Die Arbeit im Wengert

Schon seit Anfang des Jahres, sieht man sie wieder in den Weinbergen arbeiten. Die Winzer und Winzerinnen in Mainfranken. Mit einer speziellen Schere gehen sie im steilen Weinberg von Weinstock zu Weinstock, um überflüssiges Rebholz zurückzuschneiden. Das ist eine kräftezehrende Handarbeit, die mehrere Wochen dauert. Wer nicht geübt ist, dem verursacht es schnell Schmerzen im Handgelenk. Dieser Rebschnitt zu Beginn des Jahres ist äußerst wichtig, er bringt die wildwachsenden Triebe der Rebe in eine Ordnung und in ein Gleichgewicht von Wachstum, Ertrag und Qualität. Dabei muss man sehr sorgfältig mit dem Weinstock umgehen und sich jedem einzelnen zuwenden. Statistisch wird jede Rebe 17mal im Jahr besucht. Die Arbeit im Wengert, wie der Weinberg hier in Franken heißt, ist Knochenarbeit.

Sie beginnt im Januar und endet erst wenn der Eiswein gelesen ist, nach dem ersten Frost im Spätherbst. Diese intensive Zuwendung ist die Voraussetzung für gute Trauben und noch besseren Wein. Bei aller Sorgfalt bleiben aber auch Unwägbarkeiten. Wenn etwa die Sonne die Trauben verbrennt oder zu viel Regen sie verschimmeln lässt, wenn Dürreperioden den Boden vollkommen austrocknen oder Frost und Schädlinge dem Weinberg zusetzen, dann kann das die Arbeit eines ganzen Jahres zunichtemachen. So wie im vergangenen Jahr als der späte Nachtfrost Ende April in manchen Lagen zu großen Schäden und ganz beträchtlichen Ernteausfällen geführt hat.

Nicht nur im Weinberg kann man vergebliche Liebesmüh erleben. Da hat man sich bemüht und Zeit und Kraft in eine Freundschaft oder in eine Beziehung gesteckt und plötzlich scheint alles umsonst, weil andere Kräfte viel stärker sind. Das kann eine andere Liebe sein, die alles durcheinanderwirbelt, oder eine Alkoholabhängigkeit, die einen Menschen vollkommen verändert. Manchmal gehen Freundschaften aber auch schlicht an Besserwisserei oder Bequemlichkeit zu Grunde. Jedenfalls ist es sehr enttäuschend, wenn man merkt: Man hat so viel eingebracht und von sich selbst gezeigt und am Ende kommt nichts zurück. Ich kenne Menschen die nach solch einer Erfahrung äußerst zurückhaltend bei jeder neuen Freundschaft geworden sind. Andere haben sich ein Leben lang auf keine weitere Beziehung mehr eingelassen aus Angst wieder enttäuscht zu werden.

Von den Winzern kann man da durchaus den langen Atem lernen. Für sie ist ein schlechter Jahrgang noch lange kein Grund um aufzugeben. Ganz selbstverständlich beginnt für sie mit dem Rebschnitt am Anfang des Jahres ihr Bemühen um den Weinberg von neuem.

Der Weinberg, ein Sinnbild für innige Beziehungen

Schon im alten Israel galt der Weinbau als eine fordernde Herzensangelegenheit und der Weinberg war auch Sinnbild für Menschen und ihre innigen Beziehungen. Im Hohelied Salomos wird er als der Ort bezeichnet, an dem sich die Liebenden treffen. (Hld. 7,13). Und immer wenn vom Weinberg in der Bibel die Rede ist, schwingt dieser innige Ton mit.

