Der 23. Mai 2007 war ein heiterer Frühlingstag. Werner M. (Namen geändert) hatte seiner Freundin noch einen Kuss auf die Wange gedrückt und dann frühmorgens das Haus in einem kleinen Münsterländer Dorf verlassen. Draußen wartete bereits sein Kumpel Timo K. in einem dunklen Van.

Dass der gelernte Installateur nur wenige Stunden später als Mörder in sein Haus zurückkehren würde, war nicht geplant. Das sagt Werner M. zehn Jahre nach der Tat. »Ich wollte den nicht abknallen. Ein bisschen Angst einjagen. Ja, das schon. Mir Respekt verschaffen. Mehr doch nicht.«

Ein bisschen Respekt verschaffen? Warum man dazu eine geladene Pistole einstecken und fünfmal auf einen Menschen schießen muss, der wehrlos hinter seinem Schreibtisch sitzt – nein, darauf hat Werner M. auch nach zehnjähriger Haft keine befriedigende Erklärung. Schließlich war die Auseinandersetzung, die den tödlichen Schüssen vorangegangen war, eigentlich harmlos.

Mindestens zwei Treffer waren tödlich

Eigentlich. Aber in der Männerwelt, in der sich Werner M. damals bewegt hat und die geprägt ist von einer Mixtur aus Ehre, Kameradschaft, Machogehabe und Gewalt, ist nichts wirklich harmlos. Vor allem nicht, wenn man provoziert wird. »Dann wurde auch schon einmal richtig geboxt«, sagt der Mann mit den kurzen Haaren und den tätowierten Armen. Aber am 23. Mai 2007 hat er nicht geboxt, sondern die Waffe gezogen und abgedrückt: Peng! Peng! Peng! Peng! Peng! Mindestens zwei Treffer waren tödlich. Dass er geschossen hat, daran kann er sich erinnern. Dass er den 45-jährigen Fahrzeughändler getroffen hat, das will er nicht wirklich realisiert haben. »Irgendwie war das alles wie im Film.« Erst als er wieder zu Hause war, hat er im Radio gehört, dass der Mann, auf den er geschossen hat, tot ist.

Fast zehn Jahre sitzt Werner M. bereits in Haft. 2022 wird das erste Mal überprüft, ob er wieder in die Freiheit darf. Werner M. rechnet nicht damit, dann schon das Gefängnis verlassen zu dürfen: »Vielleicht bekomme ich drei oder fünf Jahre später die Chance.«

Werner M. sitzt in seinem dunklen Trainingsanzug in der Sakristei der Gefängniskirche in Werl. Wenn es so etwas wie einen Lieblingsort in einem Gefängnis geben kann, dann ist das für den Häftling die Kirche mit ihren Nebenräumen. Seit einigen Monaten arbeitet er als Mesner.

Werner M. ist in seinem früheren Leben viel gereist. Er habe die halbe Welt gesehen, sagt der heute 45-Jährige. »Das fehlt mir im Knast am meisten. Einfach aufzubrechen und irgendwohin zu fahren. Deshalb werde ich mit dem Eingesperrtsein auch nur schwer fertig.« Die einzige »Fluchtmöglichkeit«, die er in der Justizvollzugsanstalt Werl hat, in der über 100 Lebenslängliche »einsitzen«, ist die in »seine Kirche«. Diese Flucht beginnt jeden Morgen um 6.10 Uhr, wenn der Wärter die Zelle Nummer 212 und dann die Kirche aufschließt.

Das Gefühl von Schuld bleibt

Der »Haftraum« liegt direkt neben der Gefängniskirche. Meist verbringt Werner M. den kompletten Tag in dem Gotteshaus. Es gibt immer was zu tun: »Ich liebe diese Atmosphäre – vor allem frühmorgens, wenn ich noch alleine bin. Es ist dann so friedlich hier.« Dann nimmt er sich einen Stuhl, zündet eine Kerze an und setzt sich direkt vor den Altar. »Dort komme ich zur Ruhe. Dort kann ich mit Gott reden.« Im Gebet und im Zwiegespräch mit Gott hat er die nötige Kraft gefunden, die Strafe zu akzeptieren, aber auch sein bisheriges Leben zu reflektieren. »Irgendwie war da immer einer da. Es gab da dieses Gefühl, dass jemand trotz aller Schuld, die ich auf mich geladen habe, zu mir hält.« Das Gefühl von Schuld bleibt.

»Ich habe viel Schuld auf mich geladen, und ich weiß, dass das auch mit dem Ende der Haft nicht vorbei sein wird«, sagt M. Schließlich, so der Mesner, habe er einer Frau den Ehemann und zwei kleinen Kindern den geliebten Vater genommen: »Ich wünsche mir nichts so sehr, als dass ich das ungeschehen machen könnte. Aber das geht nicht. Mit dieser Schuld muss ich leben.«

Was nach der Haft kommt? »Ich möchte nach meiner Entlassung gerne in ein Kloster eintreten, mich mit meiner Arbeit einbringen und die Ruhe und den Frieden finden, die ich hier in Werl in der Kirche habe«, hat Werner M. konkrete Zukunftspläne.

Die Gefängnisseelsorger, die ihn begleiten, unterstützen ihn bei diesen Plänen. Für Pfarrer Adrian Tillmanns, der schon seit fast zwanzig Jahren in der Gefängnisseelsorge arbeitet, hat auch ein verurteilter Mörder eine zweite Chance verdient.