Herr Weiger, Sie werden immer wieder als Bayerns mächtigster Lobbyist oder berufsmäßiger Neinsager bezeichnet. Wie stehen Sie dazu? 

Weiger: Die Bezeichnung »mächtigster Lobbyist Bayerns« trifft mit Sicherheit nicht zu. Der Bund Naturschutz mit fast 200.000 Mitgliedern ist zwar ein wichtiger Verband und damit auch der Vorsitzende eine nicht unwichtige Person in der bayerischen Gesamtpolitik. Aber es gibt mächtigere Interessensgruppen, etwa in der Bau-, Energie- oder Autoindustrie. Bayerische Politik richtet sich leider nicht nach dem, was der Bund Naturschutz will. Vieles, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten durchgesetzt haben, ist im Konflikt mit der bayerischen Staatsregierung entstanden.

Was hat Ihnen dabei geholfen?

Weiger: Eine überdurchschnittlich für Fragen des Umweltschutzes aufgeschlossene Bevölkerung. Und die Möglichkeit zu Volksbegehren, die selbst dann, wenn wir sie verloren haben, in der Sache viel bewirkt haben.

Können Sie ein Beispiel nennen? 

Weiger: Zum Beispiel das Volksbegehren »Das bessere Müllkonzept«: Das ist zwar am Ende knapp verloren gegangen, aber wir haben uns inhaltlich trotzdem durchgesetzt, weil die Staatsregierung viele Elemente unseres Vorschlags aufgegriffen hat: Abfallvorsortierung in Haushalt und Gewerbe, flächendeckende Einführung der Papier- und Biotonne, Verdichtung des Containersystems für getrennte Wertstoffsammlung. Durch diese Maßnahmen wurde eine Recyclingquote von 80 Prozent erreicht - davor waren 30 Prozent das Maximum.   

Dossier

#Glaubensfrage

Woran glaube ich? An welchen Werten orientiere ich mich? Welche Rolle spielen Gott und Religion in meinem Leben? Das sind Fragen, mit denen sich Prominente aus Kirche und Politik, Gesellschaft und Kultur in unserer Reihe #Glaubensfrage beschäftigen. Mehr dazu in unserem Dossier: www.sonntagsblatt.de/glaubensfrage

Warum haben Sie sich schon als junger Mann so stark für den Naturschutz interessiert? 

Weiger: Ich bin in einem Forsthaus aufgewachsen. Damit war für mich der Wald etwas Selbstverständliches, Natur und Naturschutz auch. Ich wollte in die Fußstapfen meines Vaters treten. In Frankreich habe ich die Kriegsgräber des Ersten Weltkrieges gesehen - das hat mich bestärkt, den Wehrdienst zu verweigern. In der Zeitung habe ich 1971 die Notiz gelesen: 'Bund Naturschutz stellt Zivildienstleistende ein.' Das war ideal für mich. Mit zwei Kollegen habe ich bald im Rahmen der Aktion »Saubere Landschaft« illegale Deponien in Bayern kartiert. Damals brannte ja hinter jedem Dorf der Müll. Nach einem halben Jahr wurde ich - als Zivildienstleistender! - zum Beauftragten von Nordbayern. 

Was war Ihre Motivation? 

Weiger: Ich habe rasch erkannt, dass ich über den Bund Naturschutz mehr für den Wald erreichen konnte, als ich es als Förster tun konnte: durch die Verbindung von fachlicher mit politischer Arbeit. Beim Kampf um den Nürnberger Reichswald, dem damals am stärksten bedrohten Waldgebiet in Deutschland, hatte ich meine erste Begegnung mit evangelischen Pfarrern, die sich eingemischt haben. Im Laufe der Dachkomiteearbeit stellten wir fest: Wir können nicht nur einen Panzerübungsplatz verhindern, sondern auch den Reichswald retten. Das war der Anstoß zum Reichswaldprogramm des BUND Naturschutz, welches eine riesige politische Wirkung für den Waldschutz in ganz Bayern entfaltete.  

Warum sind Sie nicht in die Politik gegangen? 

Weiger: Ich habe schnell gemerkt, dass die Politik im Regelfall nicht die Vorhut von gesellschaftlichen Veränderungen darstellt, sondern eher deren Nachhut. Wenn es uns gelingt, gesellschaftliches Bewusstsein zu verändern, handelt die Politik auch entsprechend. Die Veränderung gesellschaftlichen Bewusstseins ist mir wichtiger als die Tätigkeit in der Politik.  

Aber war der Bund Naturschutz damals nicht ein braver Verband?  

Weiger: Zum Glück nicht. Ich bin in einer absoluten Umbruchsituation zum Verband gestoßen. Der Durchbruch kam mit den Bürgerinitiativen: Wir haben gemerkt, dass wir damit viele Menschen erreichen können und haben als Verband deshalb systematisch Bürgerinitiativen unterstützt und vernetzt. Über diese Arbeit sind wir sehr populär geworden und haben eine hohe Akzeptanz erreicht. 