Der Weinberg gilt in den biblischen Texten auch als Symbol für Wohlstand. Wer einen Weinberg besaß galt als reich, weil ein guter Weinberg immer das Ergebnis kräftezehrender Arbeit und Pflege ist. Der Weinberg ist aber auch ein Synonym für friedliche Zeiten. So kündigt der Prophet Micha in seiner berühmten Vision an:

Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken. (Micha 4,3-4)

Was für eine Aussicht! Im Weinberg sitzen und das Leben genießen. Rankendes Weinlaub, eine gesellige Runde und das Glas Wein in der Hand, so stellte man sich ein schönes, ein entspanntes, ja, ein paradiesisches Leben vor. Was für eine wunderbare Idylle. Ich habe schon einmal bei der Weinlese geholfen. Da war das so ähnlich. Als die Trauben am Mittag geerntet waren, wurde bei strahlendem Sonnenschein ein großer Holztisch mit Klappstühlen in den Weinberg gestellt und der Tisch gedeckt: da gab es Hähnchen und Salat, Brot und Trauben, Wasser und Wein. Es war eine ganz besondere Atmosphäre. Ein wunderschönes Fest mitten im Weinberg.

Solche Bilder hatten die Menschen wohl auch vor Augen als das Weinberglied im Buch des Propheten Jesaja entstand. Es gilt als poetisches Glanzstück der Bibel. So meisterhaft ist es erdacht, dass es aus einer Blütezeit der Dichtkunst kommen muss. Zunächst beginnt es wie ein gewöhnliches orientalisches Liebeslied. Es erzählt von der besonderen Beziehung eines Weinbergbesitzers zu seinem Weinberg. Lieblich und zart fängt es an. Voller Zuneigung und Liebe. Ganz im Stil des  Salomos oder wie bei Menschen, die die berühmten "Schmetterlinge im Bauch" haben. Dann aber wechselt nicht nur der Ton, sondern auch der Sänger. Dissonanzen, schräge Töne, steigern sich zu einem riesen Krach, zu einem wutentbrannten Zornausbruch und das Ende vom Lied hat es dann ganz besonders in sich:

Das Weinberglied des Jesaja (Das Lied vom unfruchtbaren Weinberg)

Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.
Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?
Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.
Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit. (Jes 5,1-7)

Ein Lied wie ein Orchesterwerk

Das Weinberglied des Jesaja erinnert an ein großes Orchesterwerk. So vielschichtig ist es in seinen Stimmungen und Klangfarben. Da beginnt einer ein Liebeslied zu singen, über die wunderbare Beziehung zwischen einem Weinbergbesitzer und seinem Weinberg. Man sieht geradezu wie der Weinbergbesitzer voller Stolz in seinem Weinberg von Rebe zu Rebe geht und sich von Herzen daran freut. Dann wechselt das Lied in einen Arbeitsbericht. Es wird besungen, was der Weingärtner alles in diesen Weinberg an Arbeit und Mühe hineingesteckt hat. Er hat umgegraben, entstein, gepflanzt, eine Mauer, einen Turm und eine Traubenpresse gebaut, um dann mit Geduld zu warten, dass sich gute Trauben entwickeln. Es ist wie im richtigen Leben. Jede Liebe will auch kultiviert, bearbeitet und gepflegt werden. Die Verbindung, die wir zu anderen haben ist kein Selbstläufer. Mit den Menschen, die uns lieb sind, müssen wir auch Zeit verbringen. Wer sich nicht mehr spricht, nicht mehr sieht, der verliert den Faden zueinander. So gilt etwa bei Paaren als der größte Beziehungskiller: zu wenig Zeit füreinander. Leider merken die meisten das erst, wenn es bereits zu spät ist. Der Weinbergbesitzer hat sein Möglichstes getan. Man könnte meinen, dass er nun auch ernten kann, was er gesät hat. Aber es kommt der Paukenschlag: nichts als schlechte Trauben! Enttäuschung und blinde Wut folgen.

Wer kennt sie nicht, solche extremen Gefühle, wenn die Dinge nicht so laufen wie wir es uns gewünscht haben. Wenn wir enttäuscht sind, dass jemand nicht Wort gehalten hat oder man sich auf eine Absprache nicht verlassen konnte.

