"Hopp, auf geht's, Anne": An manchem Tag fällt es der 82-jährigen Nürnbergerin Anne schwer, sich mit diesem Satz zu motivieren, erzählt sie freimütig. Dann hört sie lieber Radio, statt in ein Konzert zu gehen, dann guckt sie lieber Fernsehen - weil sie sich fürs Kino nicht aufraffen kann.

Für die alleinstehende kleine weißhaarige Dame in einer Seidenbluse zur dunklen Hose ist aber an diesem Nachmittag im Nürnberger Seniorenzentrum am Tiergärtnertor ein Wunsch in Erfüllung gegangen: Sie hat die 75-jährige Johanna kennengelernt, die mit ihr ins Theater oder in Konzerte gehen will. "Aber keine Oper!", hebt die neue Bekannte scherzhaft den Zeigefinger. Die beiden Frauen haben sich beim ersten "platonischen" Speed-Dating gefunden - so hat die Stadtmission die Veranstaltung angekündigt.

Eingeschlagen wie eine Bombe

Das Projekt haben sich drei Nürnberger Studentinnen der Sozialen Arbeit ausgedacht. Es schlug ein wie eine Bombe: 100 Frauen und einige Männer meldeten sich auf einen einzigen Hinweis in der Lokalzeitung. Nur 40 dürfen am ersten Speed-Dating teilnehmen. "Wir sind überrascht und wissen noch nicht genau, was vorgeht", rätselt Gerlinde Knopp, Mitarbeiterin in der Begegnungsstätte über den enormen Andrang: "Welcher Traum, welche Vision hat die Menschen bewegt, zu kommen?"

Mit einem ähnlichen Angebot sind dagegen zwei Unternehmerinnen im Ruhrgebiet auf die Nase gefallen: Ihr Freizeit-Speed-Dating für Frauen über 55 floppte, sagt Initiatorin Irmingard Degen. Als Ehrenamtliche bei der Telefonseelsorge wusste sie doch, dass viele Seniorinnen einsam sind, wenn ihre erwachsenen Kinder für einen neuen Beruf ins Ausland weggezogen sind, der Mann und viele Freunde gestorben sind. Warum trotzdem keine kam? "Offene, aufgeschlossene Frauen lernen neue Freunde ohnehin kennen", mutmaßt die psychosoziale Unternehmensberaterin aus Essen: "Und diejenigen, für die das Speed-Dating gut wäre, schaffen es nicht, dorthin zu gehen". Das sei eine Typ-Frage.

Generation 70+

Auch in Nürnberg sind die Teilnehmer offene und kommunikative Menschen, stellt Gerlinde Knopp fest. Die Generation der heute über 70-Jährigen sei größtenteils aktiv, "die sind gut ausgebildet, die wollen was erleben, die sind gesund". Manche der Frauen suchen neuen Anschluss, nachdem sie im Alter zu den Enkeln gezogen sind, nachdem sie den Partner nicht mehr pflegen müssen oder er gestorben ist.

Diese Generation sagt auch mal: "Risiko muss man eingehen", erläutert Gerlinde Knopp. Die Besucher des Speed-Datings demonstrieren das gleich, indem sie beinahe alle blind unterschreiben, dass ihre Daten an die anderen Teilnehmer weitergegeben werden dürfen. Sie pinseln Namen und Telefonnummern in Listen mit ihren Interessen: Die Bögen mit den angebotenen Aktivitäten Kartenspielen oder Wandern sind schnell gefüllt. "Schade, keiner will mit mir schwimmen", sagt die rüstige Svetlana mit der Gesine-Schwan-Frisur.

Versuchskaninchen für die Rommé-Partnerschaft

Es ist laut geworden an den Tischen im Senioren-Begegnungszentrum. Die Gesprächpaare sitzen zu eng nebeneinander. Nicht alle Informationen erreichen die Ohren des Gegenübers. Einer Dame mit dem Namensschildchen Helga reicht es. "Es ist mir zu laut, ich habe Kopfweh", sagt sie und holt ihre Jacke aus der Garderobe. Auch die Mitstreiterinnen meckern etwas: "Nur vier Minuten für ein Gespräch, das geht mir zu schnell", sagt die 76-jährige Maria, "ich habe ja selber so viel geredet". Aber sie bleibt, wie fast alle. "Die Leute sind so interessant", sagt sie.

Die Speed-Dating-Interessenten auf der Warteliste werden demnächst zu weiteren kleineren Runden eingeladen, verspricht Gerlinde Knopp. "Wir waren heute die Versuchskaninchen", stellt eine Dame beim Ausgang fröhlich fest und freut sich schon auf die Anrufe ihrer neuen Rommé-Partnerinnen.