Maria Magdalena war Jesu Jüngerin. Im apokryphen Evangelium des Philippus (4. Jh.) wird sie "Gefährtin" genannt. Dort heißt es auch: "Der Herr liebte Maria mehr als alle Jünger und er küsste sie häufig auf den Mund..."       

Nahezu jährlich drängen neue "Wahrheiten" über das Leben Jesu auf den Büchermarkt. Selten allerdings sind wirkliche Fakten Grundlage solcher neuen Jesusbilder. Meist versuchen Autoren, die verbliebene Restakzeptanz der Bevölkerung in Bibelfragen zu benutzen, um ihre eigenen Weltanschauungen zu verbreiten.

Diese Jesusbücher verraten deshalb meist mehr über das Denken des Autors als über das Leben Jesu. Im Zeichen weiblicher Emanzipation mutiert er zum verständnisvollen Frauenfreund, angesichts zunehmender ökologischer Probleme zum ersten Umweltschützer, und durch die Kritik am Zölibat tritt er immer häufiger mit Ehefrau auf. Steigende Scheidungsraten haben wohl dazu geführt, dass Jesus bereits eine zweite Ehe zugeschrieben wird: Auf Maria Magdalena als erste Lebens-Abschnitts-Gefährtin solle demnach die Purpurhändlerin Lydia gefolgt sein. Außer spekulativen Hypothesen ist dabei jedoch meist nichts gewesen   

Dan Browns Bestseller "Sakrileg" hat im vergangenen Jahr die Diskussion um das "wahre Leben Jesu" neu angefacht. In dem weltweit 40 Millionen Mal verkauften Thriller verkündet Brown: Jesus war mit Maria Magdalena verheiratet und Vater. Seine Nachkommen hätten bis heute überlebt, vor allem in Frankreich.

Der Autor verbindet damit allerlei Verschwörungstheorien: Die katholische Kirche habe die Familie Jesu verfolgt und verleumdet, bereits Kaiser Konstantin habe im 4. Jahrhundert "tausende von Handschriften" vernichten lassen, die von der Familie Jesu berichteten. In seinem Auftrag seien dann die vier heute bekannten Evangelien geschrieben worden, die die Biografie Jesu verfälschten. In den Schriftrollen von Qumran und in den Schriftfunden von Nag Hammadi in Ägypten sei jedoch die Wahrheit über Jesu Famile überliefert.

Dass Jesus mit Maria Magdalena verheiratet gewesen sei, habe Leonardo da Vinci in seinem weltberühmten Gemälde "Das letzte Abendmahl" verschlüsselt weitergegeben (daher der englische Originaltitel des Buches "Da Vinci Code"): Der "Lieblingsjünger" neben Jesus sei in Wahrheit nicht Johannes, sondern Maria Magdalena.

Nicht nur die weiblichen Züge dieser Figur wiesen darauf hin, auch die brutale Geste des neben ihr sitzenden Petrus (er symbolisiert die Kirche), der Maria Magdalena mit seiner Hand scheinbar den Kopf abschneiden wolle.

Die Hauptfigur des Romans, Robert Langdon, ein Harvard-Professor und Fachmann für Symbolistik, ist der Wahrheit über Jesus eher unfreiwillig auf der Spur. Er wird verdächtigt, den Direktor des Pariser Louvre umgebracht zu haben. Mit der Enkelin des Toten macht er sich an die Aufklärung des Verbrechens.

Geleitet von verschlüsselten Leonardo-Hinweisen beginnt ein Rätseltrip durch die Religionsgeschichte des Abendlandes. Geheimgesellschaften mit den fränkischen Merowingerkönigen, den mittelalterlichen Templern, den Freimaurern und dem "Prieuré de Sion" hätten das explosive Wissen über all die Jahrhunderte treu bewahrt, das den christlichen Kirchen bei ihrer Veröffentlichung den Garaus machen würde. Brown spricht von der "größten Verschleierungsaktion in der Geschichte der Menschheit".

