Acht Männer und Frauen zwischen 40 und 60 Jahren sind diesmal zum Üben ins Spirituelle Zentrum St. Martin gekommen, manche sind Stammgäste, andere GfK-Neulinge. "In Stresssituationen geht bei mir der Vorhang runter, dann werde ich schnell aggressiv", sagt Richard, der das erste Mal dabei ist. "Mit meiner Art, Probleme bei meinem Chef anzusprechen, war ich total ineffektiv", berichtet Manuela, die schon länger übt. Und Hildegard nennt "destruktive Auseinandersetzungen" mit ihrem Sohn als Motivationsgrund. "Ich habe erst durch GfK gemerkt, wie wenig ich von den Bedürfnissen in meiner Familie mitbekommen habe", sagt sie.

Laureen Koch hört zu und nickt. Seit 2011 ist sie Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation nach dem Konzept von Marshall Rosenberg, aber das Thema beschäftigt sie schon ein Leben lang. "Viel Gewalt entsteht, weil wir unsere Gefühle nicht verstehen", sagt die 61-Jährige. Das sei ein Ziel von GfK: herauszufinden, was man eigentlich will - und wie man es klar und respektvoll ausdrückt.

Vier Schritte gibt das Konzept dafür an die Hand: Beobachtung statt Bewertung, Gefühl statt Gedanke, Bedürfnis statt Strategie, Bitte statt Forderung. Was in acht Worten so einfach daherkommt, ist in Wirklichkeit gar nicht so leicht.

Gewaltfreie Kommunikation: Ziel sei es, im Gespräch zu bleiben

Luise, das erste Mal im Training, probiert es aus. Richard spielt ihren Bekannten Peter, der Luise bei jedem Treffen mit seinem Redeschwall frustriert. "Peter, jetzt reden wir schon eine halbe Stunde, aber ich bin noch nicht zu Wort gekommen", fängt Luise mit der Beobachtung an. "Ich habe das Gefühl?" "Stopp!", ruft Laureen Koch. Der Satzanfang "Ich habe das Gefühl" bringe immer nur einen komplizierten Gedanken hervor, erklärt die Trainerin - Verstoß gegen Schritt zwei. Der Lackmustest für ein echtes Gefühl sei die Formulierung "ich bin" oder "das macht mich". Luise setzt neu an: "Das macht mich traurig, denn ich brauche deine Aufmerksamkeit, damit ich dir auch von mir erzählen kann - kannst du das verstehen?"

Etwas unsicher schaut Luise Laureen Koch an. Die schematische Abfolge der vier Schritte fühlt sich komisch an. Sie sei auch nur als Gerüst für den Anfang gedacht, erklärt Koch. Ziel sei es, im Gespräch zu bleiben - und damit auch in der Krise eine Verbindung zum anderen herzustellen, statt im Affekt auszuflippen oder auf Distanz zu gehen. Eine Verbindung zur Quasselstrippe Peter? Luise nickt, das ist gelungen - wie es danach weitergeht, bleibt offen.

Laureen Koch Gewaltfreie Kommunikation spirituelles Zentrum St. Martin München
Seit 8 Jahren unterrichtet Laureen Koch Gewaltfreie Kommunikation. jeden zweiten Dienstag im Monat bietet sie eine Trainingsgruppe für Gewaltfreie Kommunikation (GfK) spirituellen Zentrum St. Martin in München an.

Laureen Koch weiß, dass gewaltfreie Kommunikation im Alltag nicht leicht ist. Wenn man vor Wut schäumt, ist es eben schwer, nur Ich-Botschaften zu formulieren, mit dem "VW-Prinzip" Vorwürfe in Wünsche umzuwandeln und bei all dem auch noch offen zu bleiben dafür, dass der andere trotzdem Nein sagt:

"GfK ist kein Zauberstab und man lernt es auch nicht an einem Wochenende."

Laureen Koch übt die Methode auch mit Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Die gute Nachricht: Wer eine Auseinandersetzung mal wieder so richtig vermasselt hat, muss sich nicht schämen. "Stattdessen kann ich die Situation hinterher im Rollenspiel üben - denn die Ursache kommt bestimmt wieder, und dann bin ich besser vorbereitet", sagt die GfK-Expertin.

Kochs eigenes Mantra in Stresssituationen ist die Frage: "Wie möchte ich, dass wir Menschen einander begegnen?" Das bringe sie schlagartig in die richtige innere Haltung für GfK. Empathie und Ehrlichkeit sind für die Weinhändlerin Säulen des Konzepts. Die Ehrlichkeit sei sogar noch etwas wichtiger: "Denn Empathie ohne Ehrlichkeit ist auch Gewalt, weil sie dann nur eine Strategie ist."

Respekt, Aufmerksamkeit, Verständnis, Gemeinschaft, Autonomie, Liebe: "Das sind universelle Bedürfnisse, die wir alle wichtig finden", zählt Laureen Koch auf. Konflikte entstünden meist auf dem Weg zur Erfüllung dieser Bedürfnisse. GfK sei ein Instrument zur Selbsterkenntnis: Was stört mich? Was will ich? Warum macht der andere das? Wer sich diese Fragen beantworte, bleibe ruhiger und sage seltener Dinge, die er hinterher bereut. Natürlich brauche ein Gespräch nach den GfK-Grundsätzen mehr Zeit als ein Donnerwetter. "Aber dafür schafft es nachhaltige Lösungen", sagt Koch.