Mittlerweile gibt es auch Bürgerinitiativen, die versuchen, den Bau von Windparks zu verhindern. Wie gehen Sie damit um?

Weiger: Wir schauen, wo es einen Konsens gibt. Wenn jemand generell die Windenergie ablehnt, gibt es keinen Konsens. Aber wenn Windkraft eine Option ist, dann stellt sich die Frage des Standorts, und darüber kann man sprechen. Wenn allerdings die Landkreise keine Regionalplanung machen, dann übernehmen das die Investoren, und die arbeiten ohne Rücksicht auf die Umgebung. Ein Beispiel: Der Regierungsbezirk Oberfranken hat in einem langen Prozess beschlossen, das Fichtelgebirge als Windkraftstandort auszunehmen. Im Regierungsbezirk Oberpfalz gibt es eine solche Regionalplanung nicht - dort hat jetzt die Gemeinde Kemnath unmittelbar an der Grenze zu Oberfranken einen Bereich für Windkraft ausgewiesen, der exakt in der Region liegt, die die Oberfranken schützen wollten. Da fehlt ein gesamtpolitisches Konzept.

Woran liegt das?

Weiger: Der für die Energiefragen zuständige bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) ist der Ansicht, in der Energiewende soll nichts überhastet werden und war, wie die FDP vor Fukushima, strikt gegen den Ausstieg aus der Atomenergie. Und auch Ministerpräsident Horst Seehofer tut alles, um weiteren Konflikten aus dem Weg zu gehen und die wirtschaftlichen Interessen von Konzernen wie RWE, E.on, Siemens oder BMW nicht zu gefährden. Die bayerische Staatsregierung ist gefordert, zu sagen, ob sie wirklich hinter der Energiewende steht. Wir befürchten, dass die Versprechen nicht gehalten werden.

Was tun Sie dagegen?

Weiger: Politische Lobbyarbeit heißt für uns, mit neuen Bündnispartnern zu arbeiten. Dazu gehört die Gewerkschaft IG Metall. Wir setzen uns beide ein für die Energiewende: für Verringerung der Energieverbräuche, für mehr Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Unsere Arbeit ist verbunden mit einer neuen gesellschaftlichen Dimension. Zentral dafür ist die Verknüpfung der sozialen Frage mit der ökologischen Entwicklung: Umweltschutz macht nicht arbeitslos, sondern kann Arbeitsplätze schaffen.

Welche Rolle könnte die Kirche beim Umweltschutz spielen?

Weiger: Für uns als Bund Naturschutz waren Pfarrer und engagierte Christen in der evangelischen Kirche immer wichtige Partner. In der Evangelischen Akademie Tutzing haben wir eine hervorragende Plattform bekommen für ökologische Diskussionen. Auch die Papiere der Landessynode zu Umweltthemen nehmen wir gerne auf und verbreiten sie über unsere Kanäle. Denn es ist ermutigend, wenn die Basis sieht, dass auch andere über die gleichen Themen diskutieren. 

Was wünschen Sie sich von der Kirche?

Weiger: Dass das Umweltmanagement »Grüner Gockel« selbstverständlich wird in der gesamten Landeskirche. Dass die Kirchen mehr Personal für den Naturschutz zur Verfügung stellen. Schließlich wird damit den Menschen der Zugang zum Glauben erleichtert, weil sie sehen, dass sich Kirche engagiert, wenn Unrecht an der Schöpfung geschieht.  

Was ist Ihr Maßstab für Entscheidungen? 

Weiger: Mein ethisches Gerüst kann ich auf die einfache Formel bringen: Achtung vor dem Leben. Dazu gehört Sensibilität. Ich muss prüfen, welche Wirkung meine Entscheidung für andere Bereiche hat. Eine Entscheidung ist nicht vertretbar, wenn sie nur eine positive Wirkung hat, aber viele negative Wirkungen.

Was möchten Sie in zehn Jahren erreicht haben?

Weiger: Ich hoffe, dass es dann den Nationalpark im nördlichen Steigerwald gibt. Wir brauchen den Wald, nicht nur, um Tiere und Pflanzen zu schützen, sondern auch, damit unsere Kinder Respekt vor der Natur bekommen. Respekt hat man als Mensch nur vor großen Bäumen, nicht vor kleinen. Das ist wie in einer Kathedrale. Wenn sich der Blick nach oben richtet, relativiert das die Sichtweise auf das Individuum. Außerdem möchte ich, dass Umweltbildung zur Aufgabe des Kultus- und Wissenschaftsministeriums wird. Wir wissen aus Untersuchungen, dass ein Drittel der Münchner Schulkinder noch nie in einem Wald war. Die Kinder haben keine unmittelbare Naturerfahrung mehr, und viele Lehrer haben keine Zeit, mit den Schülern rauszugehen.