Der Nürnberger Stadtarchäologe John Zeitler sagt, er habe ein dickes Fell und das brauche er auch. Gewachsen ist es ihm in den Auseinandersetzungen mit Bauherren, die sich über archäologische Grabungen ärgern, weil sie Zeit und Geld kosten. Zur Zeit baut die evangelische Landeskirche im Herzen der Nürnberger Altstadt, und auch dort schürfen und schürfen die Archäologen und finden Scherben und Schichten, die sie faszinieren.

Im Lorenzer Kirchhof entsteht für knapp 15 Millionen Euro ein vierstöckiger Neubau mit angrenzenden restaurierten Gebäuden. Darin werden unter anderem ein Bibelmuseum, das Kirchensteueramt, weitere Büroräume, die Gemeinderäume von St. Lorenz und ein großer Gemeindesaal untergebracht sein. Die Bauarbeiten sollen bis Mitte 2018 abgeschlossen sein – so ist der Plan.

Der Zeitplan sei noch nicht aus dem Ruder gelaufen, versicherten die Architekten jüngst. Aber sie haben wohl nicht mit einem so erheblichen Interesse der Forscher gerechnet. John Zeitler sagt, die erste Sondage wäre auf Grundlage anderer Pläne gemacht worden, daher habe man nicht ahnen können, was sich ergibt.

Wie eine Schichttorte

Die Archäologen haben im Lorenzer Hof eine Art Schichttorte entdeckt, aus deren Ebenen sich herauslesen lässt, wie es den Pfarrherren von St. Lorenz im Laufe der Jahrhunderte ging. Auch der Schutt, mit dem Latrinen aufgefüllt wurden, gibt einen Einblick "in das Sozialgefüge der Lorenzer Stadtseite".

"Den Handwerkern ging es sehr gut, den etwa 300 Kaufleuten noch besser", weiß Zeitler. Aber die Stadtpfarrer an St. Lorenz hatten es feudal. Ende des 14. Jahrhunderts ist Nürnberg mit 25.000 Einwohnern eine der fünf wichtigsten Städte Europas. Aus historischen Gründen hat die Stadt aber keinen Bischof in ihren Mauern. Da sprangen wohl die Pfarrherren ein, um Hof zu halten.

1370 ließ die Kirche ein neues Pfarrhaus bauen, das wohl einer Kaiserpfalz ähnelte. Zeitler erkennt das an Resten von Wandmalereien und den Scherben von Kachelöfen.

Dass bereits im Jahr 1440 ein neues, noch prächtigeres Gebäude für die Pfarrer gebaut wurde, lässt sich an verschiedenen Löwendarstellungen an Kachelöfen, Bruchstücken von wertvollem rheinischen Steinzeug-Geschirr oder an Glasscherben von Bleikristall erkennen.

"Bei den Pfarrern ist der Messwein nicht umgekippt", schaut Zeitler in die Vergangenheit. "Der Lorenzer Pfarrer hat bestimmt Wasser gepredigt und Wein getrunken." Der Archäologe ist schon neugierig darauf, welche Geschichten die gefundenen Tierknochen erzählen.

Speisekarte nachvollziehbar

"Auch die Speisekarte ist in archäologischen Schichten zu lesen", erklärt er: je größer die Knochen, umso teurer das Fleisch auf den Tellern. Vermutlich keine Indizien für prunkvollen Lebensstil, aber vielleicht eine Spur zu einem Verbrechen sind die 300 Münzen, die den Forschern beim Graben in die Hände gefallen sind. Auch wenn sich hartnäckig das Gerücht hält, dass dies ein Silberschatz ist, Zeitler winkt ab: Es fehlt der Beweis, dass die oxidierten Plättchen wertvoll sind.

Wäre seinem Eigentümer ein Münzschatz bei einem Toilettengang in die Latrine gefallen, hätte der seinen Besitz trotz Schmutz wieder geborgen, ist der Archäologe überzeugt. Daher tippt er darauf, dass die Münzen, die die Größe von Viertel Hellern haben, ein Fälscher in die Grube geworfen hat, um sich von Beweisstücken zu trennen. Solche Falschmünzer hätten früher Plättchen mit Silber überzogen, das eventuell inzwischen von Ammoniak in der Latrine zerstört wäre.

Kostbarer für die Archäologen ist aber eine Ziegelmauer, die im vergangenen Sommer bereits die Archäologin Margret Sloan vermessen und untersucht hat.

Die Originalwand aus dem 16. Jahrhundert hat Abrissarbeiten und Bomben überstanden. Sie wird nun voraussichtlich einen Platz als "Denkmal" im geplanten Bibelmuseum bekommen – wenn die Archäologen irgendwann einmal genug geschürft haben und die Bauarbeiten Schwung bekommen.