Am Ende bleibt zwischen den bereits von Wagner selbst gesetzten Elementen Heiliger Gral, Abendmahlsritual, Monstranzenthüllungen und einer betont weihevollen Musik bei den Bayreuther Festspielen 2017 dann auch das übrig, was schon im Urtext des 13. Jahrhunderts als Essenz vorhanden war: Der »durch Mitleid wissende reine Tor« ist es, der Erlösung spenden soll. Und zwar vor allem den Protagonisten, die sich in ihrer Welt verrannt haben oder zumindest einmal falsch abgebogen sind. Hier, so könnte man mit Luther argumentieren, bewahrheitet sich in Person des Namensgebers der Oper am Ende das Besinnen auf das Reine, Unverfälschte – sola fide eben. Der reine Tor Parsifal macht sich nichts aus der von wirrer religiöser Symbolik aufgeladenen Welt, die Laufenberg um die Gralsburg gestaltet, sondern spendet am Ende mit seinem heiligen Speer den Segen. Völlig unvoreingenommen, aus einer tiefen Überzeugung heraus, die nicht auf einer verstandesmäßigen Vernunft fußt oder als Ende eines Abwägungsprozesses zu sehen ist, sondern wie von einem göttlichen Funken angefacht aus ihm herauszudringen scheint.

Sitzfleisch und Vorstellungskraft

Bis dahin ist es ein langer Weg. Die drei Akte bringen es – je nach Dirigat – auf eine Netto-Spieldauer von dreieinhalb bis viereinhalb Stunden. Dirigent Hartmut Haenchen hat sich für einen gesunden Mittelweg entschieden und bringt rund vier Stunden Musik zu Gehör. Mit jeweils einer Pause von rund einer Stunde dazwischen muss der Opernfreund also einiges an Zeit und jede Menge Sitzfleisch mitbringen. Und – wie gerade in diesem Olymp der Oper wichtig – einiges an Vorstellungskraft und Bildung.

Denn in diesem Parsifal mischen sich Schauplätze, die im ersten Akt Nahen Osten oder in einem ähnlichen Krisengebiet sein könnten, mit jüdischen Anleihen im zweiten Akt sowie Reminiszenzen an katholische Klöster. Dass Gralsbotin Kundry, die einst Christus am Kreuz verhöhnt haben soll und auf eine Erlösung im Nirwana hofft auch buddhistische Züge trägt, war ebenfalls schon in Wagners Libretto angelegt und trägt nicht unbedingt zur Entwirrung bei. Durch die Szenerie laufen immer wieder Soldaten, die Sturmgewehre gezückt und in einer Kriegsmontur, die täuschend original aussieht. Auch Parsifal selbst tritt im dritten Akt plötzlich als Soldat auf – auch wenn er den Speer zum Kreuz bereits umfunktioniert hat und die Uniform als Tand letztlich ablegt.

Phallisches Kruzifix

Klingsor, der missgünstige und in Ungnade gefallene Gralsritter scheint dagegen einen echten Kreuzfimmel zu haben. Grotesk wird diese Kruzifix-Sammelwut im zweiten Akt, als er mit einem Kreuz herumfuchtelt, dessen langes Ende sich zum phallischen Symbol biegt. Wenn dann am Ende des dritten Akts Juden, Muslime und Christen nach dem »Karfreitagszauber« ihre religiösen Insignien allesamt in einen Sarg legen, wird dann auch endlich klar, worum es Laufenberg geht: Der Mensch muss sich von dem störenden Schmuckwerk rund um seinen Glauben befreien, um Erlösung zu erlangen und die Wahrheit zu finden.

Ob Wagner dabei auch ein bisschen an Luther gedacht hat? Man könnte es so interpretieren. Auch wenn der Meister selbst in seiner Schrift »Religion und Kunst« 1880 die Antwort auf die Deutung seines Parsifals bereits gegeben hat: »Man könnte sagen, dass da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche sie im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfasst, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.«