück.
KZ-Überlebender Istvan Hajdu
»Meine erste Entscheidung, als ich meine Beinprothese bekam, war: Ich werde nie mit Stock gehen.« Istvan Hajdu zeigt am früheren Gelände des Städtischen Krankenhauses, wie er nach seiner Beinamputation wieder gehen lernte.
KZ-Überlebender Felix Kolmer
»In Friedland haben wir die sowjetischen Kanonen gehört, es war für uns die Symphonie der Freiheit.« Felix Kolmer zeigt den internationalen Pfadfindergruß. Der Daumen symbolisiert den Starken, der den kleinen Finger, den Schwachen, schützt - eine Überlebensstrategie im Lager für ihn und seine Kameraden.
KZ-Überlebende Dagmar Lieblová
»Nach dem Krieg habe ich natürlich nicht die deutsche Sprache gesprochen. Ja, damals in Auschwitz und Hamburg wurde Deutsch gesprochen. Aber die deutsche Sprache kann doch nichts dafür.« Dagmar Lieblová neben der Wehranlage der Großen Festung in der Gedenkstätte Theresienstadt. Die hohen Wälle waren für die Internierten ein unüberwindbares Hindernis.
KZ-Überlebende Barbara Puc
»Meine Mutter drängte darauf, dass die Tätowierung meiner Nummer am linken Oberschenkel wiederholt wurde. Sie war für meine Mutter die einzige Hoffnung, mich wieder zu finden." Barbara Puc sitzt auf dem gemauerten Verbindungskamin einer Baracke des ehemaligen Männerlagers der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Ihre Mutter gebar sie damals auf einem ebensolchen Kamin in einer anderen Baracke.
KZ-Überlebende Zofia Posmysz
»Am Anfang konnte ich es nicht nachvollziehen, einen Orden aus Deutschland dafür zu bekommen, dass ich erzählte, was Deutsche gemacht haben.« Zofia Posmysz steht am Morgen nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes in einer Baracke des ehemaligen Frauenlagers von Auschwitz-Birkenau. Am linken Arm ist die Tätowierung ihrer Häftlingsnummer zu sehen. Am Revers trägt sie das Verdienstkreuz und am Hals das Medaillon des Christuskopfes von Tadeusz Paolone-Lisowski, zu dem sie eine tiefe spirituelle Bindung hat. Er war an der Organisation des Häftlingsaufstands beteiligt, wurde jedoch vorher erschossen. Zofia trägt dieses Medaillon seit der Lagerzeit.
KZ-Überlebender Coco Schumann
»Wir mussten ›La Paloma‹ spielen, das Lieblingslied der Lagerleitung. Die Kinder, die an uns vorübergingen, schauten mir direkt in die Augen, ich schaute nicht weg. Sie wussten genau, wohin sie gingen. Die Bilder sind auf meiner Netzhaut eingebrannt. Ich kann noch so oft blinzeln. Manchmal hilft mir, dass die Tränen kommen, aber kaum öffne ich die Augen, ist das Bild wieder da. Mit ihnen ist in mir etwas endgültig zerbrochen, das nicht zu reparieren ist.« Coco Schumann im Arbeitszimmer seines Hauses mit einer seiner Gitarren.
KZ-Überlebender Kazimierz Piechowski
»Palitzsch hatte ein kurzes Gewehr, die Frauen mussten nackt sein. Palitzsch befahl: ›Tanzen‹, peng! er erschoss eine Frau. Palitzsch befahl: ›Weitertanzen, los lebhafter, schneller.‹ Peng, peng, er erschoss die nächsten Frauen. Plötzlich rief er: ›Schluss mit dem Zirkus, ihr anderen seid morgen oder vielleicht übermorgen dran.‹« Kazimierz Piechowski steht vor der »Schwarzen Wand«, einer Mauer, die als Kugelfang auf dem Hof zwischen Block 10 und Block 11 diente, dem Lagergefängnis des ehemaligen KZ Ausschwitz. Dort, auch »Bunker« oder »Todesblock« genannt, ermordete die SS sichtgeschützt Tausende Menschen.
KZ-Überlebender Otto Schwerdt
2004 startete der Fotograf Stefan Hanke sein Projekt »KZ überlebt« mit dem Porträt von Otto Schwerdt aus Regensburg.

Buch-Tipp

"KZ überlebt"

Porträts von Stefan Hanke

Hatje Cantz Verlag

ISBN 978-3-7757-4020-3

Preis € 39,80

ISBN 978-3-7757-4197-2

(Deutsch + Englisch) Preis € 49,80