Dort, wo die Skulptur jetzt steht, stand sie nämlich schon einmal. Wie an vielen anderen Orten in Deutschland war Luther auch hier, mitten in Berlin, als eine Art deutscher Nationalheiliger in Siegerpose, der mit der Bibel in der Hand Geschichte schreibt, 1895 auf Initiative von Berliner Bürgern aufgestellt worden.

An die Bürgerinitiative sollte nun angeknüpft werden, um ein neues Lutherdenkmal zu errichten. Am ursprünglichen Standort ist es vorgesehen und auch in den Maßen der wilhelminischen Denkmalanlage von etwa hundert Quadratmetern. Die alte Bronzeskulptur soll darin ihren Platz erhalten, aber künstlerisch so interpretiert werden, dass das Kritikwürdige an Luther - sein Judenhass etwa und seine Anfälligkeit für autoritäre Herrschaftsausübung - in die Gestaltung einfließt.

So würde ein Luther zu sehen sein, dem die eigenen und die Abgründe der jüngeren Geschichte eingeschrieben sind. Denn »gerade in seiner Gebrochenheit ist Luther ein um so stärkerer Verfechter seiner Lehre«, meint die Pfarrerin der Marienkirche, Cordula Machoni.

Machoni war Sachverständige im Rahmen eines Ideenwettbewerbs zur Neugestaltung des Denkmals, den der Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte Anfang des Jahres ausgelobt hatte. Von den 52 eingereichten Entwürfen wurden vier prämiert und einer als Sieger von der Jury bestimmt. Ausgerechnet der, gegen den sämtliche Historiker und Theologen unter den Sachverständigen votiert hatten.

Entwurf von Albert Weis für das Luther-Denkmal in Berlin.
Ein neues Luther-Denkmal am historischen Ort vor der Berliner Marienkirche: der siegreiche Entwurf des Berliner Künstlers Albert Weis. Gegenüber der Weis-Idee einer Luther-Spiegelung haben Kirchenvertreter »starke theologische Bedenken« angemeldet.

Die favorisierten den zweitplatzierten Entwurf des Münchner Künstlers Werner Mally, Kunstpreisträger der bayerischen Landeskirche 1999. Immer wieder hat Mally seine Gestaltungskraft bewiesen, wo es um das Verhältnis von Glaube und Moderne geht. Zuletzt sorgte Mally mit seiner Neugestaltung der Coburger St.-Moriz-Kirche für Aufsehen, der er einen »Wandelaltar« im Wortsinn verpasste.

Mallys Entwurf für das Berliner Denkmal spielt mit den historischen Tiefendimensionen des Reformators und des kriegszerstörten Orts, holt Luther von seinem Sockel auf Augenhöhe und ermöglicht die »Bespielung« mit Kunstaktionen.

Der Vorschlag des Berliner Künstlers Albert Weis sieht vor, dass die Betrachter nicht mehr wie bei der alten Denkmalanlage mehrere Stufen hinauf- sondern hinabgehen. Anstelle der alten Begleitfiguren Luthers, die die Nazis für ihre Waffenproduktion eingeschmolzen hatten - sechs zu Luthers Füßen lagernde Reformatorenkollegen, samt Luther bewacht von zwei Schwert tragenden Rittern der Reformationszeit -, sind es nun Dietrich Bonhoeffer und Martin Luther King in Form von Zitaten als Leuchtschrift im Boden der Anlage. Dem können die Historiker und Theologen durchaus zustimmen.

»Unreformatorisch und nicht zeitgemäß«

Aber nicht dem Hauptelement: Der historischen Lutherfigur ist diagonal ihr Double gegenübergestellt. Luther ist sozusagen im Gespräch mit sich selbst. Und weil seine Dopplung mit glänzendem Chrom überzogen ist, kann sich der alte Luther darin spiegeln. Problematisch, findet nicht nur Pfarrerin Machoni. Denn Luther habe sich vehement dagegengestellt, dass sich Menschen in ihrer Eitelkeit gegenseitig spiegeln und so gefangen in sich selbst bleiben, so die Theologin. Er habe die Menschen dazu aufgerufen, sich infrage zu stellen, indem sie mit Gott in einen Dialog treten und so ihre Freiheit gewinnen - als Gläubige und als Gestalter ihrer Welt. Deshalb sei der Siegerentwurf nach ihrer Einschätzung »theologisch grandios überholt«. Kurz: Er sei unreformatorisch und nicht zeitgemäß.

Entwurf von Werner Mally für das Luther-Denkmal in Berlin.
Der Schatten des Reformators: der zweitplatzierte Vorschlag des Münchner Bildhauers Werner Mally. Das ursprüngliche triumphale Lutherdenkmal aus dem späten 19. Jahrhundert war im zweiten Weltkrieg zerstört worden. Nur die Luther-Skulptur aus Bronze blieb erhalten. Mally legt dessen ursprünglichen Sockel im Boden frei.

Der Berliner Bischof Markus Dröge ließ seine »starken theologischen Bedenken« gegenüber dem siegreichen Weis-Entwurf bereits im Protokoll des Preisgerichts vermerken: Er könne sich nicht vorstellen, »dass von Seiten der Evangelischen Kirche eine Realisierung dieses Entwurfes unterstützt wird«.

Angesichts dieser Einschätzungen ist die Denkmalneugestaltung vorläufig ins Stocken geraten. Eine öffentliche Podiumsdiskussion am Buß- und Bettag sollte weiterhelfen.

Daraus wurde eine interne Besprechung von Mitarbeitern des Senats, des Stadtbezirks Berlin-Mitte, des Kirchenkreises Berlin-Stadtmitte, von Pfarrerin Machoni für die Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien und dem Künstler Albert Weis.

Denn Machoni hatte im Vorfeld ein intensives Gespräch mit dem Künstler, in dem sich Weis sensibel für die theologischen Einwände zeigte und Erläuterungen gab, die sie um einiges abmildern konnten. So wurde deutlich, dass er nicht an eine Spiegelung des alten Luther im Gegenüber gedacht habe.

Podiumsdiskussion zur Klärung im Frühjahr

Die Chrombeschichtung des Doubles ist unregelmäßig, sodass Luther in ihr ebenso wie die Passanten als eine Art Zerrbild erscheinen, was dem Wunsch nach Darstellung der »Gebrochenheit« des Reformators entgegenkommen könnte. Auch ist Weis bereit, das Double anders als bisher gedacht gegenüber der alten Figur auszurichten.

Nun müssen sich die Theologen und Historiker erneut über seinen Entwurf verständigen. In der Zwischenzeit wird der alte Bronze-Luther Bekanntschaft mit Glühwein, Würstchen und Stollen machen und Kommentare der Vorbeiziehenden über sich zu hören bekommen.

Vielleicht sind manche von ihnen ja bei der nachzuholenden öffentlichen Podiumsdiskussion im Frühjahr des neuen Jahrs dabei, dem nächsten Schritt auf dem schwierigen Weg zum Lutherdenkmal vor der Berliner Marienkirche.

 

  Weitere Bilder der Wettbewerbsarbeiten gibt es hier: www.phase1.de