Man sollte ja meinen, dass die evangelische Kirche eine weibliche Kirche ist: Die Frauen stellen die meisten Ehrenamtlichen, in der Diakonie pflegen und erziehen meist Frauen. Aber an den Schalthebeln der Macht sitzen Männer. Das 500. Reformationsjubiläum im Jahr 2017 bietet die Gelegenheit, über die Bedeutung der Frauen in der Kirche nachzudenken - auch für die Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, am Wochenende (21./22. Juni) in Beratzhausen und Nürnberg.

epd: Frau Käßmann, beim Frauenwerk in Stein bei Nürnberg wollen Sie am Wochenende vorstellen, was das Reformationsjubiläum für die Frauenarbeit bedeutet. Was sind Ihre Erwartungen an das Jubiläum für die Frauenarbeit?

Käßmann: Da gibt es für mich zwei Gesichtspunkte. Einmal müssen wir den Anteil der Frauen an der Reformation erstmal noch entdecken. Gerade ist auf dem sächsischen Schloss Rochlitz eine Ausstellung über Frauen der Reformation eröffnet worden. Die berichtet zum Beispiel über Elisabeth von Rochlitz - das war auch für mich eine Entdeckung. Oder die Rolle der Argula von Grumbach (1492-1554) in Bayern ist lange nicht bekannt gewesen. Die Wissenschaft hat sich wenig um diese Frauen gekümmert und um das, was sie für die Reformation bedeuteten. Zweitens kann die Lutherdekade die theologische Bedeutung der Reformation für die Frauen zeigen. Eine der Konsequenzen Jahrhunderte später war die Frauenordination. Es ist doch interessant, dass bei der Kirchenmitgliederuntersuchung herausgekommen ist, dass die Frauenordination als eines der Kennzeichen der evangelischen Kirche wahrgenommen wird.

epd: Aber dann gibt es ja auch die Stimmen von Theologen, die vor einer zu weiblichen evangelischen Kirche warnen…

Käßmann: Diese Leute haben die Theologie der Reformation nicht verstanden. Die Angst einiger, es würde "zu viel Sopran in der Kirche gesungen", ist doch nicht vereinbar mit dem Amtsverständnis, das aus Luthers Taufverständnis hervorgegangen ist. Die Errungenschaft daraus ist ja eben, dass jede Frau und jeder Mann jedes Amt in der Kirche übernehmen kann.

epd: Warum aber sind dann die Frauen nicht wirklich stärker in der Kirche?

Käßmann: Die Netzwerke sind schon stark. Aber die ehemalige Bundesministerin Andrea Fischer hat einmal gesagt: Frauen fremdeln mit der Macht. Und da ist auch was für die Kirche dran. Die Reformationsgeschichte zeigt: Frauen haben Macht und haben oft ihre Macht bewusst angewendet. In unserer Kirche ist eine selbstbewusste evangelische Frauenarbeit gewachsen. Denken Sie etwa an den Boykottaufruf evangelischer Frauen vor 25 Jahren, mit dem sie gegen die Apartheid kämpften: "Kauft keine Früchte aus Südafrika."

epd: Argula von Grumbach hat vor 500 Jahren Mut gebraucht, um sich für die reformatorische Idee einzusetzen. Auch heute noch machen sich Frauen verdächtig, wenn sie zu lautsprecherisch sind, oder?

Käßmann: Damals und heute sind alle mutig, die anders leben, als es die Gesellschaft von ihnen erwartet. Auch die ehemaligen Nonnen die ehemalige Priester heirateten, waren mutig. Denn sie mussten sich über absurde Prophezeiungen hinwegsetzen, etwa dass ihre Kinder schwer behindert sein würden. Aber die Reformation hat das Frausein aufgewertet, sie setzte die Erkenntnis durch, dass das Gebären, Kindererziehen - eben das weltliche Leben - genauso viel wert sind wie das zölibatäre Leben. Luther war im Übrigen nicht so frauenfeindlich, wie es ihm unterstellt wird. Er hatte hohen Respekt vor Frauen und hat sich für Schulbildung auch für Mädchen eingesetzt.

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Uwe Birnstein: Argula von Grumbach

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128 Seiten, Neufeld Verlag Schwarzenberg, ISBN 978-3-86256048-6

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