Auf dem Bildschirm passiert nahezu nichts: keine Schießerei, kein Drama, keine Dialoge. Langsam zieht die norwegische Fjordlandschaft vorbei. Eine Kuh läuft drei Schritte, eine Flagge weht im Wind. 134 Stunden, 42 Minuten und 45 Sekunden lang war das alles, was beim Norwegischen Rundfunk (NRK) über den Fernsehbildschirm flimmerte. 3,2 Millionen der 5 Millionen Norweger schauten einer Schiffspassage entlang der Hurtigruten zu. Deutsche Fernsehproduzenten können von solchen Quoten nur träumen.

Das Phänomen Slow TV sorgt in Norwegen bereits seit fünf Jahren für Rekordquoten. Dabei geht es vor allem um Fernsehen in Echtzeit: pur, möglichst unbearbeitet und ohne schnelle Bildschnitte. Der Blick auf den Fernsehschirm gleicht dem Blick aus dem Fenster. "Man muss das Gefühl bekommen, wirklich da zu sein", sagt Thomas Hellum, Projektmanager des öffentlich-rechtlichen NRK. Ohne vorgeschriebene Geschichte, ohne Höhepunkte - das widerspricht allen Regeln des Fernsehmachens. "Es ist so falsch, dass es schon wieder richtig ist", findet der Norweger.

Gegenpol zum beschleunigten Alltag

Mit diesem Konzept wagen sich nun auch deutsche Fernsehmacher erstmals in die Hauptsendezeit. Der Bildungskanal ARD-alpha zeigte über Ostern das erste deutsche Slow-TV-Format. "Während auf anderen Kanälen in Talkshows gestritten, in Spielshows gerätselt oder in Spielfilmen geschossen wird", wollte Daniel Schrenker, Autor und Initiator des Projekts mit dem Namen "Mora", einen Kontrapunkt zur permanenten Beschleunigung des Alltags setzen und Menschen bei der Arbeit zeigen. Das Wort "Mora" steht im Lateinischen für Aufenthalt oder Verzögerung.

Hellum ist überzeugt, dass es auch in Deutschland ein Publikum für diese langsamen Fernsehformate geben könnte. "Es ist nicht so, dass wir Norweger besonders verrückte Fernsehzuschauer sind", sagt er. Das Thema der Sendungen müsse allerdings tief in der Kultur des Landes verwurzelt sein, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

Sind die Deutschen also ein Malochervolk? Schrenker wiegelt ab: "Uns ging es bei ›Mora‹ nicht etwa darum, schuftende Erwerbstätige am Fließband darzustellen oder umfassend über Berufe zu informieren." Arbeit solle nicht als Mittel zum Geldverdienen dargestellt werden. Der Fokus lag auf den Details von Arbeitsprozessen und der Hingabe, mit der Menschen mit Holz arbeiten oder etwa Zahnräder ineinanderfügen. Nach Auskunft des BR hat das Slow-TV-Experiment große mediale Aufmerksamkeit erzielt; die Reaktionen würden derzeit noch ausgewertet, sagte Pressesprecher Detlef Klusak.

Weltall, Zugfahrten und strickende Menschen

Die Idee, die zum Slow-TV-Trend führte, stammte ursprünglich aus dem deutschen Nachtprogramm. 1994 ersetzte der Bayerische Rundfunk sein monotones Testbild in der Nacht durch Bilder aus dem Weltraum. Die schlaflosen Zuschauer sahen zusammengeschnittene Aufnahmen eines Wissenschaftssatelliten, unterlegt mit sphärischen Elektro-Sounds. Die "Space Night" erlangte Kultstatus.

Die Norweger trauten sich, solche Lückenfüller-Formate unter dem Begriff Slow TV in der Hauptsendezeit zu zeigen. "Wir sind das so angegangen, als würden wir zu den Olympischen Spielen fahren: hochprofessionell", sagt Hellum.

Für das Hurtigruten-Format kamen elf Hightech-Kameras zum Einsatz. Es folgten weitere Slow-TV-Sendungen: In der "Nationalen Feuerholz-Nacht" zeigte die NRK holzhackende Menschen und herunterbrennende Feuer. Zugfahrten, Stricken und Vogelbeobachtungen wurden ebenfalls in Echtzeit ausgestrahlt.

Folgte man dem Klischee, stünden in Deutschland künftig vermutlich Sendungen über die Stahlindustrie, bayerische Volkstänze, Schäferhunde und deutsches Brot an.