Nach 35 Jahren Telefonseelsorge hat Claudia Schulze schon in die tiefsten menschlichen Abgründe geblickt, sich viel Leid und Ängste angehört und Ratschläge verteilt. »Ich bin aber keinesfalls abgebrüht«, betont die Nürnbergerin. Sie wird mit dabei sein, wenn im Februar ein neuer Kurs für ehrenamtliche Telefonseelsorger der Stadtmission Nürnberg beginnt. Denn die etwa 65 Frauen und Männer, die rund um die Uhr zu erreichen sind, brauchen mehr Kollegen.

Nürnberger Telefonseelsorge arbeitet mit Ehrenamtlichen

Der Raum, in dem das Telefon steht, ist geheim, ebenso die Identität der Person, die am Hörer ist. Das gilt gegenseitig – Telefonseelsorge ist anonym. Wer die kostenfreie Nummer wählt, kann sicher sein, dass er unerkannt bleibt, nicht einmal seine Nummer wird auf dem Display angezeigt. »Sie sind doch die Frau, die auch mal lachen kann«, hört Claudia Schulze des öfteren und freut sich dann über dieses Kompliment. Ansonsten sind zu persönliche Kontakte für beide Seiten tabu. Die Anrufer wissen nicht, wer auf dem Vier-Schicht-Dienstplan der Nürnberger Telefonseelsorge gerade steht und wo dieser hängt. Und zu eng soll die Bindung innerhalb der guten halben Stunde, die sich die Ehrenamtlichen Zeit nehmen, auch nicht werden.

Ehrenamtliche werden geschult für Telefonseelsorge

»Wir sind eben doch keine ausgebildeten Therapeuten«, erklärt Leiterin Birgit Dier, die es ihren Ehrenamtlichen in der geheimen Wohnung in Nürnberg schön gemacht hat. Hier stehen nicht nur die »Arbeitsgeräte« Telefon und der Computer, in dem anschließend die Gespräche registriert und nach Anlass katalogisiert werden. Eine Schale mit Schokolade steht immer auf dem Tisch, daneben ein gemütliches Sofa.

Wer zwischendurch mal abschalten will, der kann es sich sogar auf einem Bett im Nebenraum gemütlich machen und für ein paar Minuten die Weiterschaltung drücken. Dann kommen die Anrufer an anderen Stellen in Bayern an. Rund 17 000 Telefonate werden an der ältesten landesweiten Telefonseelsorgestelle in Nürnberg geführt. »Wir könnten acht Mal so viele Gespräche annehmen«, hat Birgit Dier ausgerechnet.

Daher nun auch wieder mal der Aufruf, sich an dieser verborgenen und doch so wichtigen ehrenamtlichen Aufgabe zu beteiligen. Ein Jahr lang werden die Kursteilnehmenden in der Gesprächsführung geschult, setzen sich mit psychischen Krankheiten auseinander und lernen die Hilfelandschaft der Metropolregion kennen. Regelmäßig wird das theoretisch Gelernte bei Hospitationen praktisch erprobt. »Wer diese intensive Ausbildung durchläuft, sollte sich bereit erklären, zwei Jahre ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge mitzuarbeiten«, sagt Dier. Es gebe sogar Trittbrettfahrer, die sich eine kostenlose Ausbildung und ein paar Monate Praxis gönnen, um sich für das weitere Berufsleben günstige und gute Qualifikationen zu erarbeiten. Das sei natürlich nicht Sinn der Sache.

Lästige Sexanrufer am Sorgentelefon

Ebenso an der falschen Adresse sind Anrufer, die das Nürnberger Sorgentelefon nutzen, sexuelle Fantasien auszuleben. »Das kommt sogar relativ häufig vor«, erklärt Dier und zählt Beispiele von Gesprächen auf, bei denen Männer am Ende der Strippe nach körperlicher statt geistiger Befriedigung suchen. Jedoch: Auch diese Anrufer haben ein Problem, stimulieren sich gerade anhand dieser ablehnenden Erfahrung.

Da wissen die Mitarbeiter wieder einmal, dass man eben doch noch nicht alles erlebt hat. »Die Wissenschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten auch viel weiter gekommen, hat beispielsweise für depressive Erkrankungen Definitionen und Therapien entwickelt«, meint Dier. So würden auch die Telefonseelsorger immer weiter geschult. Alle paar Wochen trifft sich das Team auch in kleineren Gruppen zum Austausch. »Manchmal braucht auch ein Telefonseelsorger jemanden zum Sprechen«, gibt Claudia Schulze zu.

Selbstmord oft Thema am Seelsorgetelefon

Oft auch, wenn der Mensch am anderen Ende der Leitung mit dem Leben hadert und von Selbstmord spricht. Das ist jedoch kein Grund, die Alarmglocken schrillen zu lassen. »Wer in einer solchen Situation bei uns anruft, der hat noch nicht abgeschlossen, der will sich noch helfen lassen«, so Birgit Dier.


Nicht vergessen dürfe man allerdings, dass es auch schöne Erlebnisse beim Telefonieren gebe. Menschen, die sich noch einmal melden und sich bedanken, dass eine der guten Seelen am anderen Ende der Strippe mal in einer schwierigen Lebenssituation das richtige Wort gefunden hat. Oder wie im Falle Claudia Schulze, die im Beruf viel im Personalwesen tätig war: »Einer Frau, die monatelang erfolglos Bewerbungen geschrieben hatte und verzweifelt war, konnte ich am Telefon die richtigen Tipps geben. Wenige Wochen später hatte sie einen Job.« 

Frauen und Männer, die an einer Mitarbeit in der Telefonseelsorge interessiert sind, wenden sich jederzeit an Birgit.dier@stadtmission-nuernberg.de