Die kleinen und großen Enttäuschungen, Verärgerungen und Niederlagen prägen unseren Alltag. Dabei gibt es unterschiedliche Arten, ihnen zu begegnen. Manche reagieren cholerisch, andere melancholisch und wieder andere üben sich in Gleichgültigkeit.

Der Weinbergbesitzer im Weinberglied des Jesaja ist außer sich. In der 3. Strophe weiß er ein donnerndes Lied zu singen in dem er all seinem Ärger Luft macht. Nun möchte er alles dem Erdboden gleich machen. Einreißen, zertreten, brach liegen lassen. Sogar die Wolken sollen auf diesen Acker nie mehr regnen. Wer sich so vergisst, vor dem nimmt man lieber Reißaus. Denn das kann ungemütlich werden und eine Weile dauern, bis es sich beruhigt. Ja, wenn man enttäuscht ist, kann es passieren, dass solch eine Wut aufkommt. Da knallen dann schon einmal Türen oder Teller zerspringen. Das Überraschende bei Jesaja: Er spricht nicht von Menschen – der Weinbergbesitzer, so löst er es in der letzten Strophe des Liedes auf, ist Gott selbst. Und dieser Gott singt nun zornig ein Klagelied über die Menschen, die er liebt und die er gehegt und gepflegt hat, wie ein Winzer seinen Weinstock.

Der gnädige Gott

Es scheint als spiegelt das variationenreiche Lied im Prophetenbuch Jesaja eine Beziehungskrise zwischen Gott und den Menschen. Kann man sich das vorstellen? Darf man sich das vorstellen? Gott wütend und außer Rand und Band, weil die Menschen Unrecht und Bosheit leben und zulassen? Weil sie – im Sprachgebrauch des Liedes – keine guten Früchte bringen. Weil sie die Welt und einander unterdrücken und ausbeuten, weil sie ihren Vorteil suchen und böse Worte zum Alltag gehören?

Aber ist Gott nicht der Gnädige? Haben wir die Entdeckung dieses Gottesbildes vor 500 Jahren durch Martin Luther und die anderen Reformtoren und Reformatorinnen nicht ein Jahr lang in der Evangelischen Kirche gefeiert und in den Mittelpunkt gestellt? Sagen wir das nicht immer in der Kirche: "Gott ist gnädig!"

Martin Luther hat den gnädigen Gott entdeckt - wiederentdeckt sozusagen, weil er am strengen und gerechten Gott fast zugrunde gegangen wäre. Gott war für ihn bis dahin nur so etwas wie der Spiegel seiner eigenen Unzulänglichkeiten und Fehler. Gott war für ihn kein Weingärtner, der sich liebevoll um seinen Weinberg kümmert. Mit dem zürnenden und strafenden Gott hat Luther gerungen und dabei den gnädigen Gott gefunden, an den man sich mit allen Problemen seines Lebens wenden kann, der verlässlich zuhört und weiterbringt, wo ich es nicht schaffe.

Zu diesem Gott beten Menschen in der Not, ihm vertrauen sie selbst in den Abgründen, die manchmal haltlos machen. Auf sein Wirken hoffen sie in allen Veränderungen und Umbrüchen. Der Student, der sich in der unübersichtlichen Studentenstadt etwas verloren vorkommt, sucht diesen Gott auf im Semesteranfangsgottesdienst. Die Witwe, die die Stille niederdrückt, die nun in der Wohnung herrscht, bittet diesen Gott um Kraft, um es auszuhalten. Eltern beten zu ihm, weil ihrem Kind eine dringend erforderliche Herzoperation bevorsteht. Ja, das ist der gnädige Gott, den Menschen aufsuchen und der der Grund ihres  Glaubens ist. An den sie sich halten, wenn sie nicht mehr wissen, wie es weiter geht. An diesen Gott darf ich mich hängen, wie die Klette am Kleid, wie es Katharina von Bora, einmal ausgedrückt haben soll.

