Sie kämpfen seit rund zehn Jahren für ein Zentrum Islam in München. Warum?

Idriz: Ich war einer der ersten Befürworter der Imam-Ausbildung in Deutschland. Dieser erste Schritt ist erfolgreich umgesetzt worden. Aber: Derzeit ist die Ausbildung an den sechs deutschen Universitäten eine rein wissenschaftliche Ausbildung. Es fehlt die praktische Komponente, die für die Ausbildung zum Imam so wichtig ist. Mit dem Zentrum in München möchten wir - in Zusammenarbeit mit den Universitäten - auch einen praktischen Teil der Ausbildung organisieren.

An dem Zentrum soll die Islam-Akademie drei Bausteine anbieten: Zum einen sollen sich hier Experten zu bestimmten Themen austauschen - also Theologen und Wissenschaftler. Der zweite Baustein ist gedacht für Imame und Islamische Theologiestudenten. Diese sollen in der Moschee praktisch arbeiten lernen, also lernen, wie sie eine Predigt oder eine Trauerrede halten, ein Gebet leiten oder wie sie ein Ehegespräch führen. Der dritte Baustein der Akademie richtet sich an Laien, die Interesse haben, sich theologisch fortzubilden. Hier soll es Vorträge und Diskussionsabende geben. 

Im Zentrum soll es auch eine Moschee geben. Warum machen Sie sich für eine Moschee in München stark?

Idriz: Ich sehe einen riesigen Bedarf dafür. Viele Muslime, die in der Altstadt wohnen oder arbeiten, haben vor allem am Freitag große Schwierigkeiten, einen würdigen Ort für ihr Gebet zu finden. Ich bin seit vielen Jahren Imam in Penzberg und habe vor kurzem am Freitag eine Moschee in München besucht. Ich bin mehr als entsetzt, in welchem Umfeld Muslime in einer reichen Stadt wie München beten müssen: Die Räume sind beengt, oft fehlt es an grundlegenden Dingen wie einer Toilette. Das hat mich traurig gemacht. Im Stadtzentrum mussten viele Moscheegemeinden ihre Räume aufgeben, weil die Mietverträge ausgelaufen sind. Jetzt suchen sie verzweifelt nach geeigneten Räumlichkeiten.

Der frühere Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hatte Ihnen versprochen, einen Ort für eine Moschee in der Innenstadt zur Verfügung zu stellen. Wie sieht es damit aus?

Idriz: Ude hat sein Wort gehalten. Uns wurden zwei Grundstücke genannt und gezeigt, beide im neuen Kreativquartier an der Dachauer Straße. Dort würde unsere Einrichtung gut hin passen. Leider kommt der Standort in der Innenstadt an der Herzog-Wilhelm-Straße nicht mehr in Frage, das wäre natürlich am Schönsten gewesen. Aber das ist aus politischen und sicherheitstechnischen Gründen nicht möglich. Ich hoffe, dass wir bald starten können mit der Planung und Umsetzung. Es wäre schön, wenn wir für das Zentrum 2017 den Grundstein legen könnten. Das wäre doch auch eine schöne Perspektive zur Lutherdekade – eine Reform-Moschee in München. 

Benjamin Idriz zu Besuch im EPV

Wie soll der Neubau finanziert werden?

Idriz: Wir sind dabei, eine große Spendenaktion für die Finanzierung im In- und Ausland zu starten. Wir waren lange nicht vorangekommen, weil wir noch keinen konkreten Standort angeben konnten. Jetzt kommt eine frische Dynamik in die Entwicklung, daher sind wir zuversichtlich, dass die Finanzierung gelingen wird, solange die Stadt die Option für das Grundstück aufrechterhält. 

Dabei wollen wir uns nicht auf einen bestimmten Sponsor wie zum Beispiel das Emirat Katar fokussieren, sondern hoffen auf die Unterstützung der Moscheegemeinden und vieler Münchner Bürgerinnen und Bürger. Es gibt aber auch viele Unternehmer, die mit arabischen und islamischen Ländern kooperieren, die grundsätzlich ihr Interesse signalisiert haben, das Projekt zu unterstützen. Der Geldgeber aus Katar ist nur eine Option. Es könnte ebenso gut auch ein anderer Staat oder eine Person als Financier agieren. Die Gesamtkosten müssen auf viele Schultern verteilt werden. 

Sie haben das Projekt bislang vor allem alleine vorangetrieben. Sind Sie denn mit den Münchner Moscheegemeinden vernetzt?

Idriz: Tatsache ist, dass viele Menschen, die in Moscheegemeinden aktiv sind, das Projekt gutheißen und es unterstützen wollen, weil sie ein repräsentatives Gebäude in München vermissen oder auch nicht ganz glücklich sind mit ihren Moscheegemeinden, die oft ethnisch fixiert sind. Viele muslimische Menschen, die hier leben, identifizieren sich immer mehr mit Deutschland. Sie möchten ihre Religion in München bestätigt sehen und ihren Kindern den Islam in der deutschen Muttersprache mitgeben. Unser Projekt wendet sich an diese Generation. Die Moschee könnte zur zentralen Adresse dieser Menschen werden.

