Als Sozialministerin haben Sie nicht nur ein neues Aufgabenfeld, sondern stehen vor allem in der Asylfrage im Fokus der Öffentlichkeit. Wie einschneidend war dieser Rollenwechsel für Sie?

Müller: Spätestens seit den erschütternden Fernsehbildern von Lampedusa wird die Asylpolitik öffentlich breiter diskutiert. Mir waren die Themen Asyl und Zuwanderung schon zuvor von meiner früheren Tätigkeit als Europaministerin vertraut. So habe ich mich beispielsweise schon im Europaparlament intensiv mit ethnischen Minderheiten in den osteuropäischen Ländern befasst. Besonders hat mich persönlich dabei eine Informationsreise in die Ostslowakei und die Begegnungen mit den Menschen dort bewegt. 

In der aktuellen Debatte haben Sie sich eindeutig gegen eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme positioniert.     

Müller: Es ist eine Tatsache, dass es Zuwanderung in die Sozialsysteme gibt. Das lässt sich eindeutig mit Zahlen belegen. Ein besonderes Problem dabei ist - etwas bürokratisch ausgedrückt - die Einwanderung in die Grundsicherung im Alter, wenn also ein Zuwanderer beispielsweise mit 58 Jahren zu uns kommt, nur einige wenige Jahre hier arbeitet und dann den Rest seines Lebens Grundsicherung im Alter bezieht. Armut in einzelnen Ländern der Europäischen Union darf kein Grund sein, dass Menschen ihre Heimatländer verlassen. In erster Linie obliegt es deshalb den betroffenen Mitgliedstaaten, die Lebensumstände für ihre Bürger zu verbessern. Für ethnische Minderheiten, zu denen nicht nur die Roma gehören, gibt es spezielle EU-Programme. Die Länder müssen jedoch diese Gelder auch abrufen und dafür sorgen, dass sie sachgerecht eingesetzt werden. Nötig sind vor allem Investitionen in Bildung.     

Wir stehen vorbehaltlos zu dem Gedanken der Freizügigkeit, der sich positiv für unseren Arbeitsmarkt und unsere Wirtschaft auswirkt. Diese Freizügigkeit darf nun aber nicht als Wahlfreiheit für das jeweils beste Sozialsystem in Europa verstanden werden. Das wäre auch den Menschen hier nicht zu vermitteln, die ein Leben lang hart gearbeitet haben. 

Damit liegen Sie aber über Kreuz mit der Brüsseler EU-Kommission, die eher für Zugang zu den Sozialsystemen plädiert     

Müller: Diesen Vorstoß aus Brüssel empfinde ich als komplette Kehrtwende. Was wir jetzt brauchen, sind klare Regelungen für die Nationalstaaten. Deshalb fordern wir eine Überprüfung der rechtlichen Situation, etwa für das Kindergeld, das derzeit auch gezahlt wird für Kinder, die gar nicht in Deutschland leben. Die Zuwanderung in die Sozialsysteme lässt sich nur auf europäischer Ebene lösen. Um Missbrauch durch Freizügigkeit einzudämmen, brauchen wir eine klare, wasserdichte Gesetzgebung, die europafest abgesichert ist.    

Stichwort Zuwanderung in die Grundsicherung im Alter - in Rumänien beispielsweise gibt es kaum ein Versorgungsnetz für alte und pflegebedürftige Menschen. Wäre es da nicht die Aufgabe der Bundesrepublik, vor Ort zu helfen?     

Müller: Natürlich, und das tun wir auch schon. Es gibt eine ganze Reihe von unterschiedlichen Projekten, die wir mit Organisationen im Land voranbringen. Außerdem läuft schon lange die von Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) ins Leben gerufene Rumänienhilfe. 

Emilia Müller zu Gast im EPV

Dossier

#Glaubensfrage

Woran glaube ich? An welchen Werten orientiere ich mich? Welche Rolle spielen Gott und Religion in meinem Leben? Das sind Fragen, mit denen sich Prominente aus Kirche und Politik, Gesellschaft und Kultur in unserer Reihe #Glaubensfrage beschäftigen. Mehr dazu in unserem Dossier:  www.sonntagsblatt.de/glaubensfrage

Flüchtlinge und Asylfragen beschäftigt die Politik aber auch in einem globalen Maßstab über Europa hinaus. Steht Ihr Name für eine neue bayerische Asylpolitik?     

Müller: In erster Linie setze ich die Beschlüsse um, die bereits vor einem Jahr von der Staatsregierung gefasst wurden. Ein ganz wesentlicher Punkt ist dabei für mich, dass wir weg von den Essenspaketen für Asylbewerber in den Gemeinschaftsunterkünften kommen und auf 'Geldleistungen' umsteigen. Die Umstellung erfolgt schrittweise - abhängig vom jeweiligen Auslaufen der Verträge mit den Lieferanten der Essenspakete. Wir haben bereits in Niederbayern umgestellt, am 1. Februar folgt Unterfranken, voraussichtlich einen Monat später Oberbayern.     

