Nicht zu wissen, wie man einen Autoreifen wechselt - da wäre man in Namibia schön aufgeschmissen. Vor allem als Pfarrer. Denn selbst zum Sprengel der Hauptstadt Windhuk mit seinen 320.000 Einwohnern gehören auch Farmen, die hunderte Kilometer entfernt liegen. Einzige Verbindung: Schotterstraßen. Grundausstattung eines Pfarrers sind neben dem Gesangbuch: ein Geländewagen mit Wasser- und Benzinreserven, Ersatzreifen und ein GPS-fähiges Handy. Zweimal sei er schon im Busch liegengeblieben, erzählt der Pfarrer der deutschsprachigen evangelisch-lutherischen Gemeinde in Windhuk, Achim Gerber. Reifen wechseln zu können, ist hier ein Muss.

Seit fast sieben Jahren ist der 48-Jährige aus Ansbach mit seiner Frau Katja und seinen zwei Söhnen (15 und 17) schon in Windhuk. Achim Gerber ist Pfarrer der bayerischen evangelischen Landeskirche; nach Windhuk entsendet hat ihn die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Eigentlich stand Papua-Neuguinea auf Gerbers Wunschliste für eine Auslandsstation. Dann verbrachten die Gerbers einen Urlaub im Namibia - und verliebten sich in Land und Leute. Als die EKD Monate später einen Pfarrer für Windhuk suchte, war den Gerbers klar: Sie wollten zurück nach Namibia.

Christuskirche in Windhuk.
Die Christuskirche in Windhuk. Rechts daneben befindet sich das Unabhängigkeitsmuseum.

Touristen-Hotspot Christuskirche

Zwischen Namibia und Deutschland herrscht eine besondere Verbindung: Zwischen 1884 und 1915 war das Land eine deutsche Kolonie. Bis heute erinnern Architektur oder Straßennamen an die deutschen Kolonialherren. Deutsch ist eine der elf offiziellen Sprachen des Landes. Rund 20.000 Deutschprachige unter den 2,5 Millionen Einwohnern gibt es heute in Namibia. Eines der dunkelsten Kapitel unter der deutschen Besatzung war der Völkermord an den Herero und Nama, für den sich Ende April auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) offiziell entschuldigt hat.

Das Interesse der Namibier an Deutschland sei groß, erzählen die Gerbers. Viele deutsche Touristen kämen in das Land, viele Namibier gingen zum Studium nach Deutschland, außerdem gebe es viele Geschäftsbeziehungen zwischen den zwei Ländern. Die deutschsprachige evangelische Gemeinde in Windhuk jedenfalls hat 2.500 Mitglieder, unter ihnen sind die deutschsprachigen Namibier oder Deutsche, die für einige Jahre in Namibia arbeiten. Ihre Heimat hat die Gemeinde in der imposanten Christuskirche aus Sandstein, die ab 1907 gebaut wurde und heute Wahrzeichen Windhuks und Touristen-Hotspot ist.

Auslandspfarrer der Evangelischen Kirche in Deutschland

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will auch den im Ausland lebenden deutschen Protestanten Gottesdienste, Seelsorge und Beratung anbieten. Dazu hat sie nach eigenen Angaben fast 120 Pfarrerinnen und Pfarrer in deutschsprachige evangelische Gemeinden in aller Welt - von Ägypten bis Zypern - entsendet. Die Gemeinden sehen sich als Anlauf- und Kontaktstelle für Deutsche im Ausland, die "ein Stück Zuhause" oder "ein Stück Heimat in der Fremde" finden wollen. Dazu werden unter anderem Gottesdienste, Konfirmandenunterricht, Krabbelgruppen, Literaturkreise oder einfach die Möglichkeit, Deutsch zu sprechen, angeboten. Rund zwei Millionen evangelische Deutsche leben laut EKD-Angaben dauerhaft im Ausland. Auch Touristen suchen immer wieder Kontakt zu den Kirchengemeinden in ihrem Urlaubsgebiet.

Der erlösende Duft von Regen

Es ist aber ein gewaltiger Unterschied, ob man im beschaulichen Franken als Pfarrer arbeitet oder im Süden Afrikas. "Namibia ist abhängig von der Natur. Für die Farmer ist Regen existenziell", sagen die Gerbers. Das haben sie in den vergangenen Jahren hautnah erlebt. Vier Jahre lang hatte es nicht geregnet, das Land war vertrocknet, das Vieh verendete auf den ausgedörrten Weiden. "Die Menschen waren verzweifelt." Im Januar dann kam der erlösende Regen. Das sei ein bewegender Moment gewesen, eine "Gotteserfahrung" erzählt Katja Gerber, die an einer deutschen Schule Lehrerin ist. Die Schüler seien begeistert aus den Klassenzimmern gerannt, an Unterricht war nicht mehr zu denken.

Der Wassermangel in Namibia hat die Familie geprägt: Bei einem tropfenden Wasserhahn melde sich sofort das schlechte Gewissen, auch bei ihren Söhnen, erzählen die Gerbers. Ihr Duschwasser zum Beispiel sammeln sie und verwenden es als Toilettenspülwasser wieder. Die Adventszeit sei für viele Namibier wegen der anstehenden Regenzeit ein "tiefes religiöses Erlebnis", sagen die Gerbers. Das Warten auf den Heiland ist verbunden mit dem Warten auf Regen. Und überhaupt: "Wie Regen duftet. Und wenn man dann die Wolken kommen sieht", schwärmt Katja Gerber. Ihr Mann nickt. So sehr er auch blauen Himmel schätze. "Aber irgendwann bekommst du eine Sonnendepression."

Buschsavanne Namibia
Nach vierjähriger Dürre hat es endlich wieder genug geregnet: Buschsavanne bei Windhuk im Abendlicht.

Für die Handvoll evangelischen Farmersfamilien, die rund um Windhuk leben, ist Achim Gerber ein wichtiger Ansprechpartner. In Windhuk hält er im Team von drei Pfarrern, darunter der namibische Bischof Burgert Brand, Gottesdienste in der Christuskirche, der Lukaskirche und der Markuskirche. Regelmäßig fährt er aber mit seinem Auto raus aufs Land und hält Farmgottesdienste. "Das ist so ähnlich wie Kirche im Grünen", sagt Achim Gerber. Zu den Farmgottesdiensten kommen dann auch die übrigen Farmer aus der Umgebung. So ein Gottesdienst, verbunden mit Essen, Trinken und meist auch Übernachtung, ist für die Farmer auf dem Land eine willkommene Abwechslung.

Als Pfarrer in Afrika

In zwei Jahren geht es für die Gerbers zurück nach Bayern. Dann sind sie neun Jahre in Namibia, länger erlaubt die EKD nicht. Die Trennung werde ihnen schwerfallen, sagen die Gerbers. Gelernt hätten sie in der Zeit, "genau hinzuhören und nicht sofort den Mund aufzumachen". Namibia sei ein Vielvölkerstaat; da müsse man sehr sensibel miteinander umgehen, sagt Achim Gerber. "Arrogante Belehrungen von außen können sehr verletzend sein." Vermissen wird er auch die "heiße Weihnacht". "Nach der Christmette in den Pool zu springen und einen kalten Weißwein zu trinken."

Deutschlands blutige Kolonialgeschichte in Namibia

Vor mehr als einem Jahrhundert fielen Zehntausende Angehörige der Herero und Nama einem Vernichtungskrieg der deutschen Kolonialtruppen im heutigen Namibia zum Opfer. Historiker sprechen von Völkermord. Aus existenzieller Not heraus erhoben sich im einstigen Deutsch-Südwestafrika von 1904 bis 1908 die Herero gegen die Kolonialmacht. Unter Generalleutnant Lothar von Trotha schlug eine rund 15.000 Soldaten umfassende Streitmacht die Rebellion der Einheimischen innerhalb weniger Monate militärisch nieder.

Wie es zu dem Begriff Hottentotten kam

Insgesamt sollen dabei mindestens 65.000 Menschen und damit 80 Prozent des Herero-Volkes umgekommen sein. Im Oktober 1904 erhoben sich auch die Nama, die in Deutschland verächtlich als "Hottentotten" bezeichnet wurden, gegen die Kolonialherren. Die deutschen Truppen gingen hier ebenfalls rücksichtslos vor und töteten rund 10.000 Nama - etwa die Hälfte des Volkes. Hinzu kamen Tausende, die in Konzentrationslager gesteckt oder vertrieben wurden.

Am 9. Juli 1915 endete die rund 30-jährige Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika mit der Niederlage der deutschen Kolonialtruppen gegen die südafrikanischen Armee. Deutsch-Südwestafrika, die Region des heutigen Namibias, war 1884 als erstes Überseegebiet unter deutsche Kolonialherrschaft gekommen.