Mich an Gott zu wenden hilft mir in den Stunden, in denen ich ratlos oder verzweifelt bin – da gibt es eine Adresse, bei der ich gehört werde. Aber genau von dort werde ich auch angefragt: Was tust du, wie lebst du, wie gehst du mit anderen um? Bist du offen für Neues? Siehst du, wo du etwas ändern musst? Trägst du durch dein Verhalten etwas dazu bei, dass gerechte Lebensverhältnisse für alle Menschen weltweit Wirklichkeit werden? Förderst du in deinem Umfeld den Frieden?  Mein Verhältnis zu Gott ist keine Einbahnstraße. Ich werde nicht nur beschenkt, sondern das Geschenk ist auch eine Verpflichtung. Wo ich nur einseitig den gnädigen Gott sehe, hinter dem sein Anspruch und seine Vision für diese Welt verblassen, da fehlt etwas Grundlegendes. 

Hat der moderne Mensch ein naives Gottesbild?

Die britische Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong sagt, wir modernen Menschen hätten zuweilen ein naives Gottesbild und unser religiöses Denken sei im Gegensatz zu hochentwickelter Wissenschafts- und Technikkultur manchmal geradezu primitiv. Das hört sich vorwurfsvoll an, aber sie weiß aus eigener Erfahrung, wovon sie spricht. Sieben Jahre lang war sie katholische Ordensschwester bis ihr Glaube ihr leer und unwirklich vorkam. Sie konnte nicht mehr beten und hielt alle Dogmen für unglaubwürdig, erfunden und überholt. Dreizehn Jahre lang wollte sie von all dem, was ihr Leben einmal geprägt hatte, nichts mehr wissen. Dann arbeitet sie an einem Buch in dem sie über die Geschichte Gottes recherchiert. Sie glaubt, dass sie beweisen kann, dass alles, was über Gott gedacht wird schlicht menschengemacht ist.

Doch dann kommt alles ganz anders. Plötzlich wird ihr klar, dass Gott weit mehr ist als das, was Menschen über ihn sagen können. Das kleine Bild, das sie sich von Gott gemacht hatte, erschien ihr nun ziemlich unreif und unzureichend. Sie erkannte, dass alle Bemühungen, Gott ganz zu fassen, immer nur Stückwerk bleiben.

Die Reduktion Gottes auf  ein menschliches Maß  führt die Wissenschaftlerin auf die Entwicklung der Rationalität zurück – also eines allein von Verstand und Vernunft gelenkten Handelns, dass sich im 16. und 17. Jahrhundert, mit der Epoche der Aufklärung, durchgesetzt hat. Sie meint, dass in dieser Zeit religiöse Erfahrungen nur noch theoretisch betrachtet wurden. Auch der Glaube sollte allein mit dem Verstand erfasst werden. Religiöse Rituale, spirituelle Erfahrungen verloren an Bedeutung und der Glaube wurde gleichgesetzt mit dem Aufsagen von Lehrsätzen. Karen Armstrong ist der Meinung, dass diese rationalisierte Interpretation von Religion dann zu zwei modernen Phänomenen geführt hat, die uns bis heute zu schaffen machen: zum Fundamentalismus auf der einen Seite, der die Bibeltexte buchstabengetreu als historisch und naturwissenschaftlich exakte Berichte las und liest und auf der anderen Seite zum Atheismus, der die Aussagen der Bibel aus genau diesen rationalen Gründen verneinte. Dem stellt sie entgegen:

Religion war ursprünglich nicht das, was Menschen dachten, sondern was sie taten. Sie erlangte ihre Wahrheit erst durch praktische Einübung. So wie man das Autofahren nicht aus einem Handbuch erlernen kann und das Kochen nicht durch Rezeptelesen, so erfordert auch der Glaube echte Arbeit. Und so wie man beim Schwimmen wunderbarerweise nicht auf den Boden des Beckens sinkt, sondern plötzlich schwebt, hebt der Glaube uns in einen neuen Zustand. ( Die Zeit, NR. 26/2010)

