Es geht darum, den eigenen Weg zu finden, sagt Michael Kaminski. Vor wenigen Tagen ist er losgelaufen mit seiner Gruppe. Vom Münchner Marienplatz über das Kloster Andechs geht es bis zum Kloster Rottenbuch in den Ammergauer Alpen. Ein schöner Weg. Aber beschwerlich. Denn die Menschen, die Kaminski begleitet, haben einen nahen Angehörigen verloren und trauern. Michael Kaminski ist Pilgerbegleiter - einer der wenigen, die es in Bayern gibt. Denn die Ausbildung ist weitgehend unbekannt in Deutschland.

Pilgern für Trauernde

"Trauernde Menschen fühlen sich oft überfordert", erzählt Kaminski. Der Tod des Ehepartners, eines Kindes oder eines Verwandten sei fast immer überraschend. Nach einem Jahr werde von den Trauernden oft erwartet, wieder zu "funktionieren". Eine Pilgerreise biete Raum für Gefühle und Emotionen.

Das schwere Gepäck auf dem Rücken sei ein gutes Symbol für die Last der Trauernden: Die Teilnehmer kämpfen bei den Tagesetappen von bis zu 40 Kilometern mit dem Gewicht ihres Rucksacks, mit Blasen an den Füßen, sie laufen trotz Schmerzen weiter. "Durch das Pilgern lernen wir, mit Schmerzen und Grenzsituationen umzugehen", erzählt Kaminski. Diese Erfahrung könne in den Alltag übertragen werden - und helfe bei der Trauerbewältigung.

Michael Kaminski ist professioneller Pilgerbegleiter

Michael Kaminski ist Profi im Pilgern. Der Religionspädagoge und Erwachsenenbilder bietet inzwischen eine ganze Reihe von Pilgerreisen an. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich meist Menschen in Umbruchsituationen auf den Weg machen - bei Trennung oder Scheidung, einer beruflichen Neuorientierung oder einer überwundenen Krankheit", sagt Kaminski. Wer sich in einer Umbruchsituation des Lebens befinde, suche Distanz und Ruhe. Die Rolle des Pilgerbegleiters sei es, diese Situation zu begleiten.

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"Ein guter Pilgerbegleiter setzt Impulse", erklärt Kaminski. Wenn an einer Kapelle am Wegesrand gerade ein Baum gefällt worden sei, dann biete dies eine gute Gelegenheit, um über Abschied zu sprechen. Anschließend könnten die Menschen in Stille weitergehen und über das Gesagte nachdenken oder miteinander über ihre Erfahrungen reden.

Pilgern ist nicht eine Wallfahrt

Im Gegensatz zu einer Wallfahrt, die immer in einer Gruppe erfolge, sei Pilgern ein individueller Vorgang. Das klassische Pilgern zur Vergebung der Sünden, wie dies im Mittelalter üblich gewesen sei, sei inzwischen überholt. Heute gehe es darum, einen Zugang zum Glauben und zu sich selbst zu finden. Die Pilgerreisen, die von den Evangelischen Stadtakademien in München und Augsburg angeboten werden, kommen jedenfalls gut an und sind schnell ausgebucht.

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Das Handwerkszeug liefert die Ausbildung zum Pilgerbegleiter. "Ich muss verantwortungsbewusst und neugierig sein, mich auf Menschen einlassen können und gleichzeitig die Organisation des Weges nicht aus den Augen verlieren", beschreibt Kaminski seine Aufgaben. Neben körperlicher Fitness gehörten auch so profane Dinge wie ein Erste-Hilfe-Kurs oder Kartenlesen zu einem guten Pilgerbegleiter.

Pilgern für gestresste Menschen

Für Kaminski ist es nur verständlich, dass Pilgern so beliebt ist. "Es gibt kaum eine schönere Art, die Natur und andere Menschen zu erfahren", sagt er. Der gemeinsame Schlafraum, einfache Lebensverhältnisse und die Begegnung mit anderen Menschen bildeten einen wichtigen Gegenpol zum eigenen Leben. "Wir sind unterwegs und knüpfen Kontakte zu anderen Menschen, das schafft eine große Nähe und sorgt für Gemeinschaft", so Kaminski. Viele Gruppen würden sich nach einer gemeinsamen Pilgerreise auch privat noch treffen, manchmal entwickelten sich Freundschaften.

Vielleicht wird es den zwölf Teilnehmern, die sich auf dem Weg zum Kloster Rottenbuch befinden, genauso gehen. Insgesamt wollen sie 145 Kilometer Wegstrecke hinter sich bringen. Zuhause werden sie vielleicht gelegentlich an den gefällten Baum denken oder an ein Hindernis, das sie erfolgreich überwunden haben.