Suchterkrankungen und ihre Folgen werden nach Experten-Meinung in ländlichen Räumen zu wenig beachtet. Das Thema sei noch immer mit den Begriffen Schande und Scham verknüpft, sagte die Pfarrerin Beatrix Kempe, die den Landfrauentag leitet. "Die Menschen auf dem Land leben nicht so anonym wie in der Stadt. Deswegen besteht die Gefahr, dass sich Suchtkranke mit ihrer Problematik noch mehr verkriechen, damit es das Umfeld nicht mitbekommt." Bei der Veranstaltung des Evangelischen Bildungszentrums Hesselberg in Wassertrüdingen bei Ansbach diskutierten Referenten über Hilfe und Wege aus der Sucht.

Der Unterschied bestehe vor allem in der Wahrnehmung, stellte Karin Ernst, Leiterin der Suchtberatung des Diakonischen Werks Weißenburg-Gunzenhausen, fest. Städte verknüpfen viele Menschen vor allem mit Drogen und Bildern wie beispielsweise dem Hauptbahnhof in Nürnberg. Aber natürlich seien Suchterkrankungen auch auf dem Land ein Thema, vor allem Alkohol, denn in nahezu jedem kleinen Örtchen gebe es ein Wirtshaus, so Ernst: "Ein Kollege hat einmal zu mir gesagt: Es ist leichter auf dem Dorf, einen Kasten Bier zu bekommen als einen Laib Brot."

Menschen entwickeln Sucht im Alter

Alkohol steht ganz oben auf der Liste der Suchterkrankungen. Ein unterschätztes Problem sind ältere Menschen. "Die Vorstellung, dass es im Alter zu Suchterkrankungen kommt, existiert nicht", sagte die Expertin Karin Ernst. Aber Betroffene werden älter, und viele Menschen entwickeln erst im Alter eine Abhängigkeit, vor allem von Schlaf- und Beruhigungsmitteln. "Die Betroffenen suchen sich ganz gezielt einen Ansprechpartner: beispielsweise einen Arzt, der besonders viele Medikamente verschreibt", so Ernst. Im Zusammenspiel mit Alkohol entstehe häufig eine gefährliche Mischung. Viele Patienten, die in eine Klinik kommen, haben neben ihrem Oberschenkelhalsbruch ordentliche Promillewerte im Blut.

Erna Scheiderer-Fremuth ist Suchtberaterin beim Blauen Kreuz in Ansbach, sie lebt seit fast 27 Jahren ohne Alkohol. Vier Jahre lang hat ihr Kampf gegen die Sucht gedauert. "Frau und Alkohol war damals eher ein verstecktes Thema. Ich habe gemerkt, dass ich anders trinke als mein Umfeld", sagte die Beraterin. Der Grund, mit dem Trinken aufzuhören, war ihr Ehemann. Er stellte sie vor die Wahl: entweder die Finger vom Alkohol zu lassen oder auszuziehen. Dadurch hätte die damals 31-jährige Frau das Sorgerecht für ihre beiden kleinen Kinder verloren.

Abhängige verschleiern Sucht

In einer Klinik schaffte sie dann die Entgiftung und lernte dadurch das Blaue Kreuz kennen. Heute lebt sie komplett ohne Alkohol und achtet sehr genau darauf, welche Lebensmittel oder Medikamente sie kauft: "Mich stört es nicht, wenn Menschen normal Alkohol konsumieren, die das auch können. Ich kann es nicht, und ich will es nicht. Das ist meine Haltung dazu."

Knackpunkt auf dem Weg zur Hilfe: Wenn der Abhängige seine Sucht auch verschleiert – Freunde und Familie wissen meist ganz schnell Bescheid, wenn irgendwas aus dem Ruder läuft, so Ernst. "Wichtig ist es immer, mit dem Betroffenen selbst zu reden, und zwar in einer wertschätzenden Art und Weise", sagte die Suchtberaterin. "Der erste Schritt ist, die Betroffenen anzusprechen, denn sie denken häufig, dass das Umfeld die Suchterkrankung gar nicht mitbekommt." Für Betroffene sei es im ersten Schritt wichtig, den Weg zur Beratungsstelle zu finden und zu erkennen, welche Folgen ihr Konsum tatsächlich habe. In Bayern gibt es rund 180 ambulante psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstellen für Suchtkranke.