Apokryphe Evangelien

Warum aber eine Ehe Jesu so schrecklich wäre, vermag Brown nicht zu vermitteln. Sicher, manchem käme es seltsam vor, heute Menschen zu begegnen, die genetisch mit Jesus verwandt sind, wobei das durch die Nachfahren seiner leiblichen Brüder und Schwestern durchaus möglich scheint. Allerdings kann kein einziger historischer Hinweis auf eine Ehe Jesu angeführt werden, mit Ausnahme vager Andeutungen apokrypher Evangelien, die erst Jahrhunderte nach dem Tod Jesu abgefasst wurden. Doch selbst wenn Jesus eine Frau und Kinder gehabt hätte, würden dadurch die Grundlagen des christlichen Glaubens kaum berührt werden. Im Neuen Testament geht es nicht um den Zivilstand Jesu, sondern um Glauben, Vergebung und das Reich Gottes.

Würde es sich beim "Sakrileg" lediglich um einen weiteren Roman handeln, der religiöse Themen in fantastischer Weise aufgreift, wäre eine tiefer gehende Auseinandersetzung überflüssig. Problematisch wird die Angelegenheit, weil Dan Brown im Vorwort seines Buches und in Interviews betont, dass die Handlung zwar erfunden sei, nicht aber die erwähnten religiösen "Dokumente" und "Tatsachen". In dieser Behauptung springen ihm zahlreiche als Sachbücher getarnte Glaubensbekenntnisse bei, die den begeisterten "Sakrileg"-Lesern mit plausibel klingenden Wissenssplittern füttern und damit den Eindruck verstärken, Browns Bild der Welt, insbesondere das der Religionen, entspräche der Wirklichkeit. Deshalb soll wenigstens eine der Thesen Browns kritisch hinterfragt werden: War Jesus verheiratet?

Die Ehe bei frommen Israeliten

Dan Brown klärt seine Leser auf, dass es zur Zeit des Neuen Testaments für einen Juden, insbesondere für einen frommen Rabbiner, vollkommen undenkbar gewesen sei, nicht zu heiraten. Tatsächlich wurde die Ehe in der gesamten Geschichte des Judentums grundsätzlich positiv gewertet. Anders als im späteren Katholizismus waren auch Priester und religiöse Lehrer verheiratet.

Nie aber war die Ehe verpflichtende Vorschrift für fromme Israeliten. Berichte über alttestamentliche Propheten wie Elia erwecken durch die Art ihres Dienstes den Eindruck, als lebten sie ohne Frauen (vgl. 1Kön 17f, 2Kön 1). Jeremia soll auf Befehl Gottes ehelos bleiben, um sein Volk auf die drohende Verschleppung hinzuweisen (Jer 16,2ff). Auch im späteren, außerbiblischen Judentum werden unverheiratete Rabbiner genannt. Im Neuen Testament scheint Johannes der Täufer ohne Frau in der Wüste gelebt und gepredigt zu haben (Mt 3,1ff; Lk 3,1ff). Von Paulus, der immerhin pharisäischer Gelehrter war, wissen wir, dass er unverheiratet war (1Kor 7,1.7ff; 9,5). Von dem frommen jüdischen Orden der Essener aus der religiösen Umwelt der christlichen Apostel ist bekannt, dass viele ihrer männlichen Anhänger erst sehr spät oder gar nicht heirateten.

Selbst die von Brown hochgeschätzten apokryphen Schriften erwähnen ledige Männer aus dem Umfeld Jesu. So wird beispielsweise in der Pistis Sophia positiv vom "jungfräulichen Jünger Johannes" berichtet. Im Gegenzug kann Dan Brown auch auf keinerlei Quellen verweisen, die eine Ehe Jesu belegten, weder aus jüdischem, noch aus heidnischem oder christlichem Hintergrund.

