Daoud Nassar ist nicht glücklich. Seit sechs Uhr früh dröhnt der Lärm des Vorschlaghammers und von Bulldozern aus der benachbarten israelischen Siedlung Neve Daniel zu ihm rüber. "So geht das seit Monaten jeden Tag", schimpft der christliche Palästinenser. Nur am Sabbat ruhen die Baugeräte.

Kaum 300 Meter von Nassars Familienhaus entfernt entsteht ein riesiger Schulkomplex mit Sportanlagen inklusive Reiterhof für den Nachwuchs aus Gusch Etzion, einem von Israels größten sogenannten Siedlungsblöcken im Westjordanland. "Dort drüben bauen sie wie die Weltmeister, und wir dürfen noch nicht einmal ein Zelt aufstellen", sagt Daouds älterer Bruder Daher.

Die Farm der Nassars liegt direkt am Patriarchenweg, der in biblischer Zeit Hauptverkehrsverbindung zwischen Hebron und Jerusalem gewesen sein soll. Die Brüder haben nichts dagegen, dass die jüdischen Nachbarn neue Häuser bauen, sagen sie. Nur sollten dieselben Regeln auch für die Palästinenser gelten. Seit fast 14 Jahren muss sich die Familie vor Gericht verteidigen, weil die Armee mit dem Abriss von einem Schuppen und einem Stall droht.

"Wir weigern uns, Feinde zu sein" steht auch auf Deutsch auf dem Grenzstein von Daoud Nassars privatem Friedensprojekt "Tent of Nations".
"Wir weigern uns, Feinde zu sein", steht auch auf Deutsch auf diesem Grenzstein des privaten Friedensprojekts "Tent of Nations".

"Wir weigern uns, Feinde zu sein", steht in bunten Buchstaben auf einem Schild gleich hinter dem Eingangstor zum "Tent of Nations", dem "Zelt der Völker", wie Daoud Nassar die Farm nennt. Der engagierte evangelische Christ, der fließend deutsch spricht, hat das Land seines Vaters zu einem privaten Friedensprojekt gemacht, einer Begegnungs- und Freizeitstätte für junge Leute aus aller Welt und vor allem für Palästinenser.

Die letzte christliche Familie

Damit setzt der 46-Jährige eine Familientradition fort. Schon sein Vater und Großvater machten sich für das friedliche Miteinander der Völker stark. Die Familie lebte anfangs in Höhlen. "Für meinen Großvater hatte diese Lebensform spirituelle Bedeutung", erklärt Daoud Nassar, der selbst noch in den Höhlen aufgewachsen ist und nichts Ungewöhnliches daran findet. "Hier ist es im Sommer kühl und im Winter warm." Die freiwilligen Helfer aus dem Ausland, die immer wieder für eine gewisse Zeit aus dem Ausland anreisen, werden bis heute darin untergebracht.

Die jungen Freiwilligen arrangieren sich mit den kargen Bedingungen, mit Kompost-Toiletten und Freiluftduschen. Strom kommt nur von Sonnengeneratoren. Wasser ist auch Mangelware. Sie kümmern sich um die Tiere, pflanzen Bäume. Oliven, Weintrauben, Feigen und Mandeln - allesamt Pflanzen, die wenig Wasser brauchen. "Unsere freiwilligen Helfer sollen mit positiver Botschaft wieder nach Hause fahren", sagt Nassar.

Überall haben seine Gäste einen kreativen Stempel hinterlassen: ein Mosaik neben dem Esstisch, Malereien an Wänden und Bänken. "Mit Herz und Hand verändern wir das Land", steht in gemalten Buchstaben an einem Freilufttreffpunkt.

"Wir sind die letzte christliche Familie in der Region", sagt Daoud Nassar. Außer dem arabischen Dorf Nahalin gab es weit und breit kein Haus in der Gegend, als Nassars Vorfahren vor 100 Jahren das etwa 40 Hektar große Landstück erwarben. Inzwischen wachsen die israelischen Siedlungen von drei Seiten immer dichter heran. Vor allem im Osten breitet sich Beitar Illit in rasantem Tempo aus. Die 1985 gegründete Siedlung für ultraorthodoxe Juden zählt heute schon fast 50.000 Einwohner.

Gewächshaus aus alten Plastikflaschen

Daouds Ehefrau Dschihan leitet ein kleines Frauenzentrum in Nahalin, gibt Computerkurse und Anleitungen für den Anbau von Bio-Gemüse. Die Eheleute träumen davon, eines Tages auf dem Gelände des "Tent of Nations" eine Ausbildungsstätte für junge Palästinenser zu errichten. Daoud Nassar geht es dabei in erster Linie um ein besseres Umweltbewusstsein.

Von der israelischen Militärbehörde eine Baugenehmigung für ein solches Zentrum zu bekommen, sei indes utopisch. Vorerst arrangieren sich die Nassars mit Feriencamps für palästinensische Kinder und Jugendliche, die lernen, wie man aus alten Plastikflaschen ein Gewächshaus baut, und dass sich aus Abfall Biogas gewinnen lässt.

"Es wäre genug Platz für alle", sagt Daoud Nassar, "wenn wir nur in Frieden zusammenleben würden, ohne Grenzen und Mauern". Der Palästinenser hat Angst, dass die Zufahrtstraße zu seinem Land für immer gesperrt bleiben wird, wenn die Schule in Neve David erst einmal fertig gebaut ist.

Soldaten haben die Straße provisorisch mit Sand und Steinen blockiert. Wer aus dem gerade zehn Minuten entfernt liegenden Bethlehem kommt, muss das Auto abstellen und den letzten Kilometer zu Fuß gehen. Die Nassars haben einen Umweg von 30 Minuten in Kauf zu nehmen, wenn sie bis auf ihr Grundstück fahren wollen.

Die Siedler hätten gesagt, sie zahlten jede Summe für sein Land, sagt Daher Nassar. Aber das Land sei für ihn wie seine Mutter. "Wie könnte ich meine Mutter verkaufen?".

Das "Zelt der Völker" ist für die Nassars ein Weg, Widerstand gegen die Vertreibung der Palästinenser zu leisten. "Wir wollen keine Steine werfen", sagt Daoud Nassar, "aber wir werden auch nicht weinend aufgeben".

 

Internet: www.tentofnations.org