Welche Antwort geben Sie nach zwei Jahren Prozess »Berufsbild Pfarrer« auf die Frage: Was ist ein Pfarrer?

Nitsche: Die schönste Erfahrung ist, dass wir tatsächlich gemeinsam beschreiben können, was die Grundaufgaben des Pfarrberufs sind: Es geht um Verkündigung, um die Kommunikation des Evangeliums im Gottesdienst am Sonntag sowie bei Taufen, Trauungen und Beerdigungen, um Seelsorge und um religiöse Bildung in der Gemeinde und in der Schule. Und es geht um den Dienst an der Einheit, darum, in einer bunten Gesellschaft mit verschiedenen Frömmigkeitsstilen und Meinungen eine Kirchengemeinde innerlich und äußerlich beisammenzuhalten.

Eigentlich ist es das, was wir in der Ordination versprochen haben, also könnte man sagen: nicht besonders überraschend. Aber ich habe so oft gehört, dass angeblich jeder ein anderes Pfarrerbild hätte, dass ich tatsächlich überrascht bin, dass auf den Studientagen, an denen 80 Prozent aller Pfarrer unserer Kirche teilgenommen haben, als das »Eigentliche« meist ähnliche Dinge genannt wurden. Wir wollen das noch auf ein paar griffigere Formeln bringen, aber wir müssen beim Pfarrertag sehen, ob wir uns da wirklich einig sind.

Wie beschreiben Sie knapp den Auftrag der Kirche?

Nitsche: Den Menschen eine geistliche Heimat schaffen und die befreiende Botschaft des Evangeliums möglichst überzeugend zu Gehör bringen.

Was hat Sie tatsächlich bei dem Projekt überrascht?

Nitsche: Das Überraschendste war für mich: Wir erzielen trotz verschiedener Perspektiven einen weitgehenden Konsens, was ein Pfarrer ist. Was die Probleme betrifft, die einen daran hindern, diesen Beruf gut auszuüben, gab es gar nicht so viele Überraschungen. Zum Beispiel Vakanzen: Wenn eine Gemeindestelle länger nicht besetzt werden kann, ist das für die Nachbarkollegen eine große Belastung. Wir haben da inzwischen zwölf Punkte ausgearbeitet, die helfen sollen. Zum Beispiel wurde die Vertretung auch durch Angehörige anderer Berufsgruppen wie Diakonie oder Religionspädagoginnen möglich gemacht.

Erhielten Sie mehr Gegen- oder mehr Rückenwind?

Nitsche: Ich habe starken Rückenwind gespürt. Es hat sich gezeigt, welche tollen und fitten Leute wir haben, alle mit Herzblut und Kompetenz dabei. Aber es gab auch kritische Stimmen: Die einen haben gefragt, ob das etwas bringt. Und es gab grundlegendere Fragen wie die, ob unsere Formel »gut, gerne, wohlbehalten«, die wir aus der Salutogenese übernommen haben, nicht zu plakativ ist und ob dadurch nicht das Besondere des Pfarrberufs wegdiskutiert wird. Denn der Pfarrberuf hat mit Spannungen zu tun, die gehören notwendig dazu, wie die Spannung zwischen dem Evangelium und der Welt. Die kann man nicht aufheben, ohne das Wichtigste zu verlieren. Wenn man alles perfekt organisiert, dann hat man zwar weniger Probleme, aber es geht auch eine Menge von dem verloren, was Jesus uns als Evangelium weitergegeben hat. Und dann gibt es Spannungen, die sind einfach nur lästig und kosten Zeit. Wir kommen einen großen Schritt weiter, wenn wir unterscheiden lernen.

Können Sie das näher erklären?

Nitsche: Wenn mir als Pfarrer jemand begegnet, der möchte, dass ich mir für ihn Zeit nehme, kann ich nicht einfach sagen: Das steht nicht in meiner Dienstordnung! Und ich bin auch oft konfrontiert mit Erwartungen, wie ich als Pfarrer zu sein habe. Abzuwägen, sich an der richtigen Stelle einzulassen und an einer anderen »Nein« zu sagen, ist anstrengend, aber es gehört dazu. Ich stehe in dem Dreieck von Person, Beruf und Amt: Von mir wird etwas erwartet, weil ich Pfarrer bin - unabhängig davon, welcher Mensch ich persönlich bin und ob ich gerade meinen freien Tag habe. Ein Rahmen ist wichtig, aber wenn man den Pfarrberuf perfekt organisieren wollte, hätte man eine Menge verloren.

Eine der häufigsten Klagen ist die über den Schreibkram. Wie sind Sie an dieses Thema herangegangen?

Nitsche: Das ist ein gutes Beispiel. Es gibt unheimlich viel Kleinzeug, das erledigt werden muss. Das sind gar nicht so sehr kirchliche Regeln, sondern staatliche Rechenschaftspflichten, zum Beispiel in Kindergärten. In den sozialen Berufen macht die Bürokratie heute schon ein Drittel der Arbeitszeit aus. Hier sind wir dabei, mit dem Kitaverband Modelle zu entwickeln. Aus unserer lutherischen Berufsethik können wir lernen: Es soll die Aufgaben immer der machen, der es am besten kann.

Und welche Spannungen kann man nicht aufheben?

Nitsche: Die Spannung zwischen Evangelium und Welt habe ich schon genannt. Ein Zweites ist die Spannung in dem Dreieck Person, Beruf und Amt. Nehmen wir an, ein Pfarrer betritt ein Krankenzimmer. Die Situation verändert sich dadurch, dass er Pfarrer ist, dass er das Amt hat. Es kann sein, dass er wieder herausgeworfen wird oder mit offenen Armen empfangen. Aber es spielt auch eine Rolle, wie er als Person, welcher Typ er ist. Und von beidem ist der Beruf zu unterscheiden: Mein Amt als Pfarrer habe ich auch, wenn ich schlafe oder meinen freien Tag habe. Aber von meinen Aufgaben habe ich dann frei. Das immer wieder neu in eine Balance zu bringen, gehört zur Kompetenz im Pfarrberuf.

Warum haben Pfarrer Burn-outs?

Nitsche: Viele können sich nur schwer gönnen, auf Gelungenes zu schauen. Es wäre manchmal gut, wenn wir auf Geglücktes so viel Aufmerksamkeit legen würden wie auf Missglücktes. Aber es ist auch eine verloren gegangene Sinnhaftigkeit. Es powert aus, wenn ich meinen Beruf nicht mehr leben kann, weil ich nicht zum Eigentlichen komme. Wichtig ist zu erleben, dass man gebraucht wird und etwas zu sagen hat. Dass man in Krisen und in Trauerfällen, in den Hoch-Zeiten des Lebens bei Trauungen oder bei Geburten auch das Handwerkszeug und die Sprache hat für Trauer und Klage, Freude und Dank.

Wird es in zehn Jahren andere Pfarrer geben als heute?

Nitsche: Ja. Der Kontext des Pfarrerberufs und das Aufgabenfeld ändern sich rasant. Doch der Berufsbild-Prozess ist die Chance, darauf zu reagieren und zum Beispiel die Ausbildung stärker auf die neuen Herausforderungen auszurichten. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Ausbildung wieder stärker auf theologisches Denken konzentriert. Glaube ist Gefühl und Vernunft. Und Pfarrer müssen lernen, die Erfahrung, dass Gott mit dieser Welt etwas zu tun haben will, auch vernunftmäßig zu erfassen und zu kommunizieren. Die Fähigkeit zu eigenständigem theologischen Denken. Es geht darum, die zentralen Fragen zu entdecken und eine Methodik zu entwickeln, damit ich hier etwas zu sagen habe und in ethischen Herausforderungen urteilsfähig bin.

Bei Ihrem Projekt kam heraus, dass die Leitungsqualitäten verbesserungsbedürftig sind. Wie kommt das?

Nitsche: Kirchenvorsteher haben mehrheitlich gesagt: Entweder unser Pfarrer hat natürliche Autorität oder unsere Pfarrerin ist ein Naturtalent in Leitung - oder es klappt nicht. Und auch auf Pfarrerstudientagen wurde das Thema »Leitung« als Problembereich benannt. In der Praxis läuft das oft entweder auf »Basta-Politik« hinaus oder darauf, es jedem recht zu machen, sodass nichts ordentlich entschieden wird. Oft ist Leitung ein Tabuthema, schließlich geht es um Macht. Wir brauchen theologisch begründetes Handwerkszeug für einen verantwortlichen Umgang mit Macht.

Haben Sie die Hoffnung, dass der Prozess auch zu weniger Kirchenaustritten führt?

Nitsche: Ziel ist, dass Pfarrer mehr Zeit haben für die Kommunikation des Evangeliums. Das hilft dabei, unseren Kirchenmitgliedern das Gefühl zu vermitteln, dass es sich lohnt, evangelisch zu bleiben.