Ai Weiwei gilt als Chinas bekanntester Künstler der Gegenwart, Multitalent und Regimekritiker. Bekannt ist er für politische Äußerungen, öffentlichkeitswirksame Kunstaktionen und für seine Präsenz in den sozialen Medien. Als es ihm vor zwei Jahren nach langen Bemühungen gelang, China zu verlassen, reiste er direkt nach Deutschland und lebt seitdem in Berlin. Am 28. August wird Ai Weiwei 60 Jahre alt.

Mitten im quirligen Berliner Alltag kann es passieren, dass man Ai Weiwei in der Straßenbahn trifft, wenn er seinen neunjährigen Sohn zur Schule bringt. Auch im Asia-Supermarkt trifft man gelegentlich den stämmigen Chinesen, der gern eine blaugraue Arbeitskluft und leichte Stoffschuhe trägt. Der Künstler lebt im Szeneviertel Prenzlauer Berg. Nur ein kleines Stück weiter, in Berlin-Mitte, hat er sein Atelier. Seit Herbst 2015 ist er Gastprofessor an der Universität der Künste (UdK) und betreut ein gutes Dutzend handverlesener Studenten.

Seit seiner Ankunft in Berlin stellt Ai Weiwei weniger das chinesische Regime, sondern stattdessen vor allem Europas Flüchtlingspolitik an den Pranger. Gerne bedient er sich dafür der sozialen Netzwerke Twitter und Instagram. Manche Kritiker werfen ihm deshalb Selbstinszenierung vor.

Ai Weiwei hat selbst Fluchterfahrungen

Geboren wurde Ai Weiwei 1957 als Sohn des chinesischen Dichters und Regimekritikers Ai Quing. Wegen jahrelangen Zwangsexils seines Vaters wuchs er zunächst in der Mandschurei sowie in Xinjiang auf. Später lebte er von 1981 bis 1993 in den USA, wo er sich unter anderem mit Performance- und Konzeptkunst befasste.

Rückblickend bekannte der Künstler, dass ihn das Flüchtlingsthema selbst von Kindheit an durch seine familiäre Situation im kommunistischen China begleitete. »Wir waren Flüchtlinge, als ich aufwuchs. Mein Vater war in Paris im Exil. All das kommt zusammen«, sagte Ai Weiwei einmal in einem Interview.

Wegen seines erkrankten Vaters kehrte Ai Weiwei 1993 nach China zurück und trat mit Kritik am kommunistischen Regime hervor. Als politischer Aktionskünstler thematisierte er unter anderem die Umweltzerstörung, mangelnde Bildungschancen und die Menschenrechtssituation in China. Mehrfach wurde Ai Weiwei inhaftiert, das Regime in Peking warf ihm unter anderem Wirtschaftsverbrechen und Steuerhinterziehung vor.

Aktionskunst: Flüchtlingskrise als Kunstprojekt

2011 wurde ihm der Reisepass entzogen, weshalb Ai Weiwei China nicht mehr verlassen konnte. Immer wieder kritisierte die internationale Öffentlichkeit das Vorgehen Pekings. Vor allem auch deutsche Politiker und Kulturschaffende machten sich für Ai Weiwei stark.

So nahm die Akademie der Künste den Chinesen 2011 auch aus politischer Solidarität in ihre Reihen auf. Die UdK berief ihn auf eine Gastprofessur. Der Berliner Martin-Gropius-Bau inszenierte 2014 zudem die bis dahin weltweit größte Einzelausstellung Ai Weiweis. Stets hofften die Initiatoren vergeblich, dass China den renommierten Künstler ausreisen lassen würde.

Im Juli 2015 änderte sich die Situation schlagartig: Das Regime in Peking gab Ai Weiwei seinen Pass zurück, unverzüglich verließ der Künstler das kommunistische Land, flog nach Deutschland, zunächst für einen Arztbesuch nach München, wenig später nach Berlin – kurz danach beherrschten die Flüchtlingszuwanderung des Sommers 2015 und der Spruch »Wir schaffen das!« von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die internationalen Schlagzeilen.

Ai Weiei nachsichtiger mit China

Von da an machte Ai Weiwei die weltweite Flüchtlingskrise zum neuen künstlerischen Dauerthema: Zur Berlinale 2016 schuf er mit 14.000 orangefarbenen Rettungswesten am Berliner Gendarmenmarkt ein temporäres Mahnmal für ertrunkene Flüchtlinge und gab den Internationalen Filmfestspielen damit ein unübersehbar politisches Statement. Auf der griechischen Insel Lesbos stellte er das weltbekannte Foto des ertrunkenen syrischen Flüchtlingsjungen Aylan am Strand von Lesbos nach und erntete damit Aufsehen und Empörung.

In Prag ist derzeit sein größtes Kunstprojekt dieser Art zu sehen: In der tschechischen Nationalgalerie schwebt an Drahtseilen ein 70 Meter langes Schlauchboot, auf dem 258 überlebensgroße, aufblasbare Figuren von Schutzsuchenden sitzen. Die gigantische dunkle Installation erinnert ebenfalls an das Schicksal Tausender Flüchtlinge und an Europas Verantwortung.

Mit China geht Ai Weiwei unterdessen etwas nachsichtiger um. Das Land habe Fortschritte gemacht, sagte der Künstler vor zwei Jahren kurz nach seiner Ankunft in Berlin. Zuletzt machte sich Ai Weiwei noch einmal für den chinesischen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo (1955-2017) stark. Kurz bevor der todkranke Liu Xiaobo Mitte Juli starb, forderte der Künstler mit spitzen Worten von der Bundesregierung deutlich mehr Einsatz für die Menschenrechte in China.