Der Intendant des Theaters ist Katholik, als Oberammergauer Passionsspiel-Leiter sogar einer, der in Bayern weltberühmt ist. Die Autorin des Stücks ist Jüdin, 1985 in Wolgograd geboren, im Alter von zehn Jahren nach Berlin gezogen. In der Bundesrepublik ist sie zu einer deutschsprachigen Dramatikerin mit großer Zukunft aufgewachsen. Sie pendelt zwischen dem Berliner Gorki-Theater und Istanbul hin und her. Der Regisseur des Stücks ist Moslem, 1989 in Garmisch geboren. Er kam als Assistent des katholischen Intendanten zum Theater. Und das Stück selbst verspricht: "Verstehen Sie den Dschihadismus in acht Schritten! (Zucken)".

Klingt spannend? Ist es auch. Und – leider – auch irgendwie nicht.

Das Theater, das ist das Münchner Volkstheater, und Christian Stückl ist sein Intendant. Sasha Marianna Salzmann ist die Autorin, und Abdullah Kenan Karaca ist der Regisseur. Ein großartiges Schauspieler-Ensemble (Jakob Geßner, Carolin Hartmann, Jonathan Müller und Julia Richter) macht aus Salzmanns klugem und vielschichtigem Text ein Theatererlebnis.

Nix is gwiß - außer "Whataboutism"

Wer, wie es der Titel verspricht, auf eine leicht fassliche Gebrauchsanweisung "in acht Schritten" zum Phänomen "Dschihadismus" gehofft hat, sieht sich enttäuscht. Lehre Nummer eins: Einfache Antworten gibt es eben gerade nicht, es kann sie gar nicht geben. Was es gibt: unsere Sehnsucht nach bequemer Vergewisserung in einer überkomplexen, rätselhaften und mitunter furchtbaren Welt.

Bei ihrem ersten Auftritt tragen die vier Schauspieler auf ihren Stirnen zusätzliche Augenpaare. Das Thema ist gesetzt: Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint, keine Gewissheiten, nix is gwiß, wie der Bayer sagen würde. Das an sich Klarheit versprechende Bühnenbild flirrt und oszilliert immer wieder unter Videoprojektionen.

Wirklichkeit? Wahrheit? Gibt es nur im Plural und nur in Annäherungen. Sasha Marianna Salzmann versucht eine solche Annäherung an zeitgenössische Wirklichkeiten in ihrem unterhaltsam-abgründigen Bühnentext. Am Ende kommt sie darin aber nicht über poststrukturalistischen Relativismus und "Whataboutism" hinaus.

"Whataboutism" nennen Briten und Amerikaner jene Diskussionsstrategie, der zu jedem Umstand ein relativierender Parallelumstand einfällt. Die "Kreuzzüge der Christenheit" sind ein gern genommener Whataboutism, wenn es um religiös motivierte Gewalt der Gegenwart geht.

Kollektives Gefühl der Bedrohung und Verunsicherung

Alles hängt eben mit allem zusammen – irgendwie. Bei Salzmann gibt es den "weißen Mann des Westens", der nicht nur sexuell in sich verkrümmt ist, sondern deswegen schließlich auch zum Amokläufer wird. Dann ist da Pawlik, der heimlich schwule Sohn russisch-ukrainischer Eltern, der einen Türken liebt und am Ende vor seinem Coming-Out in den Donezk flieht, um für die russische Sache gegen die Ukrainer zu kämpfen.

Und da ist das Mädchen mit den Identitätszweifeln (oder sind es mehrere junge Frauen?), das im Internet-Chat mit einem attraktiven Finsterling chattet. Der macht so faszinierend klare Ansagen darüber, was richtig ist und was falsch, dass das Mädchen am Ende zum Messer greift.

Ein kollektives Gefühl der Bedrohung und Verunsicherung, die seelischen Abgründe in den Tätern und nicht zuletzt das von den Taten ausgelöste Leid mögen verbinden, was Salzmanns Text verbindet. Aber dass Religion mehr sein kann (und gefährlicher) als eine beliebige Lifestyle-Entscheidung oder harmlose Familientradition? Spielt hier nicht wirklich eine ernsthafte Rolle.

Dschihadismus hat also nix mit dem Islam zu tun. Die Wurzel ist eher so eine allgemeine Verunsicherung. So ist unsere Welt hier im Westen halt. Kennen wir doch alle. Und überhaupt: "What about …?"

Konkurrierende Universalitätsansprüche

Dabei würde es genau von hier weg eigentlich erst so richtig spannend: Warum sind Klamotten, Popmusik, Lifestyles heute global – aber der Universalitätsanspruch in der Defensive, der hinter Menschenrechten und Rechtsstaat westlicher Prägung steht (nicht zuletzt in den westlichen Gesellschaften selbst)?

Wie müsste eine Ideologiekritik am "Alles gleich, alles egal"-Relativismus aussehen? Und wie an konkurrierenden Universalitätsansprüchen ("politischer Islam")?

Vielleicht geht es ja weniger um die falsche Frage nach "Gewissheiten", nach "richtig" oder "falsch", sondern ganz einfach darum, die richtigen Fragen zu stellen. Solche nämlich, die auf dem Weg der Erkenntnis und der "Aufklärung" im guten alten westlichen Sinn weiterführen.

Dass sich Salzmanns Stück jeglicher Ideologiekritik verweigert, ist dann eben auch wieder ein Stück weit – ideologisch.