Wie bewerten Sie den Regensburger Korruptionsskandal?

Hans-Martin Weiss: Ich bin tief erschüttert. Wenn ich von dem Problem rede, rede ich sowohl von Joachim Wolbergs (SPD) als auch von Hans Schaidinger (CSU). Mir schwante nichts Gutes, als ich hörte, wie sich die Dinge entwickeln. Ein Geschmäckle an den Immobiliengeschäften war für mich immer gegeben. Mit einem Teil meines Reflexionsvermögens habe ich auf den Tag gewartet, an dem die Dinge unter dem Gesichtspunkt der Strafrelevanz behandelt werden. Ich finde, es ist ein Riesen-Vertrauensverlust, der dadurch an den politischen und administrativen Prozessen entsteht.

 

Muss die Kirche da nicht entschieden Stellung beziehen?

Weiss: Der Ex-US-Botschafter Kornblum sagte jüngst, wir Deutschen haben die Aufgabe, moralisch eine Führungsnation zu sein – angesichts dessen, was in den USA, der russischen Föderation und in der Volksrepublik China momentan läuft. Dass wir in eine solche Rolle kommen konnten, mit all den strittigen Fragen wie Flüchtlingen und so weiter, das ist ein riesiges Glück für dieses Land, nachdem es in der Geschichte mal völlig anders dastand – einerseits.

 

Und andererseits?

Weiss: Andererseits gibt es so eine korrupte Stimmung auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen, die dann in einer gewissen Saubermann-Atmosphäre bei den Kleinen sehr nachdrücklich geahndet wird. Roman Herzog hätte heute das Recht, erneut von einem Ruck zu sprechen, der durch die mittleren und Spitzen-Schichten in diesem Land gehen müsste – und es sich dringend gebietet, sich jeglicher Scheinheiligkeit zu enthalten.

 

Was würden Sie Joachim Wolbergs empfehlen?

Weiss: Was man jetzt so an Verfahrensweisen sieht, wäre das vermutlich das Klügste, hier auch im biblischen Sinn einen Strich durch die Rechnung zu machen und alle Möglichkeiten zu nutzen, neu anzufangen. Mit Augen zu und durch ist jetzt nichts mehr!

 

In Regensburg wird heuer das  Reformationsjubiläum groß gefeiert. Wie gestaltet sich Ökumene in dieser Situation?

Weiss: Das ökumenische Klima ist erheblich besser als es noch vor Jahren war. Die Zusammenarbeit mit Bischof Rudolf Voderholzer hat einen viel umgänglicheren Ton und ist trotzdem eine sehr realistische Abschätzung der Möglichkeiten, die augenblicklich da sind.


Wie viel Gemeinsamkeit ist möglich?

Weiss: Wir werden am 11. März einen Versöhnungsgottesdienst im Stil der Liturgie von Lund feiern. Da haben wir vor, uns gegenseitig etwas zu schenken, was nicht von Pappe ist. Bischof Voderholzer schenkt uns einen Kelch. Wir schenken dem Domkapitel eine Hostiendose, die eine Kopie der Hostiendose darstellt, die 1542 beim ersten lutherischen Abendmahl in der Neupfarrkirche zum Einsatz gekommen ist.
 

Und um die Ökumene im Kirchenkreis noch einmal auf den Punkt zu bringen …

Weiss: Ökumene läuft zurzeit richtig gut, sehr gut. Übrigens auch mit den Domkapiteln in Passau und Eichstätt.

 

Und mit Augsburg?

Weiss: Es läuft besser, als man gedacht hätte.

 

Und wenn es um so strittige Themen wie gemeinsames Abendmahl geht?

Weiss: Es ist verbindlicher im Ton, verlässlicher und freundlicher in den Vereinbarungen. In den Hot points ist es nicht so laut und geräuschvoll wie früher, aber in der Sache genauso entschieden.

 

Spaltung der Gesellschaft, Ausgrenzung, Rechtsruck in Europa. Was geht mit Christen gar nicht?

Weiss: Die nationale, regionale und internationale Solidarität, das Füreinander-Einstehen auf diesen Ebenen ist Gebot und Verheißung zugleich. Dass wir es tun, ist nicht nur moralischer Anspruch. Es geht mit der Kirche unter keinen Umständen eine Entsolidarisierung, ein Protektionismus, der nur einem Land dient und das andere ins Abseits, in die Gefahr, ins Elend drückt. Alles, was zur Nächstenliebe im neuen Testament gesagt ist, steht schlicht dagegen.

 

Sie wünschten sich zum neuen Jahr, dass Ihre Frau Ihnen weiterhin so zugewandt bleibt wie bisher. Ein sehr emotionales Statement für einen Regionalbischof.

Weiss: Das sind meistens spontane Äußerungen, aber die entsprechen meiner Grundhaltung, dass ich als ersten Beruf meine Ehe verstehe, im lutherischen Sinn.