Außerdem haben wir uns als ehrgeiziges Ziel gesetzt, dass keine unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge mehr in den Erstaufnahme-Einrichtungen untergebracht werden. Bereits heute leben 100 Prozent der unter 16-Jährigen und 95 Prozent der 16- bis 18-Jährigen in Jugendhilfeeinrichtungen. Ich möchte, dass wir künftig alle unbegleiteten Minderjährigen in der Jugendhilfe unterbringen. Bei den Erstaufnahmeeinrichtungen ist unser Ziel, mehrere kleinere Einrichtungen zu schaffen, um eine bessere Akzeptanz vor Ort zu erreichen. Außerdem liegt mir der Ausbau der Sprachkurse und der Asylsozialberatung sehr am Herzen. 

Welche Erwartungen haben Sie an die Kirchen?     

Müller: Zunächst einmal will ich das große Engagement auch der evangelischen Kirche für die Asylsozialberatung hervorheben. Vorbildlich ist auch, dass die Kirchen Unterkünfte zur Verfügung stellen - davon können wir angesichts der stark zunehmenden Zahlen gar nicht genug bekommen. Als weitere wichtige Aufgabe der Kirchen sehe ich, dass sie von sich aus immer wieder für eine positive Haltung unserer Bevölkerung gegenüber den Asylbewerbern werben. Denn wir stehen doch immer wieder vor dem Problem, dass die schrecklichen Bilder von Lampedusa Mitgefühl wecken, der Asylbewerber in der eigenen Nachbarschaft aber auf Ablehnung stößt. Hier sollten die Kirchen weiterhin unermüdlich deutlich machen, dass nach unserem christlichen Menschenbild jeder einzelne Mensch seinen Wert und seine Würde hat und wir diese Menschen nicht allein lassen dürfen. 

Was sind neben der Asylsozialpolitik weitere Schwerpunkte der Sozialministerin?     

Müller: Zu erst einmal gilt es, die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten umzusetzen, in der der Sozialbereich ein Schwerpunkt war. Bei der Fülle der Aufgaben muss ich mich auf Stichworte beschränken: Grundsätzlich wollen wir die Gemeinschaft und den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern, dabei müssen wir auch die demografische Entwicklung ganz stark im Blick haben. Das ist eine riesige Herausforderung - nicht nur für die nächsten fünf Jahre. Als Beispiele seien genannt, dass wir neue Wohnformen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter und Seniorengenossenschaften im ländlichen Raum etablieren wollen.     

Hohe Priorität hat für uns der Ausbau der Kinderbetreuung und ein verbesserter Personalschlüssel in den Kindertagesstätten. Mit unseren Weiterbildungsprogrammen wollen wir erreichen, dass noch mehr Bewerber aus anderen pädagogischen Berufen, zum Beispiel Grundschullehrerinnen und -lehrer, als Fachkräfte in den Kindertagesstätten eingesetzt werden können. An den Grund- und Förderschulen wollen wir bedürftigen Kindern ein betreutes Frühstücksangebot ermöglichen. Ein weiteres Anliegen ist mir die Inklusion vom Menschen mit Behinderung. Hier haben wir das sehr ehrgeizige Ziel, dass der Freistaat Bayern bis 2023 barrierefrei ist. Ferner ist es mir ganz wichtig, dass alle jungen Menschen eine Ausbildungsmöglichkeit bekommen. Denn wir müssen Hartz-IV-Karrieren schon im Ansatz verhindern. 

Die von Ihnen beschriebenen Vorhaben kosten Geld. Wie ist das Verhältnis der Sozialministerin zum Finanzminister?     

Müller: Die Eckdaten für den Nachtragshaushalt sind festgelegt, auch für den sozialen Bereich. Vor allem für die Asylsozialpolitik brauchen wir sehr viel mehr Geld. Wir sind auf einem guten Weg, der Sozialbereich ist im Haushalt gut aufgestellt.     

Wenn man Ihren Namen googelt, werden als weitere Favoriten die Namen Haderthauer, Herrmann und Merk genannt. Wie fühlen Sie sich in dieser Gesellschaft?     

Müller: In der Gesellschaft dieser Kollegen fühle ich mich ausgesprochen wohl. Da fehlt jetzt nur noch der Ministerpräsident. Aber im Ernst: Ich arbeite mit all meinen Kabinettskollegen außerordentlich gut zusammen. Ohne Teamwork und eine ausgeprägte Zusammenarbeit könnte man in der Politik auch gar nichts erreichen.