Die »Grande Dame« der deutschen Politik ist tot. Für ihre eigene Partei war Hamm-Brücher immer auch eine unbequeme Stimme - die schließlich sogar mit der FDP brach. Die schleichende Entfremdung begann in den 1990er Jahren, als sie in der Bundespräsidentenwahl gegen CDU-Kandidat Roman Herzog von der Parteispitze zum Aufgeben gezwungen wurde. 2002 trat sie nach antisemitischen Äußerungen von FDP-Vize Jürgen Möllemann aus der FDP aus. Auch kirchlich war sie engagiert - und sorgte in Bayern ganz entscheidend mit dafür, die Frauenordination in der evangelischen Kirche durchzusetzen.

Begonnen hatte Hamm-Brüchers politische Laufbahn mit fünf Wahlplakaten und selbst gekochtem Plakatierkleister: Im Frühjahr 1948 zog die 27-Jährige für die FDP in den Münchner Stadtrat ein. Die Stadt war zerbombt, die Demokratie im Aufbau und die Stadträtin unerfahren. Aber sie wollte, dass in Deutschland nie wieder Unrecht und Terror regieren. Dieser Vorsatz hat sie begleitet, von den provisorischen Anfängen in München bis in die Bundespolitik und durch ihr gesamtes Leben.

Als Hildegard Brücher wurde sie 1921 in Essen geboren, als drittes von fünf Geschwistern, mit elf wurde sie Vollwaise. Während der Kriegsjahre 1940 bis 1945 studierte sie Chemie in München. Sie erlebte in dieser Zeit, wie sich ihre jüdische Großmutter aus Angst vor Deportation das Leben nahm. An ihrer Universität riefen die Mitglieder der »Weißen Rose« zum Widerstand gegen die Nazis auf und bezahlten dafür mit dem Leben. Ihr Doktorvater schützte und förderte sie, obwohl sie nach den Rassengesetzen als »Halb-Jüdin« galt. Drei Tage vor ihrem 24. Geburtstag endete der Weltkrieg, und die junge Frau empfand das Erlebte als einen persönlichen Lebensauftrag für die Zukunft. Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident, wies ihr auf Schwäbisch den Weg: »Mädle, Sie müsset in die Politik.«

Sie wirkte in der Landessynode und der EKD-Synode

Der Stadtrat in München war nur der erste Schritt. Hamm-Brücher wurde Landtagsabgeordnete in Bayern, später Staatssekretärin im hessischen Kultusministerium. In der Regierungszeit von SPD-Kanzler Willy Brandt war sie Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und während Helmut Schmidts Kanzlerjahren die erste Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Dem Bundestag gehörte sie von 1976 bis 1990 an. All das zu einer Zeit, als Politik noch als Männersache galt. Sie schilderte einst in einem Buch, wie das gönnerhafte Verhalten der männlichen Kollegen schnell in persönliche Beleidigungen umschlug, sobald sie es wagte, ihre Meinung zu vertreten. Als »Kampfhenne« schmähte sie etwa CSU-Mann Franz Josef Strauß.

Ihrem Ehemann, dem Juristen und CSU-Stadtrat Erwin Hamm (1909-2008), den beiden gemeinsamen Kindern und ihrem »festen Glauben an Gottes gutes Geleit auch auf schweren Wegen« verdanke sie die nötige Unterstützung für die Herausforderungen der Politik, sagte sie einmal. In dem biblischen Propheten Daniel fand Hamm-Brücher ein Vorbild, um ihre Überzeugungen auch gegen die Mehrheit zu vertreten. In heiklen Situationen summte sie die Kirchenlied-Zeile: »Wage es allein zu stehen, wage es ein Ziel zu haben, wage es und lass es sehen.«

Die Liberale setzte sich dafür ein, Demokratie in Deutschland auszubauen und immer wieder zu verbessern, indem sie die Beteiligung von Frauen förderte. Sie sprach sich dafür aus, Bürger in demokratische Prozesse stärker einzubeziehen. Getreu der Einsicht »Demokratie muss man üben« förderte sie auch Bürgerinitiativen. Mit ganzer Kraft trat sie für eine »aktive Bürgergesellschaft« ein. Als Mitglied der bayerischen evangelischen Landessynode half sie zudem entscheidend mit, gegen männliche Widerstände die Frauenordination, also den vollgültigen Zugang der evangelischen Theologinnen zum Pfarramt, durchzusetzen.

Immer kritischer betrachtete Hamm-Brücher mit steigendem Alter den politischen Betrieb und kam zu dem Schluss, dass sie statt mit Dominanz und Machtspielerei auch mit Haltung und Beständigkeit wirken kann. Die Gewissensfreiheit des Abgeordneten war ihr heilig - mehr als die Partei. 2002 zog sie daraus die Konsequenz und verließ nach 54-jähriger Mitgliedschaft die FDP, als deren »Grande Dame« sie bis zuletzt galt. Die anti-israelischen Aussagen von Jürgen Möllemann wollte sie nicht mittragen, mit dem inzwischen verstorbenen Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle wurde sie nie so richtig warm.

1994 hatte sie als Liberale noch für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert - ihre eigene Partei opferte ihre Kandidatur vor dem dritten Wahlgang aber dem Koalitionsfrieden mit der Union: Roman Herzog wurde neuer Bundespräsident. In den vergangenen Jahren wurde es ruhig um die Ehrenbürgerin der Stadt München, die öffentlichen Auftritte, die oft spitzen Wortmeldungen wurden weniger. Die Gesundheit machte Hamm-Brücher inzwischen zu schaffen - sie sei »gesundheitlich ziemlich hilfsbedürftig«, die »vielen Zipperlein« machten einem das Leben in ihrem Alter schwer, hatte sie 2013 gesagt.