Heute würde man sagen: Falstaff ist ein "alter weißer Mann", der das Leben aber nicht immer so ernst nimmt. Claudio Otelli bringt ihn mit seiner ganzen "toxischen Männlichkeit" auf die Bühne des Staatstheaters Nürnberg: Fett, verkommen und versoffen, aber von der eigenen Unwiderstehlichkeit zutiefst überzeugt. Und zugleich tief gekränkt, wenn diese von den "lustigen Weiber von Windsor" in Frage gestellt wird.

Denn vom gleichnamigen Shakespeare-Klassiker ist Verdis "Falstaff" inspiriert, der nach seinem "Otello" und "Macbeth" nun noch ein drittes Stück auf Grundlage eines der Werke des britischen Dramatikers auf die Bühne brachte.

Die Damen müssen sich nicht den Nachstellungen Falstaffs erwehren, den sie mit List und mithilfe dessen Dienern Bardolfo und Pistolo aufs Glatteis führen, sondern auch noch den steifen Ford ausschalten, der seine Tochter Nannetta mit der nicht minder ungelenken Spaßbremse Dr. Cajus verheiraten will.

Dönerbude in Hochhaussiedlung

Der Nürnberger Falstaff ist ein Fresssack. Entsprechend ist sein Stammlokal auf der Nürnberger Bühne eine Dönerbude in einer ranzigen Hochhaussiedlung, von wo aus er in die Welt der Reichen und Schönen eindringen will. Das gelingt ihm beinahe, weil die gelangweilten Luxus-Frauen diesen unverschämten, dicken Kerl sehr anziehend finden.

Kurzum: "Falstaff" ist eine Komödie mit einem Protagonisten, dem man gerne beim Scheitern zusieht und Männerfiguren, die so pittoresk wie glaubhaft gezeichnet sind, dass man jeden der Gockel mit Sicherheit schon einmal im wahren Leben gesehen hat. Die Frauen sind weitaus weniger überzeichnet dargestellt, sondern wirken eher emanzipiert.

Mit einem Augenzwinkern, aber mit durchaus tiefem Ernst bleibt am Ende das Ergebnis: "Alles auf der Welt ist Beschiss" – was jedoch nicht weiter schlimm ist, da letztlich doch alle glücklich geworden sind.

Den "Dutzendmenschen" den Spiegel vorhalten

Falstaff singt am Schluss davon, dass die Gesellschaft einen wie ihn braucht, um aus jedem das Beste herauszukitzeln. Georg Holzer, Chefdramaturg für Oper, Ballett und Konzert bezeichnet John Falstaff im Gespräch mit dem Sonntagsblatt als eine wunderbare Theaterfigur, die sehr gut in unsere Zeit passt: Er hält den "Dutzendmenschen", wie sie im Stück heißen, eine radikal augenblicks- und genussorientierte Weltsicht entgegen, wo sie vor allem gut funktionieren und viel Geld verdienen wollen.

"Falstaff ist in seiner Egozentrik keine angenehme Figur, deshalb ist es vielleicht nicht schlecht, dass wir ihn auf der Bühne treffen und nicht in der Wirklichkeit. Aber er ist auch komisch in seinem grenzenlosen Selbstvertrauen und sympathisch in der Selbstironie, die er am Ende offenbart. Schließlich ist ein Nichtsnutz wie er, wie er das selbst sagt, das Salz in der faden Suppe unserer rationalen und kapitalistischen Idee von Gesellschaft",

meint Holzer.

Die schauspielerische Leistung der Akteurinnen und Akteure sind in der Nürnberger Inszenierung jedenfalls mindestens so überzeugend wie die gesangliche. Neben Otelli selbst sticht vor allem Emily Newton als Mrs. Alice Ford in ihrer Partie hervor. Jedoch ist das gesamte Niveau der Sängerinnen und Sänger auf einem sehr hohen Level. Auch der Chor, der zweimal seinen überraschenden Auftritt auf der Bühne hat, überzeugte bei der Premiere ebenso wie die Staatsphilharmonie unter dem Dirigat von Björn Huestege, der die dynamischen Spitzen des Orchesters im Lauten wie im Leisen auslotete.

Verdi als tief spirituelle Legende

Verdi war längst eine lebende Legende, als am 9. Februar 1893 im Teatro alla Scala in Mailand statt die Uraufführung von "Falstaff" stattfand. Wie Georg Holzer erklärt, sei diese eine Sensation gewesen und war gefeiert worden. "Verdis humoristische Seitenhiebe auf religiöse Praktiken dürften bei seinem aufgeklärt-bürgerlichen Publikum in der Metropole Mailand auf viel Zustimmung gestoßen sein", meint Holzer. Verdi habe die katholische Kirche als Hemmschuh für die Modernisierung Italiens angesehen. Falstaff sei aber weniger ein Kritiker der Institution als der modernen, rationalen Gesellschaft im Allgemeinen und ein Vertreter der Diesseitigkeit.

Nach "Falstaff", der ihn größte Anstrengung gekostet hatte, wusste Verdi, dass seine Kraft für eine weitere große Oper nicht reichen würde. Danach widmete sich der Altmeister vorwiegend sakraler Musik. "Seine geistlichen Kompositionen entspringen sicher einer tiefen Spiritualität, ohne die er auch seine Opern nicht hätte schreiben können", so Holzer weiter. Vielleicht seien sie auch eine Reminiszenz an seine Anfänge, als er Organist und Musikdirektor seines Heimatortes Busseto war.