Dabei finden sich in den antichristlichen Polemiken jener Zeit durchaus Spekulationen über einen irdischen Vater Jesu, über manipulierte Wunder oder eine künstlich inszenierte Auferstehung. Hinweise auf Jesu Ehefrau hingegen finden sich nicht, obwohl eine noch machtlose Kirche kritische Stimmen nicht hätte unterdrücken können.

Maria Magdalena und Lydia

Erst relativ spät tauchen vage Andeutungen über eine mögliche Ehe Jesu auf. Spätere christliche Generationen bemühten sich, die wissensmäßigen Lücken über Kindheit, Jugend und Privatleben Jesu durch fromme Fantasie zu füllen. Da die Ehe in jener Zeit zwar nicht vorgeschrieben, doch aber Normalfall der meisten Christen war, wurde Jesus zuweilen auch eine Frau angedichtet.

Auf der Suche im Neuen Testament standen diesbezüglich nur wenige freie Frauen zur Auswahl, sodass sich Spekulanten schon bald auf Maria Magdalena als Ehekandidatin einigten. In manchen neueren Publikationen wird entsprechend gegenwärtigen Partnerschaftsvorstellungen mit der Purpurhändlerin Lydia noch eine zweite Lebens-Abschnitts-Gefährtin Jesu ins Gespräch gebracht. Für beide Beziehungen existieren allerdings keinerlei ernst zu nehmende historische Belege.

Doch selbst wenn wir uns auf Browns Ehegeschichte Jesu einließen, kann der Roman nicht vermitteln, warum diese Beziehung den christlichen Glauben und die Kirche zusammenbrechen lassen sollte. Ein Kollaps des Christentums aufgrund einer solchen Erkenntnis wäre kaum zu erwarten. Allerdings spricht auch nichts für eine besondere kirchliche Wertschätzung seiner hypothetischen leiblichen Nachkommen, sofern es sie denn gäbe.

Bei Jesus selbst treten seine leiblichen familiären Verbindungen zu Eltern oder Geschwistern deutlich hinter seiner Beziehung zu seinen Anhängern als geistlichen Geschwistern zurück. Auch in der jungen christlichen Gemeinde genießen Jesu Familienangehörige keine generelle Sonderstellung. Von seinen zahlreichen Geschwistern tritt lediglich sein Bruder Jakobus besonders hervor (Mt 13,55; Apg 21,18; Gal 1,19; 2,9), eher allerdings aufgrund seines vorbildlichen Christenlebens als aufgrund seines Stammbaums.

"Die Ehe zwischen Jesus und Maria Magdalena ist eine historisch verbürgte Tatsache", schreibt Brown. Brown tippt auf Maria Magdalena, kann zur Begründung dieser Vermutung jedoch lediglich auf Andeutungen verweisen, die erst über hundert Jahre nach dem Tod Jesu verfasst wurden.

Tatsächlich gibt es Texte aus frühchristlicher Zeit, in denen Maria Magdalena nicht als eine von mehreren Frauen im Gefolge des Heilands, sondern als dessen enge "Gefährtin" dargestellt wird. Einige dieser Schriften wurden erst im vergangenen Jahrhundert wieder entdeckt. Der wichtigste Fund waren 13 Pergamentrollen in einem Tonkrug, die 1945 in Nag Hammadi (Oberägypten) geborgen wurden. Diese Rollen enthielten unter anderem bis dahin unbekannte Berichte über das Leben Jesu in koptischer Sprache.

Im so genannten Philippus-Evangelium aus dem 4. Jahrhundert heißt es: "Die Gefährtin Christi ist Maria, die aus Magdala. Der Herr liebte Maria mehr als alle Jünger und er küsste sie häufig auf den Mund. Als die Jünger das sahen, sagten sie ihm: 'Warum liebst du sie mehr als uns alle?'" Dan Brown leitet daraus ab, Maria Magdalena sei die Ehefrau Christi gewesen, und das Paar habe Kinder gehabt, einfach, weil ein 30-jähriger Mann in der jüdischen Gesellschaft von damals verheiratet zu sein und Nachwuchs zu haben hatte.