Der Glaube, die Beziehung zu Gott erfordert echte Arbeit. Das wird in der Kirche nicht so oft gesagt. Aber es deckt sich mit dem, was das Weinberglied im Jesajabuch auf seine Weise mit den guten Früchten ausdrückt. Beziehungen brauchen Nährstoffe, wollen beackert werden, müssen sich entwickeln und brauchen Zeit. Glaube geht nicht schnell und billig. Aber es lohnt sich, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Dafür braucht es aber ein gutes Maß an Praxis: besondere Orte oder Zeiten um sich in den Glauben einzuüben. Für mich sind solche besonderen Orte z.B. Klöster, die durch die Jahrhunderte hindurch immer einen verlässlichen Rahmen dafür geboten haben. Stundengebete und Aufgaben gliedern ihren Alltag bis heute. Aber es gibt auch besondere Zeiten für den Glauben – die Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag zum Beispiel. Die Fastenaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland, steht in diesem Jahr unter dem herausfordernden Motto: "Zeig dich! Sieben Wochen ohne Kneifen." Es geht darum, zu zeigen, wofür man steht. Viele nutzen diese Wochen und verzichten auf Alkohol, Fernsehen oder unnötige Autofahrten. Andere nehmen sich in dieser Zeit ganz bewusst etwas vor. Jeden Tag mit einem Vaterunser zu beginnen oder einmal in der Woche eine Kirche aufzusuchen. Ich selbst lese Texte der Mystikerin Edith Stein. Nicht kneifen, sondern experimentieren! Ich bin sicher, das verändert etwas in uns. Es öffnet den Horizont, macht gelassener und es muss nicht perfekt sein. Das habe ich in diesen Tagen bei Edith Stein schon gelernt:

Und wenn die Nacht kommt und der Rückblick zeigt, dass alles Stückwerk war und vieles ungetan geblieben ist, wenn so manches tiefe Beschämung und Reue weckt: dann alles nehmen, wie es ist, in Gottes Hände legen und Ihm überlassen.So wird man in Ihm ruhen können, wirklich ruhen und den neuen Tag wie ein neues Leben beginnen.
(Teresia-Renata de Spiritu Sancto: Edith Stein. Sr. Teresia Benedicta a Cruce, Philosophin und Karmelitin. Ein Lebensbild, gewonnen aus Erinnerungen und Briefen, Freiburg 1957, S. 86)

Gottes Segen

Als ich zum ersten Mal in Wittenberg war, habe ich nicht schlecht gestaunt, dass man dort einen mainfränkischen Weinberg bestaunen kann. Es war in der Marienkirche, Luthers Predigtkirche, wo ich das Epitaph für Paul Eber entdeckt habe. Der in Kitzingen geborene Theologe Paul Eber, studierte in Wittenberg, stand bald in enger Verbindung zu Philipp Melanchthon und wurde Professor für Physik, lehrte Philosophie, Geschichte, Hebräisch und Theologie. Da er auch Pfarrer an der Stadtkirche und Generalsuperintendent des sächsischen Kurkreises war wurde er im Chorraum der Marienkirche bestattet. Lukas Cranach der Jüngere schuf für ihn eines der bedeutendsten Bildepitaphe der Reformationszeit. Man sieht drauf einen Weinberg aus der Heimatregion Paul Ebers. Die Reformatoren beackern ihn.

Martin Luther fegt Äste zusammen, Johannes Bugenhagen arbeitet mit einer Hacke, Philipp Melanchthon holt Wasser aus dem Brunnen, andere gießen, sammeln Steine oder ernten Trauben. Und Paul Eber kniet an einem Weinstock und schneidet mit einem Winzermesser überflüssige Triebe ab. Ganz versunken sind sie in ihre Aufgabe. So wie Menschen, die eine Arbeit mit Hingabe machen und darauf vertrauen, dass Gott zu ihrem Tun seinen Segen geben wird. Er mag es nämlich, wenn etwas wächst und gedeiht. Und ich bin sicher, in der Verbindung mit Gott werden wir über manche Früchte staunen (Joh 15,5).