Heitere Gelassenheit und einfühlsame Lebensklugheit strahlen nicht nur Waldemar Pisarskis Texte aus. Jeder, der es mit ihm zu tun hat, spürt sie. Sie wurzeln in einer Fülle an Lebenserfahrung, für deren Schilderung ein Zeitungstext nicht ausreicht.

Es fängt bei seinem Namen und seinem Geburtsort an: Geboren wurde Waldemar Pisarski am 17. November 1942 im polnischen Łódź, das damals nach einem NS-Politiker Litzmannstadt hieß. Die deutschen Besatzer hatten die jüdische Bevölkerung der Stadt in ein Ghetto gesperrt. Zehntausende starben dort an Hunger, Kälte, Krankheiten. Weitere Zehntausende wurden vom Ghetto Litzmannstadt in die Vernichtungslager deportiert.

Deutsch, polnisch, evangelisch

Die Familie Pisarski trug zwar einen polnischen Namen, war aber deutsch und evangelisch. Ende des 17. Jahrhunderts war sie aus Schwaben nach Petrikau eingewandert. Die Vorfahren hießen damals noch "Schreiber". Aus Łódź wurde bald das "Manchester des Ostens", und viele deutsche Zuwanderer halfen mit: Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten hier über 90.000 Menschen in rund 700 Textilfabriken von zum Teil gigantischen Ausmaßen. Irgendwann muss sich die Migrantenfamilie Schreiber gesagt haben: Wir bleiben hier und polonisieren unseren Namen. Schreiber heißt im Polnischen "pisarz". Sein Vater Siegfried habe sein Leben lang ein sehr hartes Deutsch gesprochen, erinnert sich Pisarski, "seine Muttersprache war Polnisch". Ein Teil der deutsch-polnischen Familie hielt es mit den Deutschen, Pisarskis Vater unterstützte den Widerstand.

Gegen Ende des Kriegs war Siegfried Pisarski evangelischer Vikar in Krakau, an der Martinskirche, die bis heute evangelisch geblieben ist. Bei einem Besuch dort hat Waldemar Pisarski in den Kirchenbüchern die Unterschrift seines Vaters gefunden.

Der Vater musste dienstverpflichtet in Krakau bleiben, als der Rest der Familie im Winter 1944/45 über Schlesien nach Bayern floh, der kleine Waldemar Pisarski reiste unter der Obhut seiner Großeltern im Güterzug. Als Treffpunkt war der Missions- und Löhe-Ort Neuendettelsau ausgemacht. Erst 1946 fand die Familie dort nach vielen Wirren wieder zusammen.

Zweite Heimat USA

Eigentlich sei er selbst "Pfarrer gegen meinen Vater" geworden, erinnert sich Pisarski. Nach all den Erniedrigungen der NS-Zeit, der Flucht und bei der Aufnahme in den bayerischen Pfarrdienst sei dessen Mittel die Arbeit gewesen: "Er hat geschuftet wie ein Pferd und hatte mit 40 und etwas den ersten Herzinfarkt." Nur noch zu atmen und nicht mehr zu leben wie sein Vater, das wollte Waldemar Pisarski nicht.

Aufgewachsen ist Pisarski in Lorenzreuth bei Marktredwitz, wo der Vater lange Pfarrer war: "Oberfranken und der Duft nach Fichtennadeln – das ist für mich Heimat." Die Bultmannschule hat ihn dann im Theologiestudium geprägt und vor allem der Anspruch, "redlich zu sein gegenüber Gott und den Menschen". Der Zweifel gehört dabei dazu. Siegfried Wolf, damals Rektor des Nürnberger Predigerseminars, ist Pisarski bis heute dankbar. "Ich kann das nicht", gestand er diesem und bekundete den Willen, den Pfarrberuf hinzuschmeißen. "Nehmen Sie den Zweifel ernst", habe Wolf geantwortet, "und gehen Sie ganz weit weg, so weit die Füße tragen."

Bei Waldemar Pisarski wurde aus diesem Rat ein Stipendium in Kalifornien. Er begegnete dem berühmten Psychotherapeuten Carl Rogers (1902-1987) sowie Howard Clinebell (1922-2005), einem der Väter der amerikanischen Seelsorgebewegung, die die Psychotherapie für die christliche Praxis fruchtbar machte. Pisarski schloss eine klinische Seelsorgeausbildung ab und arbeitete im Zuchthaus Raleigh in North Carolina, in dem 40 Häftlinge auf die Hinrichtung warteten. Nächste Station war dann eine psychiatrische Klinik auf Long Island im US-Bundesstaat New York. Als Hilfsprediger einer kleinen Gemeinde verdiente er damals sich und seiner kleinen Familie etwas dazu. Die damals entstandenen Freundschaften pflegen die Pisarskis bis heute.

"Ich schaff’s nicht mehr!"

Als Mitte der 1970er-Jahre das Münchner Riesenklinikum Großhadern errichtet wurde, war Waldemar Pisarski der perfekte Mann, um dort für die Landeskirche ein Zentrum für klinische Seelsorgeausbildung aufzubauen. Fast schon wieder auf dem Sprung zurück in die USA kam 1985 das nächste spannende Angebot: die Pfarrstelle in der Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Pisarski sagte zu, "mein Vater, der im Widerstand war, hätte sich gefreut". Dachau wurde eine aufreibende Zeit für ihn: "Jeden Tag 10, 12 ehemalige Häftlinge, Kommunisten, Sozialdemokraten, Pfarrer, oder die Freundschaft mit Max Mannheimer, eine sehr aufregende Stelle." Aufregend war auch der ständige Kampf mit der in Dachau regierenden CSU, die damals die Gedenkstätte vor allem als Belastung sah. Im Sommer kamen oft bis zu 2000 Besucher täglich in den Gesprächsraum der Versöhnungskirche – nach dem Besuch des Krematoriums und der Genickschusskammer: "Und ich konnte nichts anderes tun als die Seele hinhalten", erinnert sich Pisarski, und man spürt noch heute, welche Eindrücke und Belastungen diese Zeit bei ihm hinterlassen hat. "Ich schaff’s nicht mehr", musste er sich am Ende eingestehen – auch mit Hilfe eines Gestalttherapeuten.

Die Seele hielt Pisarski fortan als Ausbilder, Supervisor und Gestalttherapeut hin. Von 1990 bis zum Ruhestand 2007 war er theologischer Leiter der Arbeitsgemeinschaft Evangelische Erwachsenenbildung in Bayern.

Pisarski und seine Frau leben heute im Osten Augsburgs – als mehrfache und leidenschaftliche Großeltern. Autor, Seelsorger, Referent und Lehrsupervisor ist Pisarski weiterhin. Aber er mache nur Dinge, die er gerne mache – "und ich mache mehr Pausen", sagt Pisarski und fügt hinzu: "Es ist ein so schönes Arbeiten aus der Gelassenheit heraus. Ich bin dem lieben Gott sehr, sehr dankbar."

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