In mehreren Schriften wird Maria Magdalena als bevorzugte Gesprächspartnerin und rechte Hand Jesu gezeichnet: Sie stellt die meisten Fragen, sie wird von Jesus immer wieder vor allen anderen gelobt, sie verteilt nach seinem Tod die Missionsgebiete unter den Jüngern. Brown: "Jesus war sozusagen der erste Feminist.

Küsse auf den Mund der Gefährtin

Nach Aussage jener alten unverfälschten Evangelien hat Christus nicht Petrus zum Sachwalter seiner Kirche eingesetzt, sondern Maria Magdalena. Doch nach der kirchlichen Lehrmeinung war und ist Petrus der Fels, auf den Jesus seine Kirche bauen wollte. Nieder also mit Maria Magdalena! "Zur Abwehr der nachhaltigen Bedrohung stellte die Kirche Maria Magdalena beharrlich als Dirne dar und vernichtete sämtliche Dokumente, die sie als Gattin Christi ausweisen konnten", sagt der Privatgelehrte Teabing im Roman.

Brown übersieht, dass das aramäische Wort für "Gefährtin" nicht mit "Ehefrau" übersetzt werden muss, sondern auch eine rein geistliche Bedeutung haben kann. Der Kirchenvater Irenäus bezeichnet Lukas als Gefährten des Paulus und Markus als Gefährten des Petrus. Es liegt näher, dass Maria eine spirituelle Gefährtin Jesu war. Auch der Kuss hatte eher eine spirituelle als eine erotische Komponente. Im Philippus-Evangelium symbolisiert er die Weitergabe von spirituellem Wissen.

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Browns Spekulationen über Maria Magdalena bietet auch Darell L. Bock, Professor für Neues Testament. Unter anderem stellt er fest: "Maria Magdalena war eine gläubige Jüngerin, eine Zeugin für Kreuz, Begräbnis und Auferstehung Jesu. (...) Sie war nicht mit Jesus verheiratet; zumindest gibt es keinen Beweis in der Bibel oder außerhalb ihrer dafür." Zusammenfassend führt Bock aus: "Zwei historische Behauptungen des Thrillers halten stand: 1. Frauen wurden in ihrer Stellung emporgehoben durch das, was Jesus lehrte. 2. Maria Magdalena war keine Prostituierte. Die übrigen Grundlagen der Geschichte sind aus Sand hergestellt."

Letztlich geht es im "Sakrileg" gar nicht um Jesus und Maria Magdalena, sondern um die Suche des modernen Menschen nach religiöser Orientierung, wie Dan Burstein in seiner Analyse des Romans zu Recht feststellt: "Unsere materialistische, technologische, wissenschaftsorientierte, informationsüberflutete Kultur ist immer auch auf der Suche nach einer Sinngebung.

Man hält Ausschau nach einer Regeneration der spirituellen Sensibilität oder zumindest nach Parametern für das eigene Leben. Genauso wie in den Harry- Potter- Romanen, die eine parallele Äußerung desselben Zeitgeistes darstellen, wird im "Da Vinci Code" [englischer Originaltitel von "Sakrileg"] von der Reise einer klassischen Heldenfigur erzählt. (...) Die Darsteller haben nicht nur die höchst kostbaren Geheimnisse davor zu bewahren, in die falschen Hände zu gelangen, in dem weiteren Verlauf werden sie Selbsterkenntnis erlangen, Identität und einen Platz in der Welt."

Der Mensch lebt geistlich nicht erfüllter, wenn er über geheimes Wissen bezüglich der "Ehe Jesu" verfügt, sondern wenn er Jesus nachfolgt.