Ihr souveräner Auftritt als Pressesprecher der Münchner Polizei hat Sie beim Einsatz zum Amoklauf am OEZ berühmt gemacht. Wie geht es Ihnen mit dieser Popularität?

Marcus da Gloria Martins: Als Polizist taugt man nicht zum Star. Ein gewisser Bekanntheitsgrad ist zwar Teil meiner Stellenbeschreibung als Pressesprecher - in der Krise bin ich eben das Gesicht der Polizei. Trotzdem ist es gut, dass das digitale Vergessen bereits eingesetzt hat. Viel wichtiger als meine Rolle war ja auch die Leistung der Polizei insgesamt: Wir haben bei diesem Einsatz mit seinen 4300 Notrufen und 66 Phantomschadensorten innerhalb kürzester Zeit 2300 Mann mobilisiert. Von manchen Medien wurde das im Nachhinein als Aktionismus kritisiert. Aber wenn sie einen Münchner fragen, wird er ihnen sagen: Ich fand es total gut, dass an jeder Ecke Polizei war. Das ist die entscheidende Botschaft, die hängen bleibt: Wenn so etwas nochmal passiert, weiß der Bürger, dass die Münchner Polizei eine leistungsfähige Organisation ist, die so einen Einsatz stemmen kann.

Bei allen Ereignissen, bei denen Terrorverdacht im Raum steht, überschlagen sich die Medien nach dem immer gleichen Muster. Würden Sie sich eine Verpflichtung zur Selbstbeschränkung wünschen, wie es sie beim Thema Suizid gibt?

Martins: Sicher würde ich mir das wünschen. Aber der Realist in mir sagt, dass das nicht funktionieren würde. Auch bei Suiziden wird die Selbstverpflichtung der Medien gebrochen, sobald der Nachrichtenwert groß genug ist. Es ist nicht möglich, bei so öffentlichkeitswirksamen Geschehnissen wie dem Anschlag in Ansbach oder dem Amoklauf in München eine Selbstkasteiung der Medien in Sachen Nachrichtenvielfalt und Informationsdichte zu vereinbaren. De facto geht es ums Geld. Spätestens, wenn es um Reichweite oder Zuschauerzahlen geht, würde eine solche Selbstverpflichtung einknicken, davon bin ich überzeugt.

Die Sozialen Medien sind Fluch und Segen zugleich: Wie nutzt sie die Polizei mit Gewinn?

Martins: Durch Facebook sind wir unabhängig geworden von den Zeilenbeschränkungen der Zeitungen und der Selektion durch Redaktionen. Was früher nur der kleine Kasten unten rechts war, kann bei uns als dreiseitige Pressemitteilung vorkommen, noch dazu zeitlich viel schneller. Allerdings: Mit reinen Polizei-Inhalten erreichen wir niemanden. Ein Sensationskanal wollen wir aber auch nicht sein. Es braucht also die richtige Mischung aus Information und Unterhaltung. Twitter wiederum bietet uns erstmals die Möglichkeit, vor allem dann wenn es schnell gehen muss, in Echtzeit zu kommunizieren. Weil viele Journalisten Twitter nutzen, landen unsere Nachrichten außerdem oft direkt auf anderen Kanälen: Auf Online-Medien, im Fernsehen, in der Zeitung. Das ist in Sachen Effizienz nicht zu toppen.

Dossier

#Glaubensfrage

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Und wo machen Ihnen die Sozialen Medien zu schaffen?

Martins: Meiner persönlichen Meinung nach sind wir als Gesellschaft noch nicht so weit, Social Media als Diskussionswerkzeug zu nutzen. Das zeigt sich an allen Debatten rund um die Migrationsbewegung. Ein sachgerechter Diskurs, ein Austausch von - auch randständigen - Argumenten auf Augenhöhe ist in sozialen Netzwerken gar nicht möglich. Momentan gilt das Recht des Stärkeren: Wer am lautesten schreit, gewinnt. Die Mitte will sich dem nicht aussetzen und schweigt, und so bekommt man am Ende das Gefühl, dass extreme Meinungen dominieren. Das wiederum führt dazu, dass Menschen, die Informationen in den Sozialen Medien nicht richtig einordnen und bewerten können, ein verfremdetes Weltbild bekommen, und das ist ein großes Problem. Am Beispiel des Amoklauf am OEZ: Sie glauben gar nicht, mit wie vielen Verschwörungstheoretikern wir uns gerade herumschlagen müssen, die entweder behaupten, dass der Amoklauf vom OEZ gar nicht stattgefunden habe oder dass er eine inszenierte Geschichte staatlicher Stellen sei. Vor der Tragik dessen, was da passiert ist, sind solche Gedankengänge an Absurdität nicht zu übertreffen. Es zeigt aber, dass es in Teilen der Netzgemeinde eine Anfälligkeit für solche Theorien gibt.

