Der Bamberger Kommunikationswissenschaftler Andreas Vogel hat die verschiedenen Erwartungshaltungen und Strategien von Redaktionen und Nutzerinnen analysiert und präsentierte Auszüge seine Studie im Dezember 2016 beim BayernForum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Aus der journalistischen Praxis berichtete Daniel Wüllner, Teamleiter Social Media und Leserdialog der Süddeutschen Zeitung. Die Erkenntnis der beiden Vortragenden: Ein Patentrezept gibt es nicht, Redaktionen müssen Erfahrungen sammeln und selbst entscheiden, wie sie mit Leserkommentaren, Hate-Speech und Rückmeldungen umgehen.

Türsteher oder Verfassungsrichter?

Nutzerkommentare stammen aus der Tradition der Leserbriefe. Je professioneller der Journalismus um 1900 wurde, umso mehr verlor die Leserbeteiligung an Bedeutung, erklärte Vogel. Mit den Chancen des Word Wide Webs sei die Beteiligung der Nutzer allerdings wieder in den Vordergrund gerückt. Allerdings könnten viele User die computergenerierten virtuellen Kommunikationsräume, die pseudoprivat und (halb-)öffentlich sind, nicht richtig einschätzen. "Die Lebenserfahrung aus physisch konkreten Räumen ist eine andere", so Vogel. In der Realität sei ein Stammtisch ein geschlossener Raum - in dem das Gesagte auch bleibe. In virtuellen Welten sei die Reichweite und Wirkung von Kommentaren allerdings nicht abzuschätzen und potentiell unbegrenzt.

Für Vogel ist die Moderation von Kommentaren unverzichtbar. Mit restriktiven Praktiken durch Klarnamen, Vorregistrierungen der Nutzer, Zeichenbegrenzung der Kommentare, werde die Redaktion zum "Türsteher" der Rückmeldungen. Mit Hilfe einer Netiquette und redaktionellen Hinweisen in den Kommentaren nähmen die Journalisten zuweilen die Rolle eines Richters ein, der eine pluralistische Vielfalt ermögliche. "Am Ende ist der Umgang mit Nutzerkommentaren ein Lernprozess, für den die Redaktionen Ressourcen aufbringen müssen", sagte Vogel.

#wortgewalt: Podiumsdiskussion mit Andreas Vogel, Daniel Wüllner und Juliane Leopold

Grenzen und Emotionen

Der Journalist Daniel Wüllner bewegt sich auf zwei Plattformen: Sowohl auf der Homepage der Süddeutschen Zeitung (SZ) als auch auf Facebook tritt er mit Lesern in einen Dialog. Auf der Homepage können die Nutzer nur ausgewählte Artikel kommentieren. Viele Debatten werden auf Facebook ausgelagert. "Wir tun was wir tun können, um den Stellenwert von Kommentaren zu erhöhen", sagte Wüllner. Wichtig seien ihm aber auch deutliche Grenzen. "Wer gezielt Hetze verbreitet, wird geblockt oder sogar bei Facebook gemeldet."

Für Wüllner gehört es zur Aufgabe der Redaktionen, die Sozialen Netzwerke zu verstehen und damit zu arbeiten. Viele Journalisten reagierten sehr emotional, wenn auf ihre Beiträge reagiert werde. "Moderatoren in den Netzwerken brauchen andere Fähigkeiten", erklärte der Social-Media-Experte.

Die Zukunft des Journalismus

Sind Journalisten in Zukunft mehr Moderatoren als Autoren? Oder entwickelt sich ein neues Berufsfeld? Für den Medienwissenschaftler Vogel steht fest: "Viele Journalisten haben gute Moderationsfähigkeiten. Und gerade bei einer großen Reichweite ist es wichtig, dass sich der Urheber eines Textes zu Wort meldet." Gleichwohl sei dies keine  Hauptaufgabe für den schreibenden Redakteur. Der Journalist müsse lernen, dass in der digitalen Welt ein Artikel nie abgeschlossen sei, sich immer in einem Prozess befinde und durch Kommentare weitergeschrieben werde. Daniel Wüllner ergänzt: "Das Problem wird in Zukunft vor allem sein, die redaktionellen Ressourcen für diese neuen Aufgaben zu beschaffen."

Die Veranstaltung "Die Meinung der anderen – Journalismus & Onlinekommentare" wurde organisiert vom BayernForum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Hier zeigt die Friedrich-Ebert-Stifung einen Rückblick in Bild und Video.