Schon seit drei Jahrzehnten pflegt die katholische Gemeinde St. Pankratius im Augsburger Stadtteil Lechhausen eine besondere Tradition: Mitglieder der Gemeinde legen einen Körnerteppich zu Erntedank. Das monumentale Mosaikbild besteht aus verschiedensten Getreidekörnern, Erbsen, Bohnen, Linsen, Gewürzen und farbigen Granulaten.

Viele Jahre lang kümmerte sich das Mesner-Ehepaar Gerstmeier um den Teppich, nur einmal konnte krankheitshalber kein Körnerteppich gestaltet werden. Mittlerweile haben jüngere Gemeindemitglieder im Team um Uschi Baur die Arbeit übernommen. Das ist nicht selbstverständlich, denn in vielen Gemeinden fehlt hierfür der Nachwuchs.

Körnerteppich als Zeichen der Ökumene

Vielerlei Bildmotive gab es in St. Pankratius in 30 Jahren schon zu bestaunen, immer ganz katholische Darstellungen, wie die heilige Hildegard von Bingen, eine Umsetzung des bekannten Bildnisses der Maria Knotenlöserin aus der Augsburger Kirche St. Peter am Perlach – ein Motiv, das auch Papst Franziskus als Reproduktion im Postkartenformat wertschätzen soll – oder ein Bild von Mutter Teresa, »Engel der Armen« in Kalkutta.

Da überrascht es schon, wenn dieses Jahr auf dem 29. Körnerteppich in Pankratius Wegmarken aus dem Leben des Reformators Martin Luther zu sehen sind. »Zu 500 Jahren Reformation war das im Zeichen der Ökumene gar keine Frage, wir waren uns alle einig«, erläutert Uschi Baur die Wahl des Körnerteppich-Teams. Auch Stadtpfarrer Markus Bader war einverstanden. Schließlich steht in Sichtweite von St. Pankratius die evangelische Markuskirche, und man pflegt die Ökumene.

 

Das Porträt Luthers als Körnerteppich
Feinarbeit am Reformator: Das Porträt Luthers ist ein zentrales Motiv.

So gestalteten die sieben Damen im engeren Körnerteppich-Team nach Fotovorlagen Motive der Wartburg, aus Eisleben, aber auch Augsburg wird natürlich mit der Annakirche und der Lutherstiege ins Bild gesetzt. Die Vorzeichnungen der Einzelmotive des Gesamtkunstwerks übertrug dann Ernst Scherer auf die Holz-Grundplatte.

Die eigentliche Arbeit des Körnerteppich-Legens ist anstrengend, aber durchaus auch meditativ. Sie findet hinter einem Vorhang an einem Bauzaun im linken Kirchenschiff statt. Viele Stunden bringen die Künstlerinnen in wechselnden Gruppen jeweils nebeneinander in der Reihe auf Knien und Ellbogen gestützt auf der Holzplatte mit Kissen gepolstert zu. Zentimeterweise arbeiten sie sich mit Leim, Mosaikmaterial und Pinzette vom oberen Bildrand entlang der Vorzeichnungen und Schriften bis nach unten zum Abschluss des Körnerteppichs vor.

Körnerteppich-Legen ist meditativ

Schön sei es, wenn dazu der Organist oben auf der Empore seine Stücke für den nächsten Gottesdienst einstudiere, berichtet das Team. Dann verschmelzten die Konzentration auf das Motiv und der Klang der Musik zu einer besonderen Atmosphäre. Zur Stärkung gibt es Limo und leckere Haferkekse, die eine der Damen speziell zum Körnerteppich-Legen backt.

Zum Erntedanksonntag am 1. Oktober wird der Bauzaun abgebaut, der Vorhang kommt beiseite und das Monumental­mosaik kann bewundert werden. Bestimmt schauen auch die evangelischen Nachbarn aus der Markusgemeinde vorbei, um zu sehen, wie sich das Porträt des Reformators auf einem katholischen Körnerteppich so macht.

500 Jahre Reformation

Dossier

Vor 500 Jahren hat der Theologe Martin Luther (1483-1546) mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen die Reformation angestoßen, die zur Spaltung von evangelischer und
katholischer Kirche führte. Wie haben Gemeinden, Dekanate und Kirchenkreise das Reformationsjubiläum 2017 gefeiert? Was ist für den Reformationstag am 31. Oktober geplant? Und warum ist der dieses Jahr ein Feiertag? Erfahren Sie mehr in unserem Dossier unter www.sonntagsblatt.de/reformation!