Die Polizei bringt Bürgern in Zivilcouragekursen bei, wie sie sich verhalten sollen, wenn z.B. jemand in der U-Bahn anfängt zu pöbeln. Gibt es auch Empfehlungen, wie Menschen im Netz mit Stammtischparolen umgehen sollen?

Martins: Es ist etwas anderes, ob wir in einem Kurs Verhaltenskompetenz vermitteln, wenn jemand Opfer einer Straftat zu werden droht, oder ob es um den Bereich Medienkompetenz mit seinen gesellschaftlichen Fragen und politischen Debatten geht. Da müssen wir als Polizei strikt neutral bleiben, sonst bekommen wir den Vorwurf, wahlweise auf dem rechten oder linken Auge blind zu sein. Als Mensch, der von Berufswegen mit Kommunikation zu tun hat, würde ich jedoch empfehlen, sich nicht in Diskussionen reinziehen zu lassen, bei denen das Gegenüber nur mit Worthülsen und Totschlagargumenten arbeitet. Solche Leute wollen keinen Faktencheck hören. Wichtig ist, sich nicht emotionalisieren zu lassen und zu erkennen, ob das Gegenüber Argumenten überhaupt zugänglich ist. Denn wenn Sie in einer Diskussion mit Totschlagargumenten vorgeführt werden, haben Sie ein Frustrationserlebnis und das Gegenüber wird bestätigt.

Beim Amoklauf am OEZ konnte aufmerksamen Social-Media-Nutzern durch verschiedene Informationen schnell klar werden, dass es kein Terroranschlag, sondern ein Amoklauf war. Wie wertete Polizei diese Infos aus? Haben Sie zu lange an der Terror-These festgehalten?

Martins: Beim OEZ hatten wir ein Massenproblem. Wir mussten erst unsere Kernaufgaben erfüllen: die eigene Kommunikation organisieren, die eigenen Kanäle überwachen. Erst dann konnten wir uns um die Informationsgewinnung aus dem Netz kümmern. Zu diesem Zeitpunkt war die Lage dort aber bereits so vielschichtig und widersprüchlich, dass wir das zwar zur Kenntnis genommen haben, aber letztlich keinen Informationsgewinn hatten. Warum wir ab einem bestimmten Zeitpunkt von Terror gesprochen haben? Weil wir in den ersten Notrufen und Erkenntnissen von Streifenwagen vor Ort ganz klar die Erkenntnis hatten: mehrere Täter. Und Sie können, wenn Nizza, Brüssel und Paris im Hintergrund stehen, nicht sagen: 'Ja, aber auf dem Video hab ich nur einen gesehen, das wird schon ein Amok mit Einzeltäter gewesen sein.' Die Verantwortung für eine solch leichtfertige Bewertung können Sie als Polizei niemals übernehmen. Solange mindestens einer da ist, der sagt: 'Ich habe mehrere mit einem Gewehr weglaufen sehen', müssen Sie das ausschließen. Sie müssen irgendwann mit der nötigen Wahrhaftigkeit und Bestimmtheit sagen können: Das war's, die Gefahr ist beseitigt. Aber das benötigt vor allem eines: Zeit. Denn wenn wir das sagen, dann müssen sich die Menschen unserer Stadt darauf hundertprozentig verlassen können. Das Schlimmste was uns passieren kann wäre, wenn dann doch noch einer mit dem Gewehr um die Ecke kommt.

Die Terror-These hat aber im Echoraum der sozialen Netzwerke erst Recht für Verunsicherung gesorgt.

Martins: Das stimmt. Vor allem WhatsApp war anfangs ein ziemlicher Beschleuniger. Es gibt das Beispiel der Frau, die auf der Toilette im Hofbräuhaus die Nachricht über die Schüsse am OEZ bekommen und sie ihrer Whatsapp-Gruppe weitergeleitet hat. Das ist stille Post 2.0. Bei der Polizei ging dann folgender Notruf ein: 'Eine Freundin von mir sitzt im Hofbräuhaus auf der Toilette und traut sich nicht raus, weil vor der Tür geschossen wird.' Das ist ein schönes Beispiel, um zu sezieren, wie so was funktioniert. Durch das Weiterleiten einer Nachricht bekommt sie immer einen leicht anderen Zungenschlag. Dabei wird aber leider meist nur zusätzlich dramatisiert, nie deeskaliert. Und am Ende haben sie den Eindruck, ganz München sei ein einziger, riesiger Tatort. Das kriegen sie dann ab einem bestimmten Punkt auch nicht mehr eingefangen. Wer also Soziale Netzwerke zur Informationsgewinnung nutzen will, muss sich immer die Frage stellen: Auf wen hören wir? Ist die Quelle seriös? Das gilt für uns als Polizei genauso wie für Medienschaffende - und letztlich auch für die einzelnen Nutzer.