Sie empfinden die ethnische Prägung der meisten Moscheegemeinden als Hindernis?

Idriz: Die erste und zweite Generation von Migranten ist meiner Einschätzung nach noch nicht bereit, eine deutschsprachige Predigt in der Moscheegemeinde zu hören. Eine Predigt in türkischer Sprache empfinden sie als besser, sie berührt sie emotional stärker. Die junge Generation der Muslime wünscht sich dagegen eine Predigt in der deutschen Muttersprache. Sie verstehen die Predigten oft gar nicht, die ihre Väter und Großväter hören. Da entstehen auch Konflikte zwischen den Generationen, weil der Vater die Predigt für wunderbar hält, das Kind aber kann damit nicht viel anfangen. Ich persönlich glaube, dass Religionen "nationslos" sind. Es gibt eine Gottessprache, die universell ist und gültig ist, egal, in welcher Sprache sie vorgetragen wird. Wir haben da einen langen Weg vor uns, aber ich sehe den Bedarf. 

Welche Aufgaben hat der Freundeskreis?

Idriz: Der Freundeskreis unterstützt die Gründung der Moschee. Er bietet allen Menschen die Möglichkeit, Solidarität mit dem Projekt zu bekunden. Er soll genauso vielfältig aufgestellt sein, wie die Vereinsmitglieder auch: Türken, Bosnier, Albaner, Araber, Afghanen, einfach alle die sich mit Deutschland verwurzelt sehen. Wir sprechen deutsch miteinander, auch die gesamte Administration läuft in deutscher Sprache. Uns einen das Land und die Kultur, nicht nur die Religion! In München gibt es mehr als 40 Moscheegemeinden. Jede hat ihre Aufgabe. Aber es fehlt uns ein gemeinsamer Ort, an dem wir uns treffen und über wichtige Themen diskutieren können.

Dossier

#Glaubensfrage

Woran glaube ich? An welchen Werten orientiere ich mich? Welche Rolle spielen Gott und Religion in meinem Leben? Das sind Fragen, mit denen sich Prominente aus Kirche und Politik, Gesellschaft und Kultur in unserer Reihe #Glaubensfrage beschäftigen. Mehr dazu in unserem Dossier: www.sonntagsblatt.de/glaubensfrage

Der Penzberger Imam im Redaktionsgespräch

Welche Themen müssen mehr diskutiert werden?

Idriz: In vielen Moscheen ist die Frage nach Frauenrechten immer noch Tabu. Weder Männer noch Frauen sind offenbar derzeit bereit, darüber zu reden. Ich vermisse eine Debatte darüber, ob und wie Frauen in den Moscheegemeinden eingebunden werden oder wie die Erziehung der Kinder erfolgen soll. Je schneller wir in den Moscheegemeinden dazu kommen, über Frauenrechte zu diskutieren, desto eher kann auch eine Integration gelingen. Leider gibt es kaum muslimische Frauen, die öffentlich für ihre Rechte kämpfen.

Sie leben seit 20 Jahren in Deutschland. Hat sich Ihr Glauben verändert?

Idriz: Natürlich haben die Gesellschaft und die Zeit in Deutschland meine Theologie geprägt. Wenn ich in mein Heimatland fahre, sehe ich, wie sehr ich mich verändert habe. Manche meiner Kollegen können meine Forderungen nicht akzeptieren. Ich bin etwa der Meinung, dass Frauen am Freitag ebenfalls zum Gebet gehen sollten. Bis zum 11. Jahrhundert waren Frauen im Islam häufig in den Moscheen. Erst dann kamen Theologen zur Auffassung, dass Frauen zu Hause bleiben und nur die Männer die Predigt weiter erzählen sollen. Das ist lächerlich. Wir sollten aufhören, Frauen auszuschließen, das ist diskriminierend. Diskriminierend ist übrigens auch die Architektur vieler Moscheen: Dort gibt es oft keine Räume für Frauen, keine Toiletten. Unsere Moschee in Penzberg ist offen für Frauen. Männer und Frauen beten und diskutieren gemeinsam. Diese lockere Atmosphäre war für mich vor zwanzig Jahren nicht denkbar. Das hat sich grundlegend verändert.

Wie schätzen Sie den interreligiösen Dialog ein?

Idriz: Dass ein Imam in einer evangelischen Kirche wie der Münchner Lukaskirche spricht, wäre früher undenkbar gewesen. Ich empfinde den interreligiösen Dialog als Herausforderung, aber auch als große Bereicherung. Es muss zur Normalität werden, dass Theologen unterschiedlich denken, sich aber darüber austauschen. 

Abschottung und Ghettoisierung sind kein Weg für den modernen Islam. Wir müssen uns mit der modernen Gesellschaft auseinandersetzen und Antworten bieten auf die Frage, was diese Gesellschaft heute benötigt. Das gilt für die Gleichberechtigung von Frauen ebenso wie für die Auslegung von Koranversen. Wir müssen überlegen, welche Botschaft der Koran heute hat und wie wir diese Inhalte interpretieren.