Meine Enkelin ist eine aufgeweckte junge Frau (16). Sie hat aber neuerdings Anschluss gefunden an Leute, die mir gar nicht gefallen. Sie kleidet sich schwarz, hat sich auch die Haare schwarz gefärbt und schminkt sich sogar die Lippen schwarz. Sie trägt Silberschmuck – und neulich hat ein Freund ihr einen Anhänger mit einem Totenkopf geschenkt.

Wenn ich sie frage, erklärt sie mir irgendwas mit "gothic" und dass sie das stark findet, weil diese Welt sowieso den Bach runtergehe. In ihrem Zimmer hat sie sich eine Ecke eingerichtet, die aussieht wie ein Altar: schwarze Tücher, weiße Kerzen, rote Stoffrosen, Räucherstäbchen.

Neulich hat sie mich gefragt, ob sie das kleine Kruzifix haben kann, das meinem verstorbenen Mann gehört hat. Es liegt bei mir auf der Anrichte, ganz nah bei seinem Bild. Sie hat gesagt: "Der Opa hätte es mir bestimmt gegeben…!" Aber ich weiß nicht. Ich will sie nicht vor den Kopf stoßen – aber ich will es, ehrlich gesagt, nicht hergeben.

Frau P. (73)

"Dass diese Welt sowieso den Bach runtergeht…" – so kann man das wohl auch ausdrücken, wenn man wahrnimmt, wie wenig wir in der Hand haben, was geschieht. Vermutlich benutzt Ihre Enkelin noch viel stärkere Ausdrücke, wenn sie mit ihren Freunden zusammen ist.

Und sie baut sich einen kleinen Altar, in dem sie ausdrückt, was sie beschäftigt. Als Großmutter nehmen Sie das aufmerksam wahr und haben doch Ihre eigene Art, mit Verlusten umzugehen. Auch Sie haben – so mein Eindruck – einen kleinen Altar, der etwas vom Bewältigen von Veränderungen ausdrückt: das Bild Ihres verstorbenen Mannes und daneben sein kleines Kruzifix.

Vielleicht geht es in Ihrer Anfrage um zwei Überlegungen. Wie ist das für Sie, dass da in der Andachtsecke Ihrer Enkelin ein Kruzifix liegen soll? Viele Menschen mögen empört denken: Das passt doch da nicht hin, zwischen diese Knochen, in diese finstere Ecke!

Als Pfarrerin denke ich: Das passt ganz genau da hin – oder besser: Es gibt keinen Ort, und sei er noch so düster, wo so ein Kruzifix nicht hinpasst. Denken Sie an die Botschaft des Karsamstags, dass der Gekreuzigte hineinstirbt in die düstersten Orte, die, denen wir uns lieber nicht nähern, vor denen wir uns gruseln: "Hinabgestiegen in das Reich des Todes", so bekennen wir das im Glaubensbekenntnis.

Und dann ist da die Frage, ob Sie Ihrer Enkelin das Kreuz des Großvaters geben sollen. Da möchte ich Sie gerne dabei bestärken, bei Ihrem Gefühl zu bleiben: Dieses Kreuz gehört in Ihre Andachtsecke, es gehört zum Bild Ihres Mannes, es gehört zu Ihrer Art und Weise, sich zu versichern, dass der gestorbene und auferstandene Christus auch die, die vor uns gestorben sind, mit hineinnimmt in seine Auferstehung.

Vielleicht können Sie über beides ins Gespräch kommen und es zu einem kleinen gemeinsamen Projekt machen, für die Andachtsecke Ihrer Enkelin ein kleines Kreuz zu finden. Vielleicht gewinnen Sie so beide, als Großmutter und Enkelin, eine neue Möglichkeit, darüber zu sprechen, was Sie befürchten und erhoffen, von dieser Welt und darüber hinaus – und wie unterschiedlich Sie sich beide dabei ausdrücken?