Herr Britsch, Sie sind im November 2016 zu Fuß nach Jerusalem aufgebrochen. Was war Ihre Mission?

David Britsch: Meine Motive für die Reise waren vielschichtig. Mitbeteiligt waren die Vorgänge um die Flüchtlingswelle aus Syrien ab Sommer 2015, mit der das einsetzte, was man bald »Willkommenskultur« nannte. Ich hatte den Eindruck, dass sich hier so etwas wie eine historische Wende anbahnt: Eine konservative Kanzlerin öffnet die Grenzen – und Hunderte, vielleicht Tausende helfen ganz pragmatisch mit. Und zwar nicht nur die üblichen »Multi-kulti-Vertreter«, sondern durchaus bürgerlich-etablierte Menschen. Das hätte ich so nicht für möglich gehalten.

 

Sie wollten auch Syrien besuchen. Warum?

Britsch: Für die Syrer ist Deutschland heute das »Gelobte Land«, in das sie ziehen wollen. Kompliziert wird die Sache, wenn man auf Rassismus und Antisemitismus schaut: Viele Migranten aus der islamischen Welt bringen beides mit. Unterstützt werden sie von gesellschaftlichen Gruppen, die ausdrücklich antirassistisch auftreten. Abgelehnt werden sie von rassistischen Rechten. Ich wollte tiefer verstehen, was da vor sich geht, und habe beschlossen, der Sache nachzugehen – im doppelten Sinn. So entstand in mir der Impuls, den Weg der Flüchtlinge zu wandern, aber in umgekehrter Richtung: über Berlin und Auschwitz nach Jerusalem – und zwar ganz bewusst unter Inkaufnahme von Schwierigkeiten, Strapazen und Gefahren, wenn möglich sogar über Syrien.

 

Was haben Sie unterwegs erlebt?

Britsch: Viel Gastfreundschaft, Interesse und Offenheit – und unterschiedliche politische Einstellungen, wie man sich leicht denken kann.

 

Wie kam es dazu, dass Sie in der Türkei verhaftet wurden?

Britsch: Die Türkei habe ich von Anfang an als Polizeistaat erlebt. Bevor mir Leute ein Nachtlager angeboten haben, riefen sie die Polizei an, um mich überprüfen zu lassen. Insgesamt waren das bestimmt 30 Kontrollen. Ich habe immer offen kommuniziert, dass ich als Pilger auf dem Weg nach Jerusalem bin und versuchen möchte, ein Visum für Syrien zu bekommen – und wenn das nicht möglich sein sollte, den Seeweg nach Palästina nehmen wolle. Man hat mir dringend empfohlen, nur auf der großen Autostraße zu wandern: Auf den Nebenstraßen in den Bergen gebe es Terroristen, die mir gefährlich werden könnten, und außerdem bestünde die Gefahr, dort Ärger mit der Polizei zu bekommen. Den gab es allerdings auch so.

An einem Kontrollposten wurde ich angehalten. Es hieß, dass ich warten solle. In der Zeit habe ich auf meinem Handy meinen Blog weitergeschrieben. Irgendwann habe ich gemerkt, dass mich ein Polizist beobachtet. Nach vier Stunden wurde ich ohne Erklärung zum Krankenhaus und zum Polizeipräsidium gefahren. Da war nicht mehr zu übersehen, dass gerade etwas außerordentlich schiefläuft.

 

Wie ging es weiter?

Britsch: Im Präsidium sagte man mir, dass man mich abschieben wolle. Ich wurde genötigt, Papiere auf Türkisch zu unterschreiben, die ich natürlich nicht verstand. Ich sollte auch unterschreiben, dass ich keine konsularische Betreuung haben möchte. Als ich das Gegenteil zu Papier brachte, nahm man mir es verärgert weg. Dann kam ich ins Abschiebegefängnis von Hatay. Ich bestand zunächst vergeblich auf Kontakt mit der deutschen Botschaft. Erst am dritten Tag durfte ich – nur ganz kurz – mit ihr telefonieren. Dort sagte mir die Mitarbeiterin, dass sie mir helfen wolle, aber nicht versprechen könne, meine Abschiebung verhindern zu können.

 

Konnten Sie daraufhin mit jemandem von außen in Kontakt treten?

Britsch: Man hat den Kontakt zu meiner Frau, meiner Anwältin und der deutschen Botschaft regelrecht sabotiert. Obwohl die Botschaft und meine Anwältin einige Male im Gefängnis angerufen hatten, haben die Mitarbeiter immer gesagt: »David will nicht mit Ihnen sprechen.«

 

Wie war Ihre Zeit im Gefängnis?

Britsch: Das war herausfordernd. Nach eineinhalb Wochen hat mich meine Frau per Telefon informiert, dass ich nach den türkischen Notstandsgesetzen bis zu sechs Monate in Abschiebehaft festgehalten werden kann. Nach vier Wochen wurde ich nach Erzurum verlegt. Die Behörden sagten mir immer wieder, dass ich bald abgeschoben werde – einmal hat man mir sogar eine Reservierung für einen Flug gezeigt. Aber die Termine verstrichen, und ich saß immer noch in meiner Zelle. Erst nach vielen Wochen bekam ich die Genehmigung, Briefe zu schreiben. Über Monate kam nichts bei meiner Frau an. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, man würde die Briefe nach Ankara zur Regierung schicken. Erst kurz vor meiner Freilassung wurden sie alle abgesendet.

 

Was haben Sie die ganze Zeit über in der Zelle getan?

Britsch: Ich habe viel gelesen, zunächst nur das Evangelienbüchlein, das ich bei mir hatte. Später bekam ich Bücher von meiner Familie und von der Botschaft zugeschickt. Ich habe mich natürlich oft und lange mit den anderen Häftlingen unterhalten. Viele von ihnen waren Muslime, manche gar ehemalige Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats. Einige IS-Sympathisanten konnte ich für ein Gespräch gewinnen, andere waren verschlossen. Manche haben mir die arabische Schrift beigebracht. Ansonsten habe ich Tagebuch geschrieben und meine Wäsche per Hand gewaschen.

 

Sie hatten mit Ihrer Frau eine gemeinsame Gebetszeit.

Britsch: Diese Idee, dass man sich im Gebet miteinander verbinden kann, wenn man räumlich getrennt ist, leben wir schon seit vielen Jahren. Als wir kaum noch telefonieren durften, haben wir uns abends zur gleichen Zeit zum Gebet hingesetzt. Das stärkt und trägt, weil man sich gemeinsam mit einer höheren göttlichen Macht verbindet. Außerdem habe ich über viele Monate hinweg zusammen mit den Muslimen während der fünf Gebetszeiten gebetet.

 

Wie war das?

Britsch: Es ging mir darum, andere Religionen und Mentalitäten zu verstehen und zu erleben, was Menschen antreibt, die mir fremd sind. Sich fünf Mal am Tag hinzustellen und mit einem Imam zu beten, sich niederzuwerfen, zu beugen und das nicht zu hinterfragen, sondern das einfach zu tun: Dieses sehr körperliche, ritualisierte Beten zu erfahren war sehr wichtig für mich. Genau wie das Studium des Korans. Wenn ich jetzt über den Islam spreche, ihn auch kritisiere, weiß ich ein Stück weit, wovon ich rede.

 

Wie wurden Sie während der Haft von der deutschen Botschaft betreut?

Britsch: In dieser Frage bin ich gespalten. Die Mitarbeiterin hat sich sehr bemüht, hatte aber nur wenige Möglichkeiten. In den neun Monaten Haft bin ich nur drei Mal von einem Mitarbeiter der Botschaft besucht worden. Aus meiner Sicht hat die Botschaft den Fehler begangen, mich direkt zu Beginn meiner Inhaftierung nicht zu besuchen. Da wurde ich im Gefängnis gefragt: »Ja wo ist denn Ihr Konsul, wieso kommt da niemand?« Es entstand der Eindruck, dass es seine Gründe habe, dass ich nicht besucht werde.

 

Fühlten Sie sich alleingelassen?

Britsch: Ich dachte immer, wenn jemand grundlos verhaftet wird, muss die Botschaft alles in Bewegung setzen. Bei mir wurde das ganz offensichtlich nicht gemacht. Erst als Peter Steudtner und Deniz Yücel verhaftet wurden, zeigte sich, dass es anders geht, wenn jemand Journalist oder Menschenrechtler ist. Aber an mir klebte das Etikett »Pilger«, vielleicht auch »Spinner«. Da fühlte sich die Botschaft offensichtlich nicht genötigt, alle diplomatischen Wege zu gehen. Wenn ich mich »Blogger« genannt hätte, wäre die Sache vielleicht anders verlaufen.

 

Am 21. Dezember wurden Sie freigelassen.

Britsch: Das war sehr überraschend! Um 10.30 Uhr hieß es, dass es 11.30 Uhr zum Flughafen losgehe. Meine Familie in Deutschland wusste schon eher Bescheid.

 

Wie fühlte sich die Rückkehr an?

Britsch: Das war natürlich eine große Erleichterung und ein außerordentlich schönes Weihnachtsgeschenk. Damit hatten ich und meine Familie nicht gerechnet.

 

Seitdem haben sie vom Auswärtigen Amt nichts gehört. Was wünschen Sie sich vom deutschen Staat?

Britsch: Ich würde beispielsweise gern erfahren, ob ich jetzt eine Einreisesperre in die Türkei habe oder nicht. Das Auswärtige Amt könnte das herausfinden, genauso wie die Hintergründe meiner Freilassung. Doch man meldet sich nicht bei mir. Ich habe zwei Mal aus dem Abschiebegefängnis eine Klage gegen meine Abschiebung verfasst, beide sind nicht bei dem türkischen Gericht angekommen, nicht mal weggeschickt worden. Wieso interessiert sich das Auswärtige Amt für so etwas nicht und hinterfragt dieses Verhalten der türkischen Behörden nicht?

 

Es sind noch weitere Deutsche in der Türkei inhaftiert. Was können wir hier für diese Menschen tun?

Britsch: Die Medien dürfen sich nicht nur auf Prominente wie Deniz Yücel einschießen, sondern müssen auch über die weniger bekannten Menschen berichten. Im Gefängnis in Erzurum bin ich Jan H. begegnet, einem Deutschen, der Anfang 2017 festgenommen wurde. Er ist bereits freigesprochen worden und sitzt seit mehr als sechs Monaten in Abschiebehaft. Das ist selbst nach türkischem Notstandsrecht illegal. Aber er hat keine Lobby! Und das Auswärtige Amt veröffentlicht diesen Fall nicht, obwohl es von ihm weiß. Dabei müssten die Behörden und die Medien anprangern, dass die Türkei kein Rechtsstaat mehr ist.

 

Werden Sie es nach dieser Odyssee noch mal probieren, Ihre Pilgerreise nach Jerusalem zu beenden?

Britsch: Ich denke schon. Aber dieses Mal werde ich von Italien oder Griechenland aus mit dem Schiff nach Israel übersetzen und nicht durch die Türkei laufen.

 

REISE-BLOG von David Britsch im Internet unter: winterreise-nach-jerusalem.de

Der letzte Blog-Eintrag vor der Verhaftung

Die letzten Fotos vor der Verhaftung: https://goo.gl/photos/mQYdKzZfnTCAqLhy9

 

 

David Britsch (mit Karohemd) auf der Pilgerreise bei Gastgebern in der Türkei.
David Britsch (mit Karohemd) auf der Pilgerreise bei Gastgebern in der Türkei.
Als »Bettelpilger« ging David Britsch allein und zu Fuß. Er wollte nur von dem leben, was andere ihm anbieten.
Als »Bettelpilger« ging David Britsch allein und zu Fuß. Er wollte nur von dem leben, was andere ihm anbieten.
Unterwegs im Südosten der Türkei Richtung Syrien: David Britsch (Schatten) wollte nach Jerusalem pilgern.
Unterwegs im Südosten der Türkei Richtung Syrien: David Britsch (Schatten) wollte nach Jerusalem pilgern. In der Türkei wurde er verhaftet und neun Monate festgehalten. Mit seiner Frau war er